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BER-Geschäftsführer Engelbert Lütke Daldrup hat selbst nicht viel Zeit zum Fliegen.

© Manfred Thomas

BER-Chef Engelbert Lütke Daldrup: "Berlin darf nicht länger benachteiligt werden"

Berlins Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup spricht im Interview über neue Pläne für Langstrecken von und nach Berlin, den Blick nach Asien und Ärger mit der Lufthansa.

Herr Lütke Daldrup, Sie verlassen Ihren Arbeitsplatz am BER für ein paar Tage, fliegen mit einer Berliner Wirtschafts- und Senatsdelegation nach China. Was wollen Sie dort?

Es geht um neue Langstrecken-Verbindungen für Berlin. Gemeinsam mit der Wirtschaftssenatorin und der IHK werde ich vor Ort mit einer wichtigen chinesischen Airline sprechen. Dann fliege ich weiter nach Hongkong, wo ein weiteres Airline-Gespräch ansteht. Gerade bei asiatischen Gesellschaften ist es sehr wichtig, persönlich präsent zu sein.

Von und nach Berlin gibt es kaum noch interkontinentale Flüge, erst recht seit dem Aus von Air Berlin. Warum versuchen Sie Ihr Glück zuerst in Asien?

Wir haben ja Hainan Airlines schon in Berlin, mit fünf Verbindungen in der Woche nach Peking, die gern sieben Mal fliegen würde. Auch aus anderen großen chinesischen Metropolen wie Shanghai gibt es Interesse an Direkt-Verbindungen in die deutsche Hauptstadt.

Woran scheitert das bislang?

An den Flugrechten. Wir haben Begrenzungen, die weh tun, die die Hauptstadtregion gegenüber München und Frankfurt am Main benachteiligen. Es fehlen uns Flugrechte von und nach China, auch aus Korea und dem mittleren Osten. So würde auch Qatar Airways mehr Flüge nach Berlin anbieten als bislang möglich. Interesse gibt es auch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Darüber reden wir intensiv mit der Politik, also mit dem Bund und Brüssel. Die Hauptstadtregion darf nicht länger benachteiligt werden.

Blockiert da eine unheilige Allianz aus Lufthansa und Bundesverkehrsministerium, wie es Air Berlin schon beklagte?

Es gibt traditionell sehr gute Beziehungen der ehemaligen Staatsairline Lufthansa zu ihrem Heimatministerium. Das ist auch okay. Trotzdem muss Berlin als Hauptstadt eines wichtigen europäischen Landes besser verbunden werden. Gerade in einer Zeit, in der wir weltweit mit protektionistischen Bedrohungen zu tun haben, sollte Deutschland klarer machen, dass wir für freien Handel und Open Sky im Luftverkehr stehen. Anderswo in Europa ist es kaum denkbar, dass eine Hauptstadt bei Flugrechten kaum unterstützt wird.

Warum starten Sie Ihre Offensive jetzt?

Natürlich werden für die direkte internationale Erreichbarkeit, die es in den anderen europäischen Hauptstädten ganz selbstverständlich gibt, erst mit dem BER eine attraktive Infrastruktur haben. Aber gerade Langstrecken brauchen Vorlauf von etwa zwei Jahren. Wir sind zweieinhalb Jahre vor der Eröffnung des neuen Airports. Wir müssen also jetzt daran arbeiten.

Warum dauert es so lange, ehe eine Linie geflogen werden kann?

In der Regel benötigt eine Gesellschaft ein Jahr, um eine neue Linie in ihr Flugsystem zu implementieren. Ein weiteres Jahr dauert der nötige Buchungsvorlauf. Eine Langstrecke kann nicht nur von Spontanbuchungen leben, nicht vom Geschäftskunden, der sich vielleicht am Montag entschließt, am Freitag nach China zu reisen.

Sie lebt davon, dass Menschen private und geschäftliche Fernreisen lange im Voraus planen, Monate oder ein Jahr vorher. Das ist ein strategisches Geschäft. Wir wollen in Tegel erste Schritt gehen, das volle Programm dann ab Herbst 2020 am BER anbieten.

Bisher scheiterten solche Pläne. Warum soll sich das jetzt anders sein?

Die Berliner Lage ist hat sich verändert. Wir sind mittlerweile bei Geschäftskunden deutlich stärker geworden. Man sieht dies schon an der Business-Aviation: Berlin ist da die Nummer Eins in Deutschland. Hier landen mehr Business-Jets von Dax-Konzernen oder anderen Menschen, die privat über Flugzeug verfügen, als in Frankfurt, München, Düsseldorf oder anderswo.

