zum Hauptinhalt
Eine Gruppe junger Architekturstudenten mit dem Namen "Aktion 507" verweist auf die Unzufriedenheit der Bewohner des Märkischen Viertels. Diese Kritik wird mit Zitaten der Mieter aus dem Märkischen Viertel belegt: ". . . jar nischt jibt't hier, det einzije, wat et hier jibt is Langeweile . . ."

© imago/Steinach

1968 im Tagesspiegel: Das große Buh der Bauwochen - Massive Kritik junger Architekten an der Stadtplanung

Das Wort von der erwünschten Kritik am Berliner Baugeschehen nahmen junge Architekten 1968 ernst.

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 10. September 1968 gab es um Kritik an der Stadtplanung.

Das Wort von der erwünschten Kritik am Berliner Baugeschehen, an gläsernen Modellkästen auffordernd "Stadtplanung geht jeden an!" formuliert, ist ernst genommen worden. Seit Sonntagabend wird die Kritik plakativ im Rohbau des Städtebau-Instituts am Ernst-Reuter-Platz anläßlich der Berliner Bauwochen von gut 100 jungen Architekten und Architekturstudenten in der Ausstellung "Diagnose zum Bauen in West-Berlin" geäußert, ausschweifend theoretisierend zwar in manchen Teilen, aber doch eindrucksvoll genug, um einige der Betroffenen zu gegenseitigem Trost zu veranlassen: "Nimm es nicht so ernst, wir waren ja auch mal jung und mit besten Absichten behaftet."

"Aktion 507"

Ursprünglich hatte die Ausstellung ein anderes, von der Senatsbauverwaltung erdachtes Ziel. Sie sollte die Arbeit der jungen Architektengeneration zeigen. Die Generation tat sich jedoch im Zimmer 507 der TU als "Aktion 507" zusammen, um, wie es in dem Manifest des Kataloges heißt, eine "kritische Analyse des Baugeschehens und der Arbeitsbedingungen" zu erarbeiten. Der Architekten und Ingenieur-Verein sowie der Bund Deutscher Architekten und eine Arbeitsgruppe des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität machten mit, und der Senat gab schließlich auch seine versprochene finanzielle Unterstützung.

Erster Angriffspunkt ist das Eigentum an Grund und Boden und die damit betriebene Spekulation, die sich nicht zuletzt auf die Mietpreise auswirkt. Eines von mehreren Beispielen: 1963 kostete ein Quadratmeter Boden in der Charlottenburger Zillestraße 40 Mark, 1966 bereits 207 Mark. Und als Beispiel einer von der Verwaltung ungewollt geförderten Preissteigerung: "So war es z .B. einer Kapitalgesellschaft möglich, am Kurfürstendamm einen Millionengewinn zu erzielen. Sie kaufte ein Grundstück, beauftragte einen Architekten mit einem massigen, nutzungsintensiven Entwurf, ließ den Senat zustimmen (wobei die Auflage, zu bauen, in Vergessenheit geriet) und entschloß sich zum Weiterverkauf des nun ach so wertvollen Grundstücks." Die Grundstückskosten für einen Quadratmeter Wohnfläche im sozialen Wohnungsbau stiegen nach Darstellung der Aktion 507 von 29 Mark im Jahre 1959 auf 67 Mark im Jahre 1966. Als Lösungsvorschläge bietet die Aktion 507 unter anderem an: Kontrolle der Mietpreise, Entzug des Planungswertzuwachses, Ende der die Preise erhöhenden Subventionen.

Märkisches Viertel

Ein anderes Thema ist das Märkische Viertel und die Unzufriedenheit der dort lebenden Bewohner. Die Architekten und Planer hätten dort an den Bedürfnissen vorbeigebaut, Diese Kritik wird mit Zitaten der Mieter aus dem Märkischen Viertel belegt, die von den Mitarbeitern befragt wurden: ". . . jar nischt jibt't hier, det einzije, wat et hier jibt is Langeweile . . ." Den Gegensatz dazu bilden die Aussprüche der Architekten über ihre Planungsabsichten. Damit verbunden ist der Vorwurf, in entlegenen, unerschlossenen Gebieten Wohnungen gebaut zu haben, während in der City die vorhandenen Räume mit "Spekulationsobjekten zu unerschwinglichen Mietpreisen gefüllt" wurden.

Planungsfehler

Der Verwaltung wird der Vorwurf gemacht, die Öffentlichkeit schlecht oder gar nicht zu informieren und nur in den seltensten Fällen Wettbewerbe auszuschreiben. Dazu wird die Drucksache 359 des Abgeordnetenhauses zitiert: Von 156 Objekten werden 1969 von der Behörde selbst 96 gebaut, 54 direkt an Architekten und jeweils drei durch beschränkte, beziehungsweise öffentliche Wettbewerbe vergeben.

In der Ausstellung wird ferner wegen der zahlreichen Planungsfehler der Vorschlag unterbreitet, an Stelle des Senatsbaudirektors drei Abteilungen zu schaffen, die sich mit der Generalplanung, der vorbereitenden Bauleitplanung und der Plandurchführung beschäftigen sollen, damit "öffentliche Planungsaufträge nicht mehr hinter verschlossenen Türen erteilt" werden.

Stadtsanierung

Von der Stadtplanung ist der Sprung nicht weit zur Stadtsanierung, für die die "Aktion 507" unter anderem die Überführung des gesamten Mietaufkommens in einen zentralen Fonds zur Finanzierung des Bau- und Wohnungswesens in Berlin fordert. Auch der Vorschlag von Professor March, die Randbebauung einzelner Blöcke zu erhalten und zu modernisieren, statt alles abzureißen, soll in Betracht gezogen werden.

Dem Thema Schulbau ist ein weiteres Kapitel gewidmet, und hier gehen die Initiatoren mit den Bauvorschriften ("Blockade des pädagogischen Fortschritts") und dem Senat ("Produktionsstätte funktionswidriger Planungshilfen für den Schulbau") zu Gericht, wobei sie als Verwaltungsmonolog zitieren: "Det ham wa noch nie so jemacht. Det ham wa immer schon so jemacht. Ich hab' die Bestimmungen doch nicht gemacht." Individualerziehung, gleiche Bildungschancen, differenziertes Raumprogramm und Experimente im Schulbau seien dagegen noch immer unerfüllte Forderungen. Der Titel dieses Beitrags lautet: "Wo uns der Schul drückt."

Schließlich die Denkmalspflege, die Erhaltung der gewachsenen Stadt. Dort heißt es "Den Taut haben sie versaut", und gemeint ist damit ein ungefügter Anbau an die Architektur von Architekt Bruno Taut in der Argentinischen Allee, die dadurch ruiniert worden sei. Der Rundgang durch die Ausstellung ist anstrengend, aber lohnend, auch wenn die aufgeworfenen Fragen nicht alle beantwortet werden. Will die Behörde die Kritik ernst nehmen, wird sie Antwort geben müssen.

CDU begrüßt gute Kritik

In einer Stellungnahme zur Ausstellung „Diagnose zum Bauen in West-Berlin" erklärte gestern die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, dort „zeigt eine Gruppe junger Menschen nicht nur Lautstärke, sondern gibt ein Beispiel für gute Kritik". Dem Bausenator, heißt es weiter, sei nirgends der große Wurf gelungen, denn annehmbare Einzelleistungen könnten keine planerische Idee ersetzen.

Alle Artikel der Themenseite 1968 im Tagesspiegel finden Sie hier.

Zur Startseite