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Joginer Singh, ein Prediger des Sikh-Gemeindezentrums, zeigt in Essen den zerstörten Eingangsbereich des Gebetshauses. Unbekannte hatten einen Sprengsatz zur Explosion gebracht.

© Roland Weihrauch/dpa

Update

Nach Anschlag auf Sikh-Tempel in Essen: Tatverdächtige könnten Sikhs mit Hindus verwechselt haben

Nach dem Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen sind zwei 16-jährige Tatverdächtige in Haft - offenbar mit Bezug zur islamistischen Terrorszene. Ein weiterer Mann kam am Donnerstagabend in Gewahrsam.

Von Frank Jansen

Selbst gestandene Sicherheitsexperten sind geschockt. „Die gewalttätigen Salafisten werden immer jünger“, sagt ein Fachmann, „das ist eine dramatische Entwicklung.“ Der Anschlag zweier türkischstämmiger Jugendlicher am vergangenen Sonnabend auf den Sikh-Tempel in Essen ist der zweite Angriff minderjähriger Islamisten in Deutschland innerhalb von zwei Monaten.

Am 26. Februar hatte eine 15-jährige Salafistin in Hannover einem Bundespolizisten ein Messer in den Hals gestochen. In beiden Fällen gehen die Behörden von Bezügen zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ aus. Die Ermittlungen zum Attentat in Hannover hat die Bundesanwaltschaft übernommen. Das könnte auch im Fall Essen passieren.

Die Polizei dort hatte sich zunächst nicht vorstellen können, dass die Explosion vor dem Gemeindezentrum der Sikhs in Essen ein politisch motivierter Angriff war. In ersten Meldungen hieß es, die Tat sei kein terroristischer Anschlag. Nach der Festnahme der zwei 16-Jährigen in der Nacht zum Donnerstag halten die Sicherheitsbehörden nun jedoch eine islamistische Attacke für wahrscheinlich. Der Sprengsatz hatte drei Personen verletzt.

Am späten Donnerstagabend nahm die Polizei einen weiteren jungen Mann in Gewahrsam, der möglicherweise in Verbindung mit dem Anschlag steht. Das teilte eine Polizeisprecherin am Freitag mit. Ob und inwiefern der Mann Kontakt zu den beiden 16-Jährigen hatte, werde derzeit geprüft. Nähere Angaben machte die Sprecherin nicht.

Tatverdächtige waren Behörden bekannt

Essens Polizeipräsident Frank Richter sprach von einer „hochbrisanten Angelegenheit“ und klaren Hinweisen auf „religiös eingefärbten Terror der islamistischen Szene“. Die Polizei habe mit bis zu 100 Beamten an dem Fall gearbeitet und hoffe, nicht nur bei der Sikh-Gemeinde Vertrauen wiederhergestellt zu haben. An einer lange geplanten Prozession durch die Essener Innenstadt an diesem Sonnabend hält die Gemeinde jedenfalls fest. Sie erwartet mehrere Tausend Teilnehmer.

Die Jugendlichen waren den Sicherheitsbehörden bereits bekannt. „Die beiden sind in Staatsschutzangelegenheiten schon auffällig gewesen“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) in Düsseldorf. Es werde nun geprüft, ob die beiden 16-Jährigen sich selbst radikalisiert hätten oder möglicherweise Kontakt zu Islamisten hatten.

Jäger erklärte außerdem, die Polizei in seinem Bundesland gehe entschlossen gegen "salafistische Extremisten" vor. Der Fahndungs- und Ermittlungsdruck in Nordrhein-Westfalen sei hoch.

Bei einer Explosion in dem Gebetshaus in Essen waren drei Menschen verletzt worden, davon einer schwer.
Bei einer Explosion in dem Gebetshaus in Essen waren drei Menschen verletzt worden, davon einer schwer.

© dpa

Während des Anschlags feierte die Sikh-Gemeinde in ihren Räumen eine Hochzeit. Die beiden Täter warfen gegen 19 Uhr den selbst gebastelten Sprengsatz in den Eingangsbereich der Gemeinde. Durch die Explosion wurde die Eingangstür zerstört, herumfliegende Glassplitter verletzten einen Menschen schwer und zwei weitere leicht.