Das hat mit der Bundesregierung zu tun.

Sicher, aber es gibt auch generell eine größere Nachfrage als früher im Geschäftsverkehr, und der ist das Standbein der Langstrecke. Nach fünfzehn Jahren stärkeren Wachstums als im Rest der Republik ist die Hauptstadtregion im Geschäftsverkehr mittlerweile ein relevanter Faktor geworden. Die Menschen wollen nach Berlin. Wenn sie nicht direkt herfliegen können, dann kommen sie über Frankfurt, München, Charles de Gaulle, Amsterdam, Prag oder Helsinki.

Die Lufthansa hat die erst im Dezember gestartete Verbindung nach New York wieder eingestellt. Der Gegenbeweis?

Nein. Alle wussten vorher, auch die Lufthansa, dass der Start einer neuen Langstrecke im Winter besonders schwierig ist. Normalerweise beginnt man mit dem Sommerflugplan. Die Linie startete sehr kurzfristig, fast ohne Buchungsvorlauf. Auch die angebotenen Zeiten und der New Yorker Zielflughafen waren nicht unbedingt günstig.

Ich habe Verständnis, dass die Lufthansa nicht alle Wünsche sofort erfüllen kann. Und man muss auch anerkennen, dass sich Lufthansa und Eurowings stark in Tegel engagiert haben, dort fast 50 Prozent mehr Flüge als als vor einem Jahr abwickeln. Trotzdem: Ich wünsche mir bei der Langstrecke längeren Atem von der Lufthansa.

Was erwarten Sie konkret von der nationalen Airline?

Dass wir im gemeinsamen Interesse neue Verbindungen für Berlin entwickeln, auch in die Vereinigten Staaten. Aus den Marktanalysen wissen wir, dass sich eine Reihe von Zielen in Nordamerika dafür eignen. Es gibt neben New York auch Washington und die Westküste. Und in Richtung Asien ist die Lage so: Wir brauchen entweder mehr Flugrechte oder mehr Angebote der Lufthansa-Gruppe.

Und das würde sich rechnen?

Andere Anbieter, die nach Nordamerika wie Kanada fliegen, zeigen, dass es funktioniert. Auch die Air-Berlin-Strecken in die USA liefen ganz gut. Die Langstrecke war nicht die Schwachstelle von Air Berlin, sondern ein profitables Produkt. Jetzt muss ein neuer Anlauf unternommen werden. Eigentlich ist die Lufthansa unser geborener Partner. Aber wir werden uns nicht allein auf sie verlassen.

War es klug, dass die Politik nach dem BER-Abriss-Fauxpas des Eurowings-Chefs auf die Lufthansa einprügelte?

Für einen Flughafen ist es nie gut, wenn ein Kunde ins Gerede kommt.

Für einen BER-Chef ist das ein interessanter Satz …

Wir sind an einer sehr guten Zusammenarbeit mit allen Airlines interessiert. Eine bessere Anbindung Berlins ist Teamwork mit guter Aussicht auf handfesten Erfolg für alle Beteiligten.

Wie viele Berliner fliegen über Frankfurt oder München in die große weite Welt, weil Direktangebote fehlen?

Wir wissen das ziemlich genau, die Daten sind aber nichts für die Zeitung. Wir haben eine Liste von Top-20-Strecken, bei denen wir Potenzial sehen, dass sie sich ökonomisch tragen können.

Auf welche Flugziele können die Berliner am ehesten hoffen?

Die großen Korridore sind Nordamerika, Fernost und Mittelost.

Da bleibt ja fast nichts mehr übrig.

Na ja, es gibt auch noch Afrika oder Südamerika, da sind wir nicht so ambitioniert. Denn entscheidend ist für uns vor allem die Primärnachfrage, also Punkt-zu-Punkt-Verbindungen von und nach Berlin.

Nach den geplatzten Drehkreuz-Träumen setzen Sie gar nicht mehr auf Umsteiger?

Je mehr Umsteiger, desto mehr Langstrecken kann man generieren. Aber wir sind realistisch: Wir haben den Fokus auf der hiesigen Nachfrage. Gleichwohl stellen wir uns einem neuen Phänomen, nämlich Konnektivität über die Grenzen einer Airline hinaus zu organisieren.

Was verbirgt sich dahinter?

