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Mit einer Fahne und einer Weste des Bündnisses „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ steht ein Teilnehmer an der Demonstration „Karneval der Enteignung“ in Kreuzberg auf dem Oranienplatz.

© dpa/Paul Zinken

Berliner Enteignungs-Volksentscheid: Vorsitzende der Expertenkommission lobt Kompromiss von CDU und SPD

Der Koalitionsvertrag sieht ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ vor. Ein Mitglied der Expertenkommission hält so ein Gesetz aber für potenziell verfassungswidrig.

Die Vorsitzende der Enteignungs-Expertenkommission, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), begrüßt den von CDU und SPD im Koalitionsvertrag vorgelegten Kompromiss zum Thema. „Als Vorsitzende der Kommission ‚Vergesellschaftung‘ begrüße ich die Verabredung zur Schaffung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes unter Berücksichtigung der Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission sehr“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Der Zwischenbericht der Kommission zeige, dass sie sich mit vielen für ein solches Gesetz bedeutsamen Fragen beschäftige und im Abschlussbericht dazu Aussagen treffen werde. Der Zwischenbericht der Kommission war im Dezember vorgelegt worden.

Der Jurist Tim Wihl, Mitglied der Expertenkommission, kritisierte wiederum die vorgelegte Einigung: „Das vorgesehene Vergesellschaftungsrahmengesetz ist entweder überflüssig oder verfassungswidrig“, sagte er. Überflüssig sei es, wenn es schlicht die im Grundgesetz vorgesehenen Kriterien für eine Vergesellschaftung wiederhole. „Verfassungswidrig ist es, wenn das Gesetz vom Grundgesetz abweichende Voraussetzungen für eine Vergesellschaftung definiert. Das Grundgesetz hat nämlich Vorrang“, sagte Wihl, der von der Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ in die Expertenkommission gesandt wurde.

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Jahre nach seiner Verkündung soll ein mögliches Vergesellschaftungsrahmengesetz in Kraft treten

Der Kompromiss von CDU und SPD war schon vor Vorstellung des Vertrags kommuniziert worden, allerdings nicht mit allen Details. Die Parteien haben sich im Umgang mit dem Enteignungs-Volksentscheid darauf geeinigt, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz vorzulegen – für den Fall, dass die Kommission einen verfassungskonformen Weg dafür sieht. Das Gesetz soll einen Rechtsrahmen und „objektive qualitative Indikatoren bzw. Kriterien“ für eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes festlegen. Selbst wenn es allerdings dazu kommt, dürfte das Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr in Kraft treten.

Denn im Vertrag gibt es den Zusatz: „Das Gesetz tritt zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft.“ Offenbar wollen CDU und SPD Zeit gewinnen. Im Mai will die Expertenkommission ihr Urteil fällen. Danach dürfte es mindestens etwa ein Jahr dauern, bis ein Gesetzesentwurf vorliegt. Schlägt man dann zwei weitere Jahre drauf, dürfte die bis 2026 laufende Legislaturperiode schon vorbei sein.

Experten rechnen mit Klagen

Aber die im Vertrag festgehaltene Regelung hat einen praktischen Grund. Viele Experten gehen davon aus, dass gegen ein solches Gesetz geklagt werden würde. Nach Erarbeitung eines Entwurfs soll also genügend Zeit für eine juristische Prüfung eingeräumt werden. CDU und SPD dürften das mit den schlechten Erfahrungen beim Mietendeckel begründen. Dieser war von der Landespolitik durchgesetzt worden und musste nach juristischer Niederlage wieder zurückgenommen werden.

Das Rahmengesetz bedeutet, dass die Mieter*innen nach zwei weiteren Jahren Verzögerung mit einem juristisch sinnlosen Verhinderungsgesetz dastehen und die Mieten weiter explodieren.

Sprecherin der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“

Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ lässt das nicht gelten. Eine Sprecherin kritisierte am Dienstag erneut den Kompromiss: „Das Rahmengesetz bedeutet, dass die Mieter*innen nach zwei weiteren Jahren Verzögerung mit einem juristisch sinnlosen Verhinderungsgesetz dastehen und die Mieten weiter explodieren.“

Der Rechtswissenschaftler Ulrich Battis verweist darauf, dass die Formulierung im Koalitionsvertrag zum Thema sehr vage ist. „Das ist ein für beide Seiten gesichtswahrender Befriedungsversuch“, sagt er. Die Frage, ob es überhaupt zu Enteignungen auf dem Wohnsektor komme, sei damit noch nicht entschieden. Bei einem Rahmengesetz würden zunächst erst abstrakte Kriterien festgelegt. Eine Entscheidung zur Vergesellschaftung bestimmter Wohnungsunternehmen sei das nicht.

„Der Verweis auf die Verhältnismäßigkeit macht das Ganze viel komplizierter“, ergänzt Battis. Was das genau bedeute, müsse erst ausgelotet werden. Unter Experten ist es umstritten, ob Vergesellschaftungen von Unternehmen gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

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