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An manchen Tagen müssen die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Tegel doppelt so viele Gefangene betreuen wie üblich.

© IMAGO

Berlin: Personalnot: In der JVA Tegel steigt der Druck

Eine Rekordzahl an Sicherungsverwahrten und immer weniger Mitarbeiter sorgen für Probleme in dem Berliner Gefängnis. Auch die Kritik an Justizsenator Behrendt wächst.

„Es brodelt hier immer mehr“, sagt einer der Männer, der zu den ruhigeren Sicherungsverwahrten im Tegeler Gefängnis gehört: „Die Ersten sind schon ausgeklinkt.“ Es gebe Schlägereien untereinander und Streit mit den Bediensteten. Mariusz V. verbüßt gerade eine mehrmonatige zusätzliche Strafe, weil er im Haus der Sicherungsverwahrten den Mitgefangenen Julio G. (alle Namen geändert) angriff. Wüste Schreiereien sind Alltag in Haus 7. Hier sitzen die ganz harten Fälle, die wegen ihrer Gefährlichkeit nach Verbüßung ihrer Haft nicht entlassen werden. Fast keiner der Männer hat eine Perspektive, die Freiheit wieder zu sehen.

Doch die Justiz befeuert die schlechte Stimmung – durch den offenbar immer dramatischer werdenden Personalmangel. „Stress pur“, erzählen Sicherungsverwahrte übereinstimmend am Telefon. Am Wochenende seien nur noch drei bis vier Bedienstete da, statt sechs bis acht nach Plan. Das hat Konsequenzen: Die Männer werden oft eingeschlossen, können sich also nicht frei im Haus bewegen. Kürzlich wurden wegen Personalmangels bei drei Verwahrten die Ausführungen nach draußen kurzfristig gekürzt oder ganz storniert. Da jede Ausführung einen oder zwei Beamte bindet, wird hier gerne gekürzt.

Rekordverdächtiger Krankenstand

„Die angespannte Personalsituation ist bekannt“, antwortete der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses dem Inhaftierten Ahmad El-H. Wegen „krankheitsbedingter Abwesenheiten“ komme es vor, dass ein Bediensteter 70 und nicht nur 35 Gefangene betreuen müsse. Der Briefwechsel liegt dem Tagesspiegel vor.

Nach Angaben der Justiz sank die Quote der tatsächlich besetzten 648 Stellen in der JVA Tegel im Lauf des Jahres 2016 kontinuierlich: Im Januar 2016 waren 95,2 Prozent besetzt, im Januar 2017 nur noch 90,5 Prozent. Von den Bediensteten sind rekordverdächtig viele krank. 156 Tegeler Beschäftigte waren 2016 dauerkrank oder langzeitkrank, teilte die Justizverwaltung im April mit. 233 Bedienstete werden bis zum Jahr 2025 zudem aus Altersgründen ausscheiden. Wie berichtet, schiebt der neue Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die Personalprobleme auf seinen CDU-Vorgänger und „die Altlasten der Sparbeschlüsse des Senats von 2014“. Dadurch seien zu wenig neue Bedienstete eingestellt worden. Es soll aber durch Neueinstellungen alles wieder gut werden, verspricht er.

Sicherungsverwahrung nimmt zu

Dabei profitiert die Justiz derzeit von der gesunkenen Gefangenenzahl. Derzeit sind die 938 Plätze in Tegel nur zu 88 Prozent ausgelastet, nämlich durch 829 Gefangene. Noch vor wenigen Jahren war Deutschlands damals noch größter Männerknast überbelegt.

Das 2014 eröffnete Sicherungsverwahrten-Haus ist derzeit nur zu etwa 70 Prozent ausgelastet. Allerdings ist es mit 60 Zimmern groß dimensioniert worden, weil die Zahl der Verwahrten steigen wird. Gerichte verhängen immer häufiger die Haft nach der Haft. 44 Sicherungsverwahrte sitzen derzeit in den 20 Quadratmeter großen Räumen, 33 weitere Männer werden in den kommenden Jahren die Sicherungsverwahrung antreten, sagte eine Justizsprecherin. Verwahrte haben das Recht auf mehr Platz und mehr Besitz als Strafgefangene.

Die Realität in Tegel sieht anders aus. Zusätzliche Geräte wie größere Fernseher oder eine Couch werden meist abgelehnt mit der Begründung „erhöhter Kontrollaufwand“, berichtet ein Mann, der seit sehr vielen Jahren in Tegel sitzt. Auch so wirkt sich Personalmangel aus.

Vom Justizsenator keine Spur

Nummer 44 zog erst in diesem Monat ein – nachdem er zwölf Jahre Strafhaft bis auf den letzten Tag abgesessen hat. Dies ist in Tegel bei Gewaltverbrechern Standard, vorzeitige Entlassungen sind selten. Johann P. hatte 2005 aus Rache die 17-jährige Tochter seines Ex-Chefs vergewaltigt und eine Gaststätte in Mahlow angezündet. Er hatte damals gerade acht Jahre Haft abgesessen – wegen Vergewaltigung der Pächterin dieser Gaststätte. Eine ähnlich grausame Geschichte steht hier bei fast allen Verwahrten in der Akte, es sind fast ausschließlich Sexual- und Gewalttäter. Der älteste feierte am 30. Juli seinen 84. Geburtstag in Tegel.

Da noch sechs Sicherungsverwahrte in anderen Häusern in Tegel sitzen, ist die Gesamtzahl jetzt erstmals auf 50 gestiegen. 2012 waren es noch 35. Sie alle hatten sich Hoffnungen gemacht, dass sich die Verhältnisse unter dem neuen Justizsenator bessern. Behrendt hatte sich als Oppositionspolitiker jahrelang für die Gefangenen eingesetzt. „Seitdem hat er sich nicht bei uns blicken lassen“, heißt es hinter den Mauern von Tegel.

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