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Spitzenmäßig. Foto: Kitty Kleist-Heinrich

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Ballett-Skandal mit Folgen: Hier kann niemand gewinnen

Darf ein Stück von Marco Goecke in Berlin gezeigt werden? Der Hundekot-Fall schadet der Tanzszene insgesamt, sagt unser Autor.

Eine Kolumne von Rüdiger Schaper

Es ist ein absolut einmaliger Vorgang. Das Ensemble des Berliner Staatsballetts soll jetzt mit entscheiden, ob Marco Goeckes „Petruschka“-Choreographie hier einstudiert wird. Der Fall erregte internationales Aufsehen. Goecke hat sich aus dem Tanzbetrieb katapultiert, als er die Kritikerin Wiebke Hüster mit Hundekot attackierte. Diese widerliche Geschichte übertrifft so ziemlich alles, was sich bisher zwischen Künstler und Kritik an Feindseligkeit zugetragen hat.

Harte Worte im Roman

„Tausendsackerment! /Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“ Das stammt vom jungen Goethe. Marcel Reich-Ranicki hielt es für das schlechteste lyrische Werk des Nationaldichters. Da denkt man auch an Martin Walsers Roman „Tod eines Kritikers“, in dem sich Reich-Ranicki (und nicht nur er) aufs Schrecklichste wiedererkannte. Harte Verbalinjurien - aber keine Tätlichkeit, keine Exkremente. Und lange her.

Marco Goecke, ehemaliger Ballettdirektor der Staatsoper Hannover. Foto: Christophe Gateau/dpa

© dpa / Christophe Gateau

Meinungsfreiheit gegen Kunstfreiheit: In der Frontstellung gibt es keine Gewinner. Die in Berlin zur Disposition gestellte Goecke-Choreographie wurde aus Zürich eingekauft, eine qualitative Entscheidung. Diese „Petruschka“ aus dem Jahr 2016 wird durch den Skandal nachträglich nicht besser oder schlechter. Wohl fürchtet die Leitung des Staatsballetts öffentliche Reaktionen, wobei der Begriff Shitstorm plötzlich in etwas anderem Licht erscheint. Die Sozialen Medien zeigen permanent, wie gefährlich Worte sind.

Darüber darf auch Kritik nachdenken. Zum Beispiel gab Wiebke Hüster in der „FAZ“ dem designierten Intendanten des Berliner Staatsballetts Christian Spuck keine Chance. Spuck sei „so geeignet, das Staatsballett Berlin zu führen, wie Justin Bieber, das Amt des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker auszufüllen.“ Der Choreograph werde der Ballett-Tradition nicht gerecht, könne nur „Fragmente des bildungsbürgerlichen Kanons“ schick und postmodern verpacken. Das weiß aber vorher niemand.

Wiebke Hüster ist eine gefürchtete, oft überharte Rezensentin. Und die Tanzwelt ist klein. Da heilen Wunden schlecht. Animositäten gedeihen dafür umso besser. Goeckes irre Revanche für Verrisse löste insgeheim auch manches Grinsen aus. All das schadet der Sache in jeder Hinsicht sehr. Verglichen mit Oper und Schauspiel, Literatur und Film steht der Tanz fast immer zurück. Der Tanz ist hierzulande, möchte man sagen, leider der Underdog der Szene.

Die Kolumne „Ländersache“ erscheint dienstags und kommentiert aktuelle kulturpolitische Themen.

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