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Am Dienstag in Freital, wenige Stunden nach der Razzia gegen mutmaßliche Rechtsterroristen

© Arno Burgi/dpa

Rechtsterrorismus in Deutschland: Freital, Nauen, Bamberg - die Gewalt der Flüchtlingshasser

In Freital sind die Behörden erstmals wegen Rechtsterrorismus-Verdacht gegen eine Bürgerwehr vorgegangen. Wie militant sind die Flüchtlingshasser? Eine Analyse.

Von
  • Frank Jansen
  • Matthias Meisner

Freital ist über deutsche Landesgrenzen hinaus bekannt geworden, weil dort besonders heftig gegen Flüchtlinge, Muslime und die Willkommenskultur demonstriert wurde. Bald schon schlugen die Proteste in offenen Hass und Gewalt um. Nun hat die Polizei eine Gruppe mutmaßlicher Rechtsterroristen festgenommen. Die 40 000-Einwohner-Stadt bei Dresden kommt nicht zur Ruhe. Und mit ihr ganz Sachsen nicht.

Mehr als 200 Beamte waren am Dienstag in Sachsen im Einsatz – Bundeskriminalamt, Bundespolizei und sächsische Polizei nahmen, angeführt von der Eliteeinheit GSG 9, fünf des Rechtsterrorismus Verdächtige fest, vier Männer im Alter zwischen 18 und 39 Jahren und eine 27-jährige Frau. Damit gibt es acht Beschuldigte, die der „Gruppe Freital“ zugerechnet werden. Die Rädelsführer, Timo S. (27) und Patrick F. (24), sowie ein weiterer Tatverdächtiger saßen bereit seit November vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. Wohnungen wurden durchsucht, auch weitere Räumlichkeiten. Ein, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt, „entscheidender Schlag gegen eine regionale rechtsterroristische Struktur“. Weitere mögliche Anschläge der Gruppe gegen Asylunterkünfte und politische Gegner seien so verhindert worden.

Es ist der erste Fall, dass die Behörden wegen Rechtsterrorismus-Verdachts gegen eine Bürgerwehr vorgehen, die sich gegen Flüchtlinge organisiert hat. Denn auch wenn in der offiziellen Mitteilung der Bundesanwaltschaft von der Bürgerwehr FTL/360 nicht die Rede ist – mindestens deren Umfeld ist die „Gruppe Freital“ zuzurechnen. Die Ermittlungsbehörden werfen den acht Beschuldigten – alle sind Deutsche – vor, mit weiteren Gleichgesinnten im Herbst Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte sowie Wohnprojekte von politisch Andersdenkenden begangen zu haben – konkret in den Nächten vom 19. auf den 20. September und vom 31. Oktober auf den 1. November auf Unterkünfte von Flüchtlingen in Freital, in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober auf das alternative Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden. Den Rädelsführern Patrick F. und Timo S. wird neben anderen Straftaten auch versuchter Mord zur Last gelegt.

Es wird höchste Zeit, dass die Worte von der wehrhaften Demokratie Realität werden und die unerträgliche Verniedlichung von hetzendem und aufhetzendem Mob als 'besorgte Bürger' aufhört.

schreibt NutzerIn civis42

Wie kam es zur Zuspitzung in Freital?

Ihren Namen hat die Bürgerwehr FTL/360 von einer Buslinie. Die Linie 360 führt von Dresden nach Altenberg. Auf dem Weg liegt das Städtchen Schmiedeberg, dort gibt es eine der ersten zentralen Asylunterkünfte in Sachsen. Auf dieser Linie soll ein marokkanischer Flüchtling Anfang vergangenen Jahres ein Mädchen angemacht haben. Der nun als einer der mutmaßlichen Rädelsführer inhaftierte Timo S. war Busfahrer beim Regionalverkehr Dresden, zu dem auch die Linie 360 gehört. Er suchte sich Gleichgesinnte. Angeblich durfte zeitweilig kostenlos Bus fahren, wer sich als Mitglied der Bürgerwehr ausgab. Mit Bürgerwehr-T-Shirts traten die Mitglieder öffentlich auf. Ihre Radikalisierung habe sich „live“ verfolgen lassen, sagt die Linken- Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz, die den Auftritt der Bürgerwehr auf Facebook seit Monaten verfolgt hat.

