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Anja Estrada Pox verleiht elektrischen Muttermilchpumpen und berät Mütter von Säuglingen als zertifizierte Still- und Laktationsberaterin.

© Thilo Rückeis

Babynahrung aus Berlin: Das Geschäft mit der Milchpumpe

Eine Charlottenburgerin ist zertifizierte Still- und Laktationsberaterin. Sie verleiht bundesweit Muttermilchpumpen - das ist zunehmend lukrativ.

Anja Estrada Pox ist wohl das, was man landläufig als „geschäftstüchtig“ bezeichnet. Und risikofreudig. Sie ist 46 Jahre alt, hat drei Kinder. 200 Milchpumpen, die vor Jahren im Keller einer Charlottenburger Apotheke, in der sie arbeitete, verstaubten, brachten sie auf eine offenbar gute Geschäftsidee. Mittlerweile betreibt Estrada Pox mit „Milchwiese“ den größten Online-Milchpumpenverleih und -verkauf dieser Art in Deutschland. Seit Jahresbeginn hat die Unternehmerin am Kaiserdamm zudem einen stationären Laden eröffnet, in dem es nicht nur Stillbedarf, Babyzubehör und einen Raum für die Stillberatung gibt, sondern auch ihr Team sitzt.

Dabei geht es nicht in erster Linie um sogenannte Lifestyle-Pumpen, die Müttern mehr Freiraum verschaffen können. Ihre Firma hat sich auf teure, für den Krankenhaus-Bedarf entwickelte Spezialpumpen spezialisiert: Eltern, deren Baby ein Frühchen oder deren Kind etwa mit einem Herzfehler zur Welt gekommen ist, brauchen diese Milchpumpen und bekommen sie auf Rezept geliehen – weil eine medizinische Indikation vorliegt.

Als studierte Pharmazeutin hatte Anja Estrada Pox zunächst angefangen, in der Apotheke ihrer Schwiegermutter zu arbeiten. Dort habe sie ihre Affinität zu medizinischen Produkten und der Leidenschaft zur intensiven Beratung jahrelang ideal ausleben können. „Aber in mir ruht eigentlich eine alte Handelsseele“, sagt die gebürtige Bremerin, die zum Studium nach Berlin gekommen war und hier ihren mexikanisch-stämmigen Ehemann kennenlernte. Beim dritten Kind stieg sie aus der Apotheke aus. Doch bald sei ihr langweilig geworden – trotz der drei Kinder. Und dabei hatte sie „nebenbei“, wie sie sagt, noch zwei Kinderbekleidungsgeschäfte im selben Bezirk geführt.

200 Milchpumpen fand Pox bei ihrer ehemaligen Konkurrentin im Keller

Es zog sie doch wieder ins Apothekenleben zurück: Diesmal fing sie bei ihrer ehemaligen Konkurrentin am Kaiserdamm an. Dort hatte sie dann die 200 Milchpumpen im Keller entdeckt. Sie pries sie offensiv im Laden an, beriet die Frauen ausführlich – und plötzlich sei diese Sparte, die bei vielen Berufskollegen als Randsortiment im Verkauf gesehen wird, extrem gut gelaufen. Spätestens als Anfragen aus Schleswig-Holstein und dem Harz gekommen seien, sei klar geworden, dass sich hier ein eigener Geschäftszweig entwickelt.

2016 gründete sie die „Milchwiese GmbH“, ihre Apotheken-Chefin wurde Venture-Kapital-Geberin. Pox schrieb einen Business-Plan, bekam ein vom Bund gefördertes KfW-Darlehen und schaffte sich zu den bereits 200 vorhandenen professionellen Elektro-Pumpen für rund 110.000 Euro weitere 100 Milchpumpen an. Und sie investierte in eine „auf groß angelegte IT“, sagt Estrada Pox. Denn eines wusste sie: Das Kellerbüro der Apotheke war hilfreich, doch sie habe von Anfang an darauf geachtet, dass alles cloud-basiert aufgezogen ist, „damit ich von jedem Ort arbeiten kann“.

Sie engagierte Leute, die sich um einen guten Auftritt im Internet kümmerten

Anja Estrada Pox engagierte Leute in Agenturen, die sich um eine gute Präsentation im Internet kümmerten, um SEO und SEA – also die gute Auffindbarkeit der Produkte durch Suchmaschinen – und den Shop gestalteten. Das Team wuchs auf neun Mitarbeitende, wovon zwei im Außendienst tätig sind – sie fahren die elektrischen Milchpumpen, die in großen, Koffern gelagert sind, zu den Kundinnen. Andere wiederum kümmern sich um die Versand-Logistik, wenn die Geräte zu Familien in ganz Deutschland geschickt werden.

Neben den gelben Elektro-Pumpen gibt es bei „Milchwiese“ Kinderzubehör, Stillbedarf und vieles mehr im Angebot.
Neben den gelben Elektro-Pumpen gibt es bei „Milchwiese“ Kinderzubehör, Stillbedarf und vieles mehr im Angebot.

© Thilo Rückeis

Mittlerweile, und nach einem zweiten KfW-Darlehen, sind 1100 dieser hochspezialisierten, elektrischen Pumpen bei der „Milchwiese“ im Verleih. Zwei Euro Leihgebühr pro Tag wird auf die per Rezept verschriebenen Geräte berechnet. Das Doppelpumpset mit der passenden Brusthaube werde aus hygienischen Gründen nicht verliehen, sondern muss grundsätzlich dazu gekauft werden. 48,50 Euro kostet dies für eine elektrische Spezialpumpe. Hinzu kommt eine Kaution von 100 Euro für das Gerät.

