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Tourismusmarketinginstrument „Berlin Welcome Card“ von visitBerlin.

© imago images/Dean Pictures

Kolumne „Dr. Sommer“: Umfragen zum Berlin-Tourismus sind mit Vorsicht zu genießen

Die jährliche Befragung zur Akzeptanz des Tourismus sagt mehr über die Belange ihres Auftraggebers, als über die Befindlichkeiten der Berliner.

Eine Kolumne von Dr. Christoph Sommer

Seit mittlerweile zehn Jahren wird regelmäßig erhoben, was die Berlinerinnen und Berliner vom Tourismus vor ihrer Haustüre halten. Was anfangs in Reaktion auf einen vermeintlich aufkeimenden „Overtourism“ noch Akzeptanzbefragung genannt wurde, heißt seit ein paar Jahren Stimmungsbild. Letzteres wird jährlich im Auftrag der städtischen Tourismusmanagementorganisation visitBerlin ermittelt, um herauszufinden, wie die Hauptstädter die Licht- und Schattenseiten des Berlin-Tourismus wahrnehmen.

Dies ist nicht uninteressant, schließlich geht es in der städtischen Tourismuspolitik längst nicht mehr nur um Tourismuswerbung, sondern um einen möglichst stadtverträglichen Tourismus. Hierfür ist es wichtig zu wissen, wo der Schuh auf die Stimmung drückt. Doch wie wird ein solches Stimmungsbild eigentlich fabriziert? Und was sagt die Machart dieser Marktforschung bei aller Repräsentativität über die Belange ihrer Macher aus? Und hilft das Ganze irgendwie weiter?

VisitBerlin-Chef Burkhard Kieker (links) und Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (rechts) in diesem Jahr auf der Terrasse des Deutschen Technikmuseums mit einem „Rosinenbomber“, der Berlin in der Nachkriegszeit versorgt hatte.

© dpa / Paul Zinken/dpa

In der Zusammenschau der seit 2012 entstandenen Befragungsergebnisse wird schnell deutlich, dass es zunächst offenbar darum geht, das zu belegen, wofür es in der Tourismusnation Österreich den Begriff der „Tourismusgesinnung“ gibt. Mit Fragen danach, ob man stolz sei, dass so viele Menschen Berlin besuchen, ob man gerne in Berlin lebe, oder glaube, dass Berliner gute Gastgeber seien, werden zunächst sehr hohe Zustimmungswerte generiert.

Stutzig machen eher die Fragen als die Antworten.

Christoph Sommer, Tourismusexperte

Es überrascht nicht, dass über die Befragungsjahre hinweg weit über 80 Prozent der befragten Berliner, diese Fragen bejahen. Stutzig machen eher die Fragen als die Antworten. Und zwar insofern, als dass die den Metropolenstolz stimulieren Fragen nach Stolz und guten Gastgeberqualitäten den Fragen nach den Schattenseiten des Tourismus vorausgehen.

Welche Rolle spielt der „Fragenkontexteffekt“?

Aus wissenschaftlicher Sicht muss hier ein so genannter „Fragenkontexteffekt“ befürchtet werden. Das heißt, die Antworten auf die Fragen zu den Problemen des Tourismus werden möglicherweise durch die vorausgehenden Feel-Good-Fragen in eine weniger kritische Richtung verzerrt. Dieses methodische Problem ließe sich lösen, indem man die ohnehin wenig aussagekräftigen Feel-Good-Fragen einfach mal weglässt – würden sie sich nicht so gut eignen, Tourismus-kritische Sichtweisen erstmal in ein insgesamt ausgeprägtes Wohlwollen einzubetten.

Die Wahrnehmung von tourismusbedingten Problemen empirisch zu ergründen ist ja das eigentliche Anliegen der Befragung. Hier muss man der Erhebung zu Gute halten, dass sie im Laufe der Jahre deutlich differenzierter wurde. Während anfangs lediglich abgefragt wurde, ob und warum Tourismus als „störend“ empfunden wird, zielte die Befragungen zuletzt auch auf die Wahrnehmung des Tourismus an konkreten, allerdings klassischen Orten des Tourismus.

Wenig überraschend also, dass sich in der diesjährigen Befragung 35 Prozent derjenigen, die sich durch Tourismus „eingeschränkt“ fühlen, am Alexanderplatz gestört fühlen. Genauso erwartbar ist der Befund, dass sich Berliner „insbesondere an Wochenenden“ und „in der Freizeit“ gestört fühlen. Wann auch sonst?

(Nur) ein Drittel sagt: Berlin sei durch Touristen „zu voll“

In Summe drängt sich der Eindruck auf, dass man zwar viel Allgemeines, aber wenig Genaues über das Problemempfinden herausfinden möchte. Was tun mit der Erkenntnis (auch aus 2022), dass ein Drittel der Befragten, der Aussage zustimmen, dass es „durch die Touristen zu voll“ sei? Marktforschung droht hier zu einer Geste der Aufmerksamkeit zu werden, wo es stadtgestalterisch verwertbare Informationen bräuchte.

Anschlussfähige Informationen liefert die Befragung dafür umso mehr für Förderung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor. Auch hier wird die Befragung über die Jahre differenzierter. So bejahten in der aktuellen Erhebung immerhin etwa 70 Prozent der Befragten, dass Tourismus „Vorteile für die Berliner bringe“, Steuereinnahmen generiere und „attraktive Arbeitsplätze“ schaffe.

Trotz dieser ausgeprägten Kenntnis des Mehrwerts des Tourismus wird in nahezu jedem tourismuspolitischen Strategiepapier der vergangen zehn Jahre angeregt, die ökonomische Bedeutung des Tourismus gegenüber der Stadtbevölkerung besser zu kommunizieren. Gegen derlei Kampagnen – die jüngste lief unter dem Motto „Berlin braucht seine Gäste“ – ist auch gar nichts einzuwenden.

Ob eine gesteigerte „Wirtschaftsfaktorgesinnung“ die Berliner mit den Widersprüchen des Tourismus versöhnt, darf allerdings bezweifelt werden. Genauso wie der Mehrwert der Akzeptanzbefragung angezweifelt werden darf, die letztlich nur jene Defizite hervorhebt (ausbaufähige Kenntnis der Vorteile des Tourismus), auf die man mit gewohnten Mitteln (Marketing) reagieren kann.

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