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Voll Fett. Wissenschaftler entnehmen Proben aus dem Magen der Steinzeit-Gletschermumie Ötzi.

© Südtiroler Archäologiemuseum\Eurac\M. Samadelli

Mageninhalt der Gletschermumie: Ötzis letztes Mahl: Fettes Fleisch und giftiger Farn

Steinbock und Rotwild: Der Gletschermann Ötzi hielt sich einigermaßen an die Steinzeitdiät. Verkalkte Arterien hatte er trotzdem.

Das Tisenjoch in den Ötztaler Alpen ist ein Rastplatz mit toller Aussicht. In 3200 Meter Höhe labt sich der durchtrainierte 45-Jährige dort nach Stunden des Aufstiegs am Inhalt seiner Lunchbox: Vollkornbrot, fetter Steinbockbraten, Kräuter. Kurz danach wird er ermordet.

All das geschah vor etwa 5300 Jahren. Wie der Mann hieß, weiß niemand, bekannt ist er als „Ötzi“. Dass er einen Pfeil im Rücken hatte, stürzte und nie wieder aufstand, ist lange bekannt. Dass er sich, bis auf das Brot, ziemlich an die derzeit gern propagierte Steinzeitdiät hielt, haben der Bioinformatiker Thomas Rattei von der Universität Wien sowie Franz Maixner und Albert Zink von der Europäischen Akademie Bozen und weitere Forscher erst jetzt herausgefunden. Sie schreiben darüber in der Zeitschrift „Current Biology“.

Seit 1998 wird die Gletschermumie im Archäologiemuseum in Bozen in Südtirol bei sechs bis sieben Minusgraden in einer Kühlkammer aufbewahrt. So konserviert wird sie von Forschern immer wieder untersucht. Mit Computertomografen durchleuchten sie den Körper. So wurde etwa die Pfeilspitze entdeckt, die noch in der Mumie steckt. Aus dem Gewebe isolieren sie Proben und können so das Erbgut analysieren. Auch Ötzis Verhalten in den letzten Stunden und Tagen vor seinem Tod zu rekonstruieren, ist in Teilen möglich. Es gelingt etwa dem Pollenspezialisten Klaus Oeggl von der Universität in Innsbruck, wenn er Organe wie Magen und Darm samt Inhalt untersucht.

Dort findet er nicht nur Speisereste, sondern auch Blütenpollen, die Ötzi unbewusst mitgegessen hat. Weil in unterschiedlichen Höhen unterschiedliche Blüten ihre Pollen verbreiten und weil man zudem weiß, wie lange Speisen vom Magen bis zu bestimmten Stellen des Darms unterwegs sind, sind Rückschlüsse auf die ein bis zwei Tage vor dem Tode möglich. Die Pollen verraten, dass der Steinzeitmann etwa 33 Stunden vor seinem Tod in der Nähe der auf rund 2400 Metern liegenden Baumgrenze Brot, Gemüse und Fleisch verspeiste. Danach lief er ins Tal. Neun bis zwölf Stunden vor seinem Tode gab es in einem Eichenmischwald, wie er für wärmere Zonen um 1200 oder 1400 Meter typisch ist, eine weitere Mahlzeit mit Brot, das auf heißen Steinen gebacken wurde, gegrilltem Hirschfleisch und vermutlich roh verspeistem Gemüse.

Magen verlagerte sich während der Mumifizierung

Ötzi hatte also bereits einige anstrengende Wanderungen hinter sich, bevor er schließlich die rund 2000 Höhenmeter zum Tisenjoch hinaufstieg, wo er jene Rast einlegte, die die letzte vor seinem Tode werden sollte. Die Mahlzeit dort steckt noch heute im Magen, der beim Austrocknen der Mumie nach oben in den Brustkorb verschoben wurde. Diesen Mageninhalt haben Rattei, Zink und ihre Kollegen jetzt nicht nur unter dem Mikroskop untersucht, sondern auch das Erbgut aus dem Essen, sowie Fette, Proteine und andere Biomoleküle analysiert.

Das verzehrte Brot war demnach aus dem Ur-Weizen Einkorn gebacken. Neben Steinbock fanden die Forscher auch Erbgut von Rotwild in Ötzis Magen. Dazu gab es Kräuter, aber anscheinend auch Adlerfarn. Der ist für Mensch und Tier eigentlich giftig. Ötzi könnte kleine Dosen aber aus medizinischen Gründen geschluckt haben. Oder war in die großen Farnblätter der Braten eingewickelt, und Ötzi hat Spuren davon mitverzehrt? Beides halten die Forscher für möglich.

Hoher Fettanteil in der Nahrung

Überrascht hat sie der mit etwa 46 Prozent sehr hohe Fettgehalt der Nahrung im Magen. Ob das gesund war – oder ist –, darüber streiten sich Ernährungswissenschaftler. Verfechter der Steinzeit- (oder „Paläo“-)Ernährung“ etwa bejahen es.

„Wenn wir heutzutage die Ernährung von Menschen in Potsdam untersuchen, nehmen sie mit 38 Prozent ähnliche Fettmengen in Form von Butter, Kuchen, Wurst und anderen Speisen zu sich“, sagt Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke. Solche tierischen Fette liefern zwar einerseits viel Energie und damit Treibstoff, den Wanderer auf Hochgebirgstouren genauso wie heutige Marathonläufer verfeuern. Andererseits steht ein solch hoher Fettkonsum im Verdacht, mit der Zeit Arteriosklerose auszulösen.

Solche Kalkablagerungen zeigen Tomografie-Bilder der Schlagadern, die Ötzis Kopf und Beine versorgten, und seiner Hauptschlagader. Sie verengen die Gefäße und können zu Herzinfarkt, Schlaganfall oder Thrombose führen. Doch die Befunde müssen nicht unbedingt am Nahrungsfett gelegen haben. Auch anders bedingte Entzündungsprozesse können schuld sein. Und sein 2012 entziffertes Erbgut verrät, dass Ötzi ohnehin eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für solche Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatte.

Eine Ausnahme war er auch nicht, denn ähnliche Arterienverkalkungen sind auch bei Mumien in Ägypten, Südamerika oder auf den Aleuten gefunden worden. Das weist darauf hin, dass Herzinfarkt und Schlaganfall eigentlich keine modernen Zivilisationskrankheiten sind. „Solange man Sport treibt und reichlich Bewegung hat, hält sich das Risiko für solche Herz-Kreislauf-Erkrankungen aber noch in Grenzen“, erklärt Pfeiffer. Daran hat sich Ötzi seinerzeit ebenso wie an die Steinzeitdiät gehalten. Genutzt hat es ihm nichts.

Anmerkung: Ein Leser kommentierte, dass das Brot eigentlich nicht zur Steinzeitdiät - also der , die im 21. Jahrhundert als solche propagiert wird - passt. Das stimmt. Wir haben die Textpassage entsprechend geändert. Mahlzeit.

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