Die Menschen haben kein Problem mehr damit, sich im Internet z.B. einen Flug von irgendwo in Europa mit Easyjet nach Berlin zu buchen und von hier mit Scoot weiter nach Singapur zu fliegen. Die Tickets bucht man zu Hause in einer viertel Stunde am Laptop. Man nennt das Self Hubbing, der Trend geht in diese Richtung. Es bleibt also das Gepäck, das vom Ankunftsgate zum Abfluggate einer anderen Airline gebracht werden muss.

Diese Dienstleistung ist ein Produkt, das wir gerade gemeinsam mit Easyjet entwickeln. Für Berlin ist das besonders wichtig. Mit unseren 33 Millionen Passagieren sind wir der aufkommensstärkste Standort in Deutschland. In Berlin steigen mehr Menschen aus oder ein als in Frankfurt oder in München. Das ist eine Chance, es mit Langstrecken zu verbinden.

Wann soll das System reif sein, noch vor der BER-Eröffnung?

Auf jeden Fall. Ich denke, es wird noch in diesem Jahr in Tegel einsatzbereit sein. Man muss den Gepäcktransfer organisieren und Versicherungsfragen klären.

Fahren Sie das Gepäck dann auch von Tegel nach Schönefeld?

Nein. Es wird auf Tegel begrenzt, weil wir weder den Kunden, noch das Gepäck zwischen Tegel und Schönefeld verlässlich und pünktlich transportieren können. Meine Auffassung ist bekannt: Wir können Langstrecken für Berlin nur gut entwickeln, wenn wir den Luftverkehr mit dem BER künftig an einem Standort abwickeln.

Die Tegel-Debatte läuft weiter. In den anderen Metropolen der Welt gibt es auch zwei oder mehrere Flughäfen. Warum soll das in Berlin nicht möglich sein?

Weil das Aufkommen mit 4,5 Millionen Einwohnern im engeren Einzugsbereich dafür nicht stark genug ist. London oder Paris haben sehr viel größere Einzugsbereiche, so dass sich dort zwei Flughäfen tragen.

Müsste man mit neuen Fernverbindungen auf die BER-Eröffnung warten?

Nein, Air Berlin hatte von Tegel auch zehn Langstrecken, heute fliegen wir fünf. Da geht also etwas. Meine Philosophie ist ein schrittweiser Aufbau.

Und wenn es klappt, würde es um Tegel für die Anwohner lauter?

Tegel hat eine Kapazität von rund 21 Millionen Passagieren. Daran würde sich nichts ändern, es würde auch nicht zu mehr Lärm führen. Da werden sicher keine Jumbos wie im letzten Herbst kommen, als die Lufthansa nach der Insolvenz von Air Berlin so große Maschinen einsetzte. Es wäre neues, modernes und leiseres Fluggerät.

In der jetzt in Kraft tretenden neuen Entgeltordnung wollen Sie Airlines mit Rabatten ködern, um neue Langstrecken aufzulegen. Muss das sein?

Wir tun das, weil wir uns im Markt bewegen. München, Frankfurt oder Düsseldorf haben auch so ein Rabattierungssystem. Das ist gängig, und begründet. Bei jeder neuen Destination gibt es eine Anlaufphase, Anfangsverluste, üblich sind drei Jahre, bis sie sich am Markt etabliert hat. Für diese drei Jahre bieten wir eine Rabattierung bei den Entgelten an.

Gilt das auch für Europaverbindungen?

Nein, für Europaverkehre brauchen wir kein Anreizsystem.

Aber Easyjet hat man damit noch nach Schönefeld gelockt?

Damals. Heute ist die Lage anders. Berlin hat eine so große Nachfrage im Europaverkehr, im innerdeutschen Verkehr, dass solche Anreize nicht mehr erforderlich sind. Wir haben deshalb ja auch die Volumen-Rabatte halbiert, was bei den Airlines nicht gerade auf Zustimmung gestoßen ist. Da bin ich ein konsequenter Rechner: Wir dürfen nur eine Förderung anbieten, wenn es einen zusätzlichen Nutzen gibt. Bei Destinationen in Deutschland und in Europa ist das kein Thema mehr.

Also keine Rabatte für Kurzstrecken?

Nein, da sind keine großen Anreize nötig.

Die Grünen kritisieren die neuen Langstreckenrabatte als unökologisch.

Diese Kritik verstehe ich nicht. Wer von Berlin etwa nach Washington fliegen will, wird das auch tun. Dann ist es doch am ökologischsten, wenn er einen Direktflug nehmen kann, mit einem Start und einer Landung, mit einer Lärmbelastung. Jede Zwischenlandung, jeder Umweg verbraucht mehr Kerosin, produziert mehr Lärm und ist für den Kunden ein Nachteil, weil Zeit verloren geht.

