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Weniger Umdrehungen beim Stromzähler wären im Sinne der Energiewende. So funktioniert der Markt aber nicht.

© Jens Wolf/dpa

Erstaunliche Entwicklung der Strompreise: Wer wenig verbraucht, zahlt mehr

Die Stromnetzbetreiber erhöhen auf eigene Faust die Grundgebühr und verteilen damit Milliarden um. Das trifft vor allem besonders kleine und sparsame Haushalte.

Von Jakob Schlandt

Für Kleinverbraucher steigen die Kosten für das Stromnetz und damit die Tarife deutlich an, während größere Haushalte und Gewerbe mit einer entsprechenden Entlastung rechnen können. Der Grund: Viele Netzbetreiber heben die Grundgebühren immer weiter an, während der sogenannte Arbeitspreis pro Kilowattstunde stabil bleibt. Laut einer Auswertung für den Fachdienst "Tagesspiegel Background Energie & Klima" durch das Tarifportal Verivox sind die Grundkosten für einen Stromanschluss von 2013 bis zu den bereits veröffentlichten Tarifen für 2018 um 67,6 Prozent gestiegen. Sie wurden im Schnitt von 36,10 Euro auf 60,50 angehoben. Verivox hat bei der Auswertung mehr als 90 Prozent der Zählpunkte erfasst.

Die Arbeitskosten sind dagegen im gleichen Zeitraum nur um 1,9 Prozent gestiegen, von 5,2 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Gerade für das Jahr 2018 ist noch einmal ein deutlicher Schub zu beobachten. Die Grundgebühren springen Anfang kommenden Jahres von im Schnitt 47,40 Euro pro Anschluss auf 60,50 Euro. Überschlägig geht es bei der Erhöhung der Grundgebühr innerhalb von fünf Jahren bei deutlich über 40 Millionen Anschlüssen um einen Betrag in der Größenordnung von einer Milliarde Euro pro Jahr.

Netzentgelte für Singlehaushalt steigen um 22,7 Prozent

Laut weiteren Berechnungen von Verivox stiegen die zu zahlenden Netzentgelte deshalb bei einem Verbrauch von 1500 Kilowattstunden (kleiner Haushalt) pro Jahr innerhalb von fünf Jahren um 22,7 Prozent. Werden 6000 Kilowattstunden (Einfamilienhaus hoher Stromnutzung) verbraucht, liegt der Anstieg dagegen im Schnitt nur bei 8,7 Prozent. Die Netzkosten machen rund ein Viertel des Strompreises aus.

Grund für die Erhöhung ist nach Aussage der Aufsichtsbehörde Bundesnetzagentur und von den Netzbetreibern, dass die befürchtete Flucht aus dem Netz durch die Eigenerzeugung von Strom verhindert werden soll. Denn je höher der Grundpreis ist, desto weniger macht es finanziell Sinn, Strom selbst zu erzeugen, zum Beispiel durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Laut Bundesnetzagentur dürfen die Netzbetreiber die Höhe der Grundgebühr selbst bestimmen, solange das Verhältnis zum Arbeitspreis vernünftig bleibt. Das sei derzeit noch der Fall.

Netzbetreiber sagen: Wir müssen Infrastruktur finanzieren

Ein Sprecher des Verbands Kommunaler Unternehmen, der den Großteil der Netzbetreiber vertritt, sagte auf Anfrage, Netzkosten seien zu einem überwiegenden Teil Fixkosten. Wenn immer mehr dezentrale Erzeugungsanlagen ans Stromnetz angeschlossen werden, „sind höhere Grundpreise folgerichtig, um den Um- und Ausbau der Infrastruktur zu finanzieren, und tragen zu einer faireren Kostenverteilung bei“.

Dass die Anhebung der Grundgebühren auf die letztlich vom Verbraucher zu zahlenden Tarife durchschlägt, zeigt eine weitere von Verivox vorgelegte Analyse. Während bei einem Verbrauch von 1500 Kilowattstunden die Grundkosten um 15,3 Prozent stiegen, legten die Arbeitskosten nur um 3,9 Prozent zu.

Austausch einer 40 Watt-Halogenlampe im Bad durch eine Energiesparlampe. Normal müsste sich der höhere Anschaffungspreis nach einiger Zeit rechnen. Durch die gestiegene Grundgebühr, relativiert sich der Vorteil.
Austausch einer 40 Watt-Halogenlampe im Bad durch eine Energiesparlampe. Normal müsste sich der höhere Anschaffungspreis nach einiger Zeit rechnen. Durch die gestiegene Grundgebühr, relativiert sich der Vorteil.

© epd

Die Entwicklung ist dabei äußerst ungleichmäßig. Einige Netzbetreiber haben sich entschieden, den Grundpreis weit in die Höhe zu treiben. So verlangt die Rheinische Netzgesellschaft kommendes Jahr einen Grundpreis von 95 Euro, die Oldenburger EWE setzt 96 Euro pro Jahr an. Einige wenige verbliebene Netzbetreiber verzichten hingegen noch vollständig auf einen Grundpreis.

Das Gros der knapp 900 Netzbetreiber in Deutschland liegt in der Mitte, hat aber die Grundgebühr in den vergangenen Jahren erhöht. Das ist auch in Berlin der Fall. Dort liegen die Grundkosten des lokalen Monopolisten, der Stromnetz Berlin GmbH, bei etwas über 40 Euro für einen normalen Anschluss. Einen deutlichen Anstieg gab es von 2015 auf 2016.

Marktbeobachter sagen: Eine Umverteilung durch die Hintertür

Einige Beobachter sind alarmiert. Andreas Jahn vom Think-Tank Regulatory Assistance Project, sagte: „Mit der Erhöhung der Grundgebühren schießen die Netzbetreiber mit Kanonen auf Spatzen.“ Die Grundgebühren für gut 40 Millionen Haushalte und Kleingewerbe-Abnehmer zu erhöhen, um wenige Eigenverbraucher etwas mehr zu belasten, „ist absurd“.

Das Hauptproblem lautet aus Jahns Sicht: „Das ist eine erhebliche soziale Umverteilung durch die Hintertür. Ärmere Haushalte, die meist wenig Strom verbrauchen, müssen mehr Netzgebühren zahlen, während größere Stromverbraucher, meist reichere Haushalte, profitieren. Ich frage mich, ob der Politik diese Entwicklung derzeit überhaupt bewusst ist.“ Ähnlich äußerte sich die Verbraucherzentrale NRW. Energieexperte Udo Sieverding sagte, „die soziale Umverteilung von kleinen zu großen Verbrauchern ist hochproblematisch“.

Lesen Sie auch: Nirgendwo in Europa (außer in Dänemark) ist Strom für Privatkunden teurer

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