Die Druckwelle zerstörte auch Fensterscheiben an umliegenden Gebäuden. Dass es nicht zu einer größeren Zahl an Verletzen kam, ist einzig dem Umstand zu verdanken, dass sich die meisten Gäste der Hochzeitsfeier zu diesem Zeitpunkt in einem Saal am anderen Ende des Gebäudes befanden.

Kontakt mit Salafisten, Sympathie für den IS

Mit Bildern und Videos aus Überwachungskameras hatte die Essener Polizei nach den Tätern gesucht. Einer der beiden stellte sich, offenbar wirkten da die Eltern mit. Der Jugendliche aus Essen bewege sich wie sein mutmaßlicher Komplize aus Gelsenkirchen schon länger im salafistischen Milieu, sagten Sicherheitsexperten.

Einer der beiden, womöglich auch beide, sollen sich an der „Lies“-Kampagne der Szene beteiligt haben. Dabei versuchen Salafisten in Fußgängerzonen junge Menschen zu locken, indem sie ihnen ein Exemplar des Koran schenken. Die zwei Jugendlichen hätten zudem einen „kriminellen Vorlauf“ mit Körperverletzungen, sagten Experten.

Sie bestätigten auch einen Bericht von „Report München“, wonach der junge Essener auf seiner Facebook-Seite Sympathien für den IS äußerte. Der Jugendliche soll auch die Anschläge vom November in Paris gelobt haben. Auf der Facebook- Seite soll zudem ein Video des Berliner Ex-Rappers Denis Cuspert zu sehen sein. Cuspert, der sich früher Deso Dogg nannte, lebt beim IS in Syrien und ist dort eine Art Chefagitator, speziell für deutschsprachige Propaganda.

Die Behörden gehen auch dem Verdacht nach, die zwei Jugendlichen könnten in Kontakt zur „Lohberger Brigade“ gestanden haben.

Dabei handelt es sich um Salafisten, die sich in Dinslaken (Niederrhein) im Ortsteil Lohberg radikalisiert hatten. Mehrere Mitglieder reisten zum IS, einige starben im Dschihad.

Jugendliche könnten Sikhs mit Hindus verwechselt haben

Unklar bleibt, warum die beiden Jugendlichen die Sikhs attackierten. Möglicherweise hätten die jungen Salafisten die Sikhs mit Hindus verwechselt, sagten Sicherheitskreise. In Indien geraten seit Jahrzehnten muslimische und hinduistische Fanatiker aneinander. Zu den Umständen der Festnahmen und zum Hintergrund der Verdächtigen wollen Polizei und Staatsanwaltschaft derzeit keine konkreten Angaben machen.

Einerseits handele es sich bei ihnen um Minderjährige andererseits wolle man "Folgemaßnahmen die derzeit stattfinden und noch geplant werden nicht erschweren. Staatsanwalt Walther Müggenburg sprach von der Möglichkeit das Verfahren an den Generalbundesanwalt abzugeben falls sich der Terrorverdacht bestätigt.

Der Essener Polizeipräsident äußerte sich zurückhaltend auf die Frage ob man vom ersten, geglückten Anschlag des "Islamischen Staates" in Deutschland sprechen könne.

Die Sikh sind eine religiöse Minderheit, die aus der indischen Region Punjab stammt. Bis in die 1980er Jahre hab es eine breite Terrorbewegung durch Sikh, die in Punjab einen eigenen Staat mit dem Namen "Khalistan" errichten wollten. Durch Anschläge von Sikh Extremisten wurden bei dem Anschlag auf ein indisches Passagierflugzeug im Jahr 1985 329 Menschen getötet. 1984 wurde Indira Ghandi durch ihre Sikh-Leibwächter ermordet. Den Islamisten gelten die Sikh als Ungläubige und Feinde des Islam. Immer wieder gab es Attentate auf Sikh-Gemeinden. Im August 2012 erschoss ein amerikanischer Rechtsextremist sechs Angehörige der Sikh, da er sie für Muslime hielt. (mit dpa)

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