Gegner der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Leonardo-Hotel demonstrieren Ende Juni 2015 in Freital
Gegner der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Leonardo-Hotel demonstrieren Ende Juni 2015 in Freital

© Oliver Killig/dpa

In Freital wurde seit März regelmäßig gegen Flüchtlinge demonstriert, oft mit Unterstützung von AfD und NPD. Mit der Ankunft neuer Flüchtlinge Ende Juni im ehemaligen Leonardo-Hotel spitzte sich die Situation zu. Auf Anti-Asyl-Seiten auf Facebook wurde dagegen Stimmung gemacht. Auch Pegida-Chef Lutz Bachmann hetzte damals auf Facebook gegen eine angebliche „Überrumpelungsaktion“, bei der „unangemeldet 150 Asylanten angekarrt“ worden seien. Anschließende Gewaltaktionen werden von den sächsischen Ermittlern der Bürgerwehr zugerechnet – Ende Juni sollen Mitglieder mit einem Baseballschläger gegen die Insassen eines Autos vorgegangen sein, die sich auf dem Heimweg von einer Willkommensdemo in Freital befanden. Im Juli wurde ein Sprengstoffattentat auf das Auto des Freitaler Linken-Stadtrats Michael Richter verübt.

Wie ist die Lage in Freital heute?

Von einer „massiven Gewaltspirale in Freital gegen Geflüchtete, deren Unterstützer und Andersdenkende“, spricht die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die einen der Geschädigten aus Freital vertritt. Es komme zu einer Radikalisierung der Mitte der Gesellschaft bis hin zum Rechtsterrorismus. Andere in Freital sehen das ganz anders – auch die Vertreter der CDU, die stärkste Kraft im Stadtrat ist und auch den Oberbürgermeister stellt, Uwe Rumberg. Er hat im Zusammenhang mit bestimmten Asylsuchenden von „Glücksrittern“ gesprochen, „die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“. Und erst im März hatte die Stadtverwaltung behauptet, dass es in Freital eine nennenswerte Nazi-Szene gäbe, sei ein „leider überregional bei manchen eingebürgertes Klischee“.

Ines Kummer, Stadträtin der Grünen, kann über solche Äußerungen nur den Kopf schütteln. Sie gehört zu denjenigen, die für ein anderes Klima in der Stadt kämpfen. Der Schlag gegen die „Gruppe Freital“ sei „wichtig, richtig und notwendig“ – ein aus ihrer Sicht wichtiges Zeichen gegen alle, die gegen Flüchtlinge hetzen und sie bedrohen. Denn Flüchtlinge leben in Freital noch immer gefährlich. Erst vor knapp zwei Wochen, berichtet sie, habe es eine Gruppe von Flüchtlingen aus Eritrea getroffen. An ihrer Unterkunft – derselben, gegen die die „Gruppe Freital“ im September einen Anschlag verübte – habe ein Mann geklingelt und die Bewohner mit Reizgas besprüht. „Das waren keine Trittbrettfahrer. Das waren Rassisten“, sagt Kummer, „widerwärtig“.

Gibt es Verbindungen zu weiteren rechten Terrorgruppen?

Es gebe Hinweise auf ein „Kennverhältnis“ einer Person oder auch mehrerer aus dem Umfeld der Freitaler Gruppe zur rechtsterroristischen „Oldschool Society“ (OSS), heißt es in Sicherheitskreisen. Die aus einer Whatsapp- Gruppe hervorgegangene OSS soll Anschläge mit Brand- und Nagelbomben auf Unterkünfte von Flüchtlingen geplant haben. Ein Angriff auf ein Heim von Asylbewerbern im sächsischen Borna stand offenbar im Frühjahr 2015 bevor. Die Polizei schritt rechtzeitig ein und hob im Mai die Gruppe aus. Drei Männer und eine Frau wurden festgenommen, am kommenden Mittwoch beginnt gegen sie der Prozess. Das weibliche OSS-Mitglied stammt aus Freital.

