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Schnelles Internet sucht man in Berlin oft vergebens.

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Breitbandausbau für die Wirtschaft: Langsames Internet bedroht Berlins Unternehmer

Für die Wirtschaft wirkt der Mangel an schnellem Internet geschäftsschädigend und wird zum Standortnachteil. Der Senat verspricht jetzt Besserung.

Von Laura Hofmann

Mario Ahlberg hat ein Problem. Er führt eine Unternehmensgruppe mit fünf Firmen, hat 170 Mitarbeiter. In nahezu jedem Mercedes auf der Welt ist ein Teil verbaut, das von der Ahlberg Metalltechnik GmbH entwickelt und konstruiert wurde. Soweit alles gut. Gerade ist das letzte seiner fünf Unternehmen, eine Firma namens Nico, von Marzahn nach Adlershof gezogen.

Und hier beginnt das Problem. Denn die in Marzahn noch vorhandene und für dessen Arbeit notwendige Breitbandinfrastruktur, also ein Internetzugang mit hoher Datenübertragungsrate, fehlt am neuen Standort. Bedeutet: Das Internet ist einfach zu langsam. So langsam, dass es zum Wettbewerbsnachteil werden könnte, fürchtet Ahlberg.

Diese Sorge teilt der Berliner Mittelständler mit vielen anderen Unternehmerinnen und Unternehmern der Hauptstadt. Das zeigt eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Demnach benötigt heute schon jede dritte Berliner Firma schnelleres Internet, als ihr aktuell zur Verfügung steht. Mehr als 70 Prozent der Unternehmen gaben an, eine Bandbreite mit einer Übertragungsrate von 100 Megabit oder mehr pro Sekunde zu brauchen.

Berlin ist im Zugzwang

Das PR-Unternehmen Clarity musste im vergangenen Jahr aus seinem Büro in der Auguststraße in Mitte ausziehen – weil das Netz zu schlecht war. Und der Online-Brillenhändler Mister Spex ließ selbst Glasfaser verlegen, als er sein Logistikzentrum am Siemensdamm eröffnete. Das war notwendig, um vernünftig mit der Zentrale in Prenzlauer Berg kommunizieren zu können.

Wie schlecht es um den Breitbandausbau in Deutschland und speziell in Berlin steht, hat zuletzt eine Untersuchung im März dieses Jahres gezeigt: Der in der vorigen Bundesregierung zuständige Minister Alexander Dobrindt (CSU) hatte bis 2018 eigentlich deutschlandweit Internetanschlüsse mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde versprochen. Dieser Wert wird nach einer Auswertung des Portals Testberichte.de aber nur in vier Städten erreicht. Die deutsche Hauptstadt zählt nicht dazu: Berlin kommt mit 32,88 Megabit nur auf Rang 78.

Alte Kupferkabel sollen bleiben

Langsame Internetverbindungen sind das größte Hindernis bei der Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland. Mit einer durchschnittlichen Netzgeschwindigkeit von 15 Megabit pro Sekunde liegt die Bundesrepublik laut einer Erhebung des Internetunternehmens Akamai weltweit auf Platz 25 – noch hinter Bulgarien und Rumänien. Das Hauptproblem besteht laut Experten darin, dass die Deutsche Telekom auf Entscheidung der Bundesnetzagentur alte Kupferkabel mit der sogenannten Vectoring-Technik aufmotzt und dafür zu wenig Glasfaserleitungen verlegt.

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Für 2025 hat die Bundesregierung ein „lückenloses Breitbandnetz“ versprochen. Doch dass dieses Ziel jetzt schon nicht mehr zu halten ist, zeigte kürzlich ein Bericht des Europäischen Rechnungshofs. Als Begründung nennen die Experten auch hier: Vectoring. Die 15 Ingenieure von Ahlbergs Firma Nico brauchen einen Internetzugang mit einer hohen Datenübertragungsrate, weil sie komplexe Konstruktionsdaten von ihren Kunden empfangen und versenden müssen, zum Beispiel, um die Kabelführung einer Lasermaschine zu entwickeln. Wegen der unzureichenden Internetverbindung verzögerte sich der Umzug zunächst von Februar auf Himmelfahrt.

Alles dauert hier länger

Auch dann war das Glasfaserkabel, das in Adlershof zwar bereits vorhanden war, noch nicht in die Büroräume verlegt worden. Vodafone stellte Ahlberg ein Mobilfunknetz für 100 Megabit zur Verfügung, zum Festnetzpreis. Doch das reichte nicht aus. „Durch das Mobilfunknetz arbeiten wir etwa 20 bis 30 Prozent schlechter“, sagt Ahlberg. Die Folge: Alles dauert länger.