Wegen des unvollendeten BER schreibt die Flughafengesellschaft tiefrote Zahlen, sie braucht von den Eigentümern neues Geld. Können Sie sich da solche Rabatte leisten?

Wir haben das sehr genau durchkalkuliert: Die Langstreckenförderung rechnet sich, und zwar schon in wenigen Jahren. Wir verzichten zwar in den ersten drei Jahren auf einen Teil unserer Einnahmen, verdienen aber insgesamt deutlich mehr.

Es gibt Klagen, dass es für manch Europa-Ziele aus Berlin kaum Verbindungen gibt, man nach Hamburg oder anderswohin ausweichen muss.

Keine Sorge, wir vernachlässigen die Kurzstrecken nicht. In diesem Sommer gibt es in Berlin ein Flugangebot wie nie zuvor. Sicher haben Airlines auch mal Probleme, so wie jetzt bei der eingestellten Paris-Verbindung der Eurowings. Solche Fälle haben manchmal noch mit Umstellungsprozessen der Gesellschaften nach der Insolvenz der Air Berlin zu tun.

Das ist nicht einmal ein halbes Jahr her. Und kaum einer redet noch über die frühere Haupt-Airline der Hauptstadt …

… eigentlich ist es kaum zu glauben, dass wir schon jetzt wieder so viel Verkehr haben, und das vergleichsweise reibungslos nach diesem Einschnitt. Wenn man sich das vor Augen führt: Zehn Millionen Passagiere, ein Drittel unserer Kunden, haben plötzlich ihren Carrier verloren. Es ist eine enorme Leistung der ansässigen Airlines, wie schnell sie das Loch zugeflogen haben. Ab Sommer werden wir in Tegel und Schönefeld mehr Flüge haben als je zuvor.

Es sind starke, auf Wachstum getrimmte Airlines, anders als Air Berlin in den letzten Jahren. Korrigieren Sie die Passagierprognosen nach oben?

Nein, aber wir müssen unsere Wachstumsprognosen auch nicht nach unten korrigieren. Im letzten Jahr sind wir nicht so stark gewachsen wie ursprünglich gedacht, von 32,9 auf 33,3 Millionen Passagiere. Aber wir werden 2018 ziemlich exakt unseren früheren Wachstumspfad wieder erreichen, rechnen in diesem Jahr mit 34 bis 35 Millionen Passagieren.

Angesichts der Engpässe hätten sie froh sein können, wenn es weniger wären …

… wir sind ein Unternehmen, das wachsen wird, weil die Nachfrage wächst. Und die werden wir mit der Eröffnung des BER ab Oktober 2020 qualitativ hochwertig bedienen.

Na ja, es wird in Schönefeld ziemlich eng.

Wir werden im BER ab Oktober 2020 sofort 22 Millionen Passagiere abfertigen können, im dann fertigen neuen Terminal T1E weitere sechs Millionen, am alten Schönefelder Airport 13 Millionen. Dort investieren wir übrigens erheblich in mehr Qualität, fast 50 Mio. Euro. Und den BER werden wir zügig auf 27 Millionen hochfahren, durch Trainingseffekte, durch eine Erweiterung der Gepäckanlage.

Das heißt, wir werden am BER und in Schönefeld zusammen in den ersten Jahren über 40 Millionen Passagiere abfertigen können. Damit kommen wir erst einmal zurecht. Allerdings müssen wir in der ersten Hälfte der 20er Jahre das große neue Terminal T2 bauen, dass wir ab 2025 brauchen. Es wird keine Kathedrale wie der BER, sondern ein funktionales Abfertigungsgebäude im Industriebaustandard.

Glauben Sie, dass irgendwann dann doch ein A 380 am BER abgefertigt wird?

Klar, vielleicht wenn die Emirates nach Berlin fliegen. Zur ILA, die in vierzehn Tagen beginnt, wird man den A 380 in Schönefeld besichtigen können.

Fliegen Sie eigentlich gern und oft?

Ich bin weder ein fanatischer Flieger noch einer, der ein Problem mit dem Fliegen hat. Ich komme vielleicht auf zehn Flüge im Jahr. Die meiste Zeit verbringe ich im Büro, ich bin ja nicht als Reisekader hier, sondern damit der BER endlich fertig wird.

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