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Die Eröffnung des Notaufnahmelagers war ein Großereignis. Die Schaulustigen standen sogar auf den Dächern.

© picture alliance / akg-images/akg-images / Gert Schütz

„Herberge zur Heimat“: Vor 70 Jahren eröffnete Bundespräsident Heuss das Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde

Zu Tausenden flohen Anfang der 50er-Jahre die Menschen aus der DDR. In Berlin errichtete die Bundesregierung ein Notaufnahmelager. Bis heute leben hier Flüchtlinge.

Am 14. April war Bundespräsident Theodor Heuss von Bonn nach Berlin gereist. Er wollte eine wichtige neue Institution im Westteil der geteilten Stadt ihrer Bestimmung übergeben. In nicht einmal einem Jahr war der erste Bauabschnitt des Notaufnahmelagers in Marienfelde fertiggestellt worden, wo Flüchtlinge aus Ost-Berlin und der übrigen DDR nach ihrer Ankunft im Westen aufgenommen werden sollten.

In Betrieb genommen wurde das Lager vorerst noch nicht, die Gebäude waren teilweise noch im Rohbau. Zu Tausenden flohen damals jeden Monat die Menschen und trafen in West-Berlin ein, um dort in eine neue Zukunft zu starten. Die Übergabe des Aufnahmelagers war ein durch und durch politisches Ereignis, bei dem selbstverständlich auch die Vertreter drei West-Alliierten zugegen waren.

Die Rede des Bundespräsidenten richtete sich deswegen nicht nur an die Anwesenden. Die Worte sollten in der DDR vernommen werden. „Der Bundespräsident versicherte der Bevölkerung der Sowjetzone in herzlichen Worten, daß sie von der Bundesrepublik niemals vergessen werde. Das Ziel aller politischen Kräfte in der Bundesrepublik bleibe immer, daß der Strom der Flüchtlinge eines Tages in eine befreite Heimat zurückgelenkt werde“, schrieb der Tagesspiegel.

Notaufnahme wie am Fließband.

Tagesspiegel-Bericht vom August 1953

Heuss bekräftigte die Verpflichtung der Bundesregierung, den Flüchtlingen Asyl zu gewähren, hieß es in dem Artikel. Sie könne ihnen zwar kein Paradies bieten, aber wolle „eine Herberge zur Heimat“ geben.

Es dauerte noch bis Mitte August, bis das neue Notaufnahmelager komplett genutzt werden konnte. Erst zu diesem Zeitpunkt waren all die Behörden, die zur Registrierung und Aufnahme der Flüchtlinge notwendig und zuvor in der gesamten Stadt verteilt waren, als zentrale Flüchtlingsstelle in Marienfelde zusammengefasst.

Als diese offiziell ihre Arbeit am 17. August 1953 – einem Montag – aufnahm, sprach der Tagesspiegel von einer „Notaufnahme wie am Fließband“. Am Wochenende zuvor waren 400 Menschen Flüchtlinge in West-Berlin eingetroffen.

Die Zahlen sollten in den kommenden Jahren noch steigen. Im September 1955 wurde etwa von einem „Flüchtlingsrekord zu Wochenanfang“ berichtet, nachdem an zwei Tagen 1607 Menschen in Marienfelde angekommen waren. Immer wieder war das Lager überfüllt, obwohl es weitere Bauten erhalten hatte und mehreren tausend Menschen Platz bot. Am 20. September 1956 wurde offiziell der einmillionste Flüchtling im Lager aufgenommen. Nach dem Mauerbau im August 1961 brachen die Zahlen ein.

Die Einrichtung war nicht für eine dauerhafte Unterbringung gedacht, sondern sollte wirklich als erste zentrale Anlaufstation der Männer, Frauen und Kinder dienen. Wenn die Formalitäten erledigt waren, wurde der Großteil der Flüchtlinge in die anderen Bundesländer verteilt und aus Berlin ausgeflogen. Der Landweg per Auto, Bus oder Zug durch die DDR war ihnen verwehrt.

1,35
Millionen DDR-Flüchtlinge passierten das Lager.

Bis zum Ende der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands passierten rund 1,35 Millionen DDR-Flüchtlinge das Lager in Marienfelde. Später wurden hier auch Aussiedler aus anderen Ländern aufgenommen. Im Laufe der Jahre wurden die Gebäude zurückgebaut, da nicht mehr so viele Unterkünfte gebraucht wurden.

Im Sommer 2010 wurde das Lager zunächst geschlossen; es schien nicht mehr gebraucht zu werden. Der Bund wollte sich von der Immobilie trennen. Am Eingang sollte die Erinnerungsstätte mit einer Ausstellung auf die bewegte Geschichte des Lagers verweisen. Aber nur wenige Monate später stiegen die Zahlen der Asylbewerber in Berlin wieder stark an. Damals kamen vor allem Menschen aus Serbien und Montenegro, meist Roma, die dort staatlicher Willkür und Repressalien ausgesetzt waren.

Der Senat beschloss, das Gebäude wieder zu reaktivieren und als Unterkunft für Flüchtlinge zu nutzen. Das ist es bis heute geblieben. 2015 verschärfte sich mit der sogenannten Flüchtlingskrise die Situation erneut. Zurzeit leben in Marienfelde rund 800 Menschen aus zwölf verschiedenen Ländern. Viele von ihnen kommen jetzt aus Syrien und Afghanistan.

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