Wirschaftssenatorin Ramona Pop beim Tagesspiegel-Interview bei der Berliner Wirtschaft.
Wirschaftssenatorin Ramona Pop beim Tagesspiegel-Interview bei der Berliner Wirtschaft.

© Kai-Uwe Heinrich

Zum Beispiel, wenn seine Mitarbeiter ein Bild herunterladen, das zeigt, wo die Dichtung in einem Auto entlangläuft. Für Arbeiten, die vorher sechs Stunden in Anspruch genommen haben, brauchen seine Leute nun acht. Ahlberg hat mal überschlagen, was ihn das kostet. Von den 15 Mitarbeitern seien zehn auf das Breitband angewiesen. „Wenn die jetzt zwanzig Prozent weniger arbeiten können, sind das zwei Leute in der Summe, macht etwa 8000 Euro im Monat“, sagt er.

Der Unternehmer engagiert sich deshalb jetzt im Industriebranchenausschuss der IHK unter anderem für den von der Kammer Anfang Juni gestarteten Berliner Breitbandatlas. Dieses Online-Instrument soll erfassen, wo in der Stadt die größten Versorgungslücken im Breitbandnetz sind. In Brandenburg würden so bereits seit zehn Jahren fehlende oder zu langsame Netzzugänge erfasst, sagt Constantin Terton, IHK-Bereichsleiter für Innovation.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hatte vor einigen Wochen angekündigt, eine ähnliche Plattform aufsetzen zu wollen. „Unser Portal startet im zweiten Halbjahr 2018“, teilte Sprecherin Svenja Fritz nun auf Anfrage mit. Die Plattform des Senats soll auch die Ausbaugebiete der Telekommunikationsanbieter integrieren und mit den Daten der IHK zusammengeführt werden – „so werden wir Angebot und Nachfrage durch die Plattform matchen“, sagt Fritz.

Die Sehnsucht nach den Megabit

Schnelles Internet sucht man in Berlin oft vergebens.
Schnelles Internet sucht man in Berlin oft vergebens.

© DPA

Einen Monat nach Start des Breitbandatlas haben ein paar Dutzend Berliner Unternehmen ihren Bedarf gemeldet. Zusammen mit den Brandenburger Firmen sind es über 4000. Auffällig ist, dass in Berlin vor allem hellgrüne Punkte auf der Karte im Netz zu sehen sind: Das bedeutet, hier benötigen Firmen eine Internetgeschwindigkeit von einem Gigabit pro Sekunde. 20 Megabit würden Holger Klempnow schon reichen – noch zumindest. Doch auf die musste er monatelang warten.

Klempnow ist Geschäftsführer der KleRo GmbH für Roboterautomation. Seine 35 Mitarbeiter arbeiten an zwei Standorten: in der Siegfriedstraße in Lichtenberg und in Ludwigsfelde. In der Siegfriedstraße führen seine Leute das gesamte Engineering durch, projektieren Anlagen, konstruieren Roboterlösungen, vor allem für die Fahrzeugindustrie. Zu den großen Kunden zählen auch bei Klempnow die Daimler-Werke weltweit. Die Hauptsoftware der Firma läuft auf dem Server in der Siegfriedstraße, die Mitarbeiter in Ludwigsfelde müssen auf die Daten zurückgreifen, manchmal auch von unterwegs.

Doch das funktioniert nur ab einer gewissen Bandbreite, lange Zeit war das Internet dafür zu langsam. Es kam zu Programmabbrüchen, Mitarbeiter mussten ihr Mobilfunknetz nutzen oder von zu Hause arbeiten. Für den Datenverkehr mit den Kunden griff das Unternehmen auf Cloud-Lösungen zurück, ohne sicher sein zu können, dass die Daten dabei wirklich geschützt waren.

Im Dezember war dann das Kupferkabel verlegt worden, das schnelleres Internet versprach, doch bis der Anschluss freigeschaltet wurde, dauerte es noch ein Vierteljahr. „Da haben die Telekommunikationsfirmen gerade offensichtlich ein Kapazitätsproblem“, sagt Klempnow. Er hält es für wahrscheinlich, dass das Kupferkabel bald nicht mehr ausreicht, um den Bedarf seiner Firma zu decken: „Es kann sein, dass wir nächstes Jahr schon ein Gigabit brauchen“, sagt er.