Entscheidend sei, dass die A100 fast vor der Haustür liegt, „denn die Stadtautobahn ist unsere Lebensader“, sagt die Unternehmerin. In der Regel müssten die Frauen am Tag, an dem sie aus dem Krankenhaus entlassen werden und eine Milchpumpe vom Arzt verschrieben bekommen haben, beliefert werden. Wenn das Kind nicht rechtzeitig Nahrung bekommt, dann kann es sehr schnell sehr kritisch werden.

Mit Nahrung ist bei Anja Estrada Pox Muttermilch gemeint und nicht die künstliche Säuglingsmilch, die aus Pulver angerührt wird. Das verkündet nicht nur die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Muttermilch für Neugeborene das Beste ist, sondern dies belegen auch zahlreiche Studien. Anja Estrada Pox ist auch Mitglied im „International Board Certified Lactation Consultants" und damit – weil sie ein Examen aus dem medizinischen Bereich hatte – zertifizierte Still- und Laktationsberaterin.

Pox wollte nicht nur Pumpen verkaufen, sondern Frauen auch richtig beraten

Ihr sei es von Anfang an wichtig gewesen, nicht einfach nur Milchpumpen zu verleihen und zu verkaufen, sondern die Frauen auch richtig zu beraten. Wie funktioniert die Pumpe? Was ist der Vorteil eines Doppelpumpsets? Was tun bei Milchstau, bei wunden Brustwarzen? Auf all diese Fragen, die die Kundinnen umtreiben Antworten zu geben, individuell zu entscheiden gehöre auch zu ihrem Business. Und den Frauen die Angst zu nehmen.

„Kann es nicht zu Saug-Verwirrungen kommen, wenn ich abpumpe und die Milch aus der Flasche gebe?“, sind häufig Fragen, die nicht nur in Stillgruppen und Internetforen gestellt werden, sondern auch direkt an sie. „Uns ist super wichtig, dass das Kind an der Original-Pipeline hängt“, sagt Estrada Pox. Allein das Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon, das durch den engen Körperkontakt beim Stillen an der Brust ausgeschüttet wird, sei wichtig für Mutter und Kind. „Aber wenn es medizinisch unabdingbar ist, gibt es wenigstens so die Möglichkeit, das Baby mit Muttermilch zu versorgen.“

Sie bietet auch "stillfreundliche Füttermethoden" an

Deshalb biete sie auch „stillfreundliche Füttermethoden“ in ihrem Sortiment an: also Fingerfeeder-Sets, wo über eine Spritze und ein kleines Hütchen die Muttermilch gefüttert wird oder über einen kleinen Becher. „Doch jede Frau muss das für sich selbst entscheiden, was sie möchte und wie sie sich am wohlsten fühlt. Am besten kann man gut informiert eine Entscheidung treffen“, sagt Pox auch.

Neben den für den Krankenhaus-Bedarf entwickelten elektrischen Spezialpumpen bietet sie im Nebengeschäft auch die kleineren „Lifestyle-Pumpen“, elektrisch oder per Hand zu bedienen im Milchwiese-Sortiment an, denn manche Frauen möchten unabhängig sein, mal ins Kino gehen oder dem Mann die Möglichkeit geben, das Baby mit Muttermilch zu füttern. Die Pumpen gab es schon immer – in Apotheken. Bei „Milchwiese“ sind sie nicht nur online zu kaufen, sondern stehen auch in den Regalen des vor wenigen Wochen eröffneten Ladengeschäfts. „Unser Geld verdienen wir ganz klar mit der Vermietung von Milchpumpen“, sagt Estrada Pox.

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Irgendwann kam ihr die Idee, auch einen stationären Laden zu eröffnen, „eigentlich, weil ich aus meinen zwei Kindergeschäften von damals noch so viel Ware eingelagert hatte“, schildert sie. Als die richtigen Räume unweit ihrer bisherigen Büro- und Lagerräume in der Apotheke frei wurden, praktischerweise am Kaiserdamm, zog sie dort mit ihrer IT-, den Milchpumpen und allerlei Kinderzubehör-Bedarf ein. „Nur Milchpumpen in die Regale zu stellen, erschien mir zu steril“, sagt sie.

Ihre Regale füllen auch Spieluhren, Stillkissen und Kinderzimmerbedarf

Und so füllte sie die Regale noch mit Spieluhren, Stillkissen und allerlei anderem Kinder(zimmer)-Bedarf größtenteils aus Manufakturen und meist mit Material, das als „bio“ deklariert ist. Neulich erst habe sie einen der bekannten mitwachsenden Kinderstühle, die auch zu ihrem Sortiment gehören und wohl in fast jedem Haushalt zu finden sind, nach England verschickt. „Eine Großmutter wollte unbedingt, dass ihr Enkel so einen Tripp-Trapp-Stuhl bekommt“, erzählt Estrada Pox.

Seit sie den Laden führe, habe sie etwas Interessantes festgestellt, sagt sie: Die Leute suchten sich die Ware im Internet in ihrem Shop aus und kämen dann häufig extra hergefahren an den Kaiserdamm, „um das hier im Laden anzuschauen und vor allem anzufassen“, sagt sie. Denn vieles müsse man einfach in den Händen halten, um sich dann zu entscheiden.

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