Außerdem fällt auf, dass die Freitaler Gruppe genauso wie die OSS in Tschechien reichlich Pyrotechnik kaufte. Die Freitaler erwarben sogenannte Polenböller mit Bezeichnungen wie „La Bomba“ und „Viper“, Mitglieder der OSS kauften auf einem Asiamarkt ähnliche Sprengkörper. Solche Böller sind hochexplosiv und werden immer wieder mal von Extremisten zum Bau von Sprengsätzen verwendet. Offen bleibt, ob aus dem Umfeld der Freitaler Gruppe mit der OSS Informationen über Pyrotechnik auf Asiamärkten in Tschechien ausgetauscht wurden.

Wie groß ist die Gefahr, die von militanten Flüchtlingsfeinden ausgeht?

Die Freitaler Gruppe und die OSS sind nur zwei Beispiele für die wachsende Gefahr rechter Militanz. Im Oktober nahm die Polizei in Bamberg elf Männer und zwei Frauen fest, die Angriffe mit Sprengstoff geplant haben sollen. Der Bamberger Vizepolizeipräsident Werner Mikulasch sprach von einem Anschlag, der Ende Oktober das örtliche Abschiebezentrum für Balkanflüchtlinge treffen sollte. Laut Staatsanwaltschaft hatten mehrere der Beschuldigten in Osteuropa 16 Kilogramm Pyrotechnik bestellt. Damit hätten „Kugelbomben“ gebaut werden sollen. Gegen die 13 Personen wird wegen des Verdachts ermittelt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Hinweise auf Terrorismus gab es aus Sicht der Bundesanwaltschaft jedoch nicht, deshalb wird der Fall weiterhin von der regionalen Staatsanwaltschaft bearbeitet.

Nauen, August 2015: Eine Sporthalle, die als Notunterkunft für Flüchtlinge geplant war, geht in Flammen auf
Nauen, August 2015: Eine Sporthalle, die als Notunterkunft für Flüchtlinge geplant war, geht in Flammen auf

© Julian Stähle/dpa

Im März nahm die Polizei im brandenburgischen Nauen nach einer Serie von Brandanschlägen den NPD-Politiker Maik Schneider und einen weiteren Rechtsextremisten fest. Schneider sitzt im Stadtparlament und Kreistag Havelland. Die Sicherheitsbehörden rechnen Schneider einer Gruppe von insgesamt sechs Neonazis zu, die unter anderem für den Brand einer Sporthalle verantwortlich sein soll. Das Gebäude, in dem Flüchtlinge untergebracht werden sollten, brannte im August 2015 ab. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime war im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Das Bundeskriminalamt berichtete von 1027 Delikten, darunter knapp 90 Brandstiftungen und in acht Fällen das „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“. Das BKA listete zudem 60 Körperverletzungen auf sowie drei versuchte Morde und einen versuchten Totschlag. Allerdings konnte nur bei einem Viertel der Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen Tatverdächtige ermittelt werden. Ein spektakulärer Fall wurde hart geahndet: Das Landgericht Hannover verurteilte einen Mann, der in Salzhemmendorf einen Brandsatz in die Wohnräume einer Flüchtlingsfamilie aus Simbabwe geworfen hatte, wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft. Auch zwei Mittäter bekamen hohe Strafen.

Militante Rassisten attackieren zudem Personen, die sich um Flüchtlinge kümmern. Aufsehen erregte vor allem das Attentat auf die Kölner Politikerin Henriette Reker. Im Oktober stach der Rassist Frank S. der damaligen Kandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters der Domstadt in den Hals. Frank S. machte Reker für die aus seiner Sicht verfehlte Flüchtlingspolitik verantwortlich. Reker wurde am Tag nach dem Attentat zur Oberbürgermeisterin gewählt.

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