Es braucht ein „Maßnahmenbündel“

Bei der Berliner IHK sieht man es ganz ähnlich: „50 Megabit pro Sekunde mögen für private Nutzer genügen, um Filme zu streamen oder Apps zu nutzen. Im industriell-gewerblichen Bereich muss das Netz jedoch erheblich schneller werden“, sagt auch IHK-Präsidentin Beatrice Kramm. Sie ist Inhaberin einer Filmproduktionsfirma, die mit großen Datenmengen arbeitet. Das klappe mal gut und mal weniger gut, obwohl ihr Büro in unmittelbarer Nähe zum Ku'damm liegt.

Kriegt Berlin das lahme Internet nicht in den Griff, sieht Kramm die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt gefährdet. „Ich erwarte vom Senat, dass er nach nun gut eineinhalb Jahren Regierungszeit den eigenwirtschaftlichen Breitbandausbau durch die Telekommunikationsanbieter mit einer konsequenten Breitbandpolitik unterstützt“, sagt sie.

Dafür hat die Kammer vier Bausteine formuliert: Zunächst sei ein politisches Glasfaserinfrastrukturziel erforderlich, das nachhaltige und skalierbare Netze sicherstellt. Das schaffe Planungssicherheit bei Unternehmen und Netzbetreibern. Der Senat verweist hier auf den Bund: Die Gewährleistung der Grundversorgung und der sektorspezifischen Regulierung sind Bundesaufgaben.

IHK-Prösidentin, Beatrice Kramm mit Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (M, SPD) und Jan Eder, IHK-Hauptgeschäftsführer.
IHK-Prösidentin, Beatrice Kramm mit Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (M, SPD) und Jan Eder, IHK-Hauptgeschäftsführer.

© picture alliance / Soeren Stache

Außerdem gilt das Primat des Marktes: Demnach sind Telekommunikationsfirmen wie Telekom und Vodafone für die Ausstattung mit schnellem Internet in Deutschland zuständig. Erst wenn die Unternehmen aus Gründen der Rentabilität auf die Investitionen verzichten, darf der Staat eingreifen und selber bauen. „Wir können nur versuchen, die Rahmenbedingungen zu verbessern und zielen genau darauf mit unserem Maßnahmenbündel zum Breitbandausbau ab“, sagt Fritz. Bis Ende September soll dafür eine Auftragsvergabe realisiert werden. Adressieren soll sich das „Maßnahmenbündel“ schwerpunktmäßig an die Berliner Wirtschaft. Vorfahrt für Unternehmensstandorte fordert auch die IHK.

Noch herrscht Daten-Frust

Außerdem: einen landespolitischen Runden Tisch mit allen für den Ausbau relevanten Akteuren. Dies und mehr sei unter dem Label „Breitband-Dialog-Berlin“ vorgesehen, betont die Wirtschaftsverwaltung. Dieser Gipfel mit der Telekommunikations-Branche, den landeseigenen Betrieben und den Bezirken solle der „strategischen Begleitung und Absicherung der Konzept-Umsetzung ‚Breitbandausbau Berlin 2018-2021' dienen, die Gespräche laufen bereits.“

Für Beratungen und Dienstleistungen rund ums Breitband stünden 280 000 Euro jährlich zur Verfügung, weitere 210000 Euro für den nächsten digitalen Funkstandard 5G. Berlin und Brandenburg haben den Bund aufgefordert, sein Breitbandförderprogramm unter neuen Vorgaben fortzusetzen, und zwar in Richtung Netzinfrastrukturwechsel zur Glasfaser. Auch solle der Bund prüfen, die neuerlich geplante Versteigerung von Frequenzen an Versorgungsverpflichtungen der Netzbetreiber zu knüpfen.

Die vierte Forderung der Kammer: Die Ausbaukosten für Geschäftskunden durch Breitband-Voucher abfedern. „Dies diskutieren und prüfen wir momentan, da es für eine Voucher-Förderung bisher in Deutschland weder auf Bundes- noch auf Landesebene Good- oder Best-Practice-Beispiele gibt“, sagt Fritz.

Mario Ahlberg hat für seine Mitarbeiter in den neuen Büroräumen höhenverstellbare Schreibtische aufstellen lassen. „Das motiviert natürlich. Aber genauso demotiviert es, wenn man wegen des langsamen Internets nur eingeschränkt arbeiten kann“, sagt er. Der Verlust, den seine Firma dadurch macht, sei nur schwer in Euro auszurechnen.

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