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Ein an den Rollstuhl gebundener Bewohner sitzt in einem Altenpflegeheim in seinem Zimmer.

© picture alliance /dpa

Corona wütet unter den Älteren: Über 80, Pflegeheimbewohner – und im Stich gelassen

Während die Infektionskurve insgesamt abflacht, schießt sie bei den Hochbetagten in die Höhe. Heimbetreiber und Politik versagen beim Schutz.

Der Schutz der älteren Menschen während der zweiten Corona-Welle funktioniert nicht. Das exponentielle Wachstum der Infektionen in Hinblick auf die Gesamtbevölkerung ist gestoppt, in fast allen Altersgruppen stagnieren die Zahlen der Neuinfektionen oder sinken. Vor allem bei den über 80-Jährigen steigen die Zahlen weiter.

Schon seit Ende September nimmt der Anteil älterer Menschen unter den Coronavirus-Erkrankten wieder zu. Kritischer Ort: Die Pflegeheime.

Immer wieder gab es in den letzten Wochen Meldungen von Corona-Ausbrüchen in Einrichtungen in ganz Deutschland, etwa in Berlin-Lichtenberg, im thüringischen Hildburghausen und in Großwallstadt in Bayern. In Berlin stieg die Zahl der positiv getesteten Menschen in Pflegeheimen binnen zwei Wochen um das Doppelte.

Wirft man einen Blick auf die Inzidenzzahlen, die das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlicht, ist eine besorgniserregende Entwicklung zu erkennen.

Eine klare Strategie fehlt

Die aktuelle Übersicht vom Dienstag zeigt: Während von Ende Oktober bis Ende November die Inzidenzen in den Altersgruppen unter 80 sanken oder maximal um 27 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro sieben Tage stiegen (in der Altersgruppe der 10 bis 14-Jährigen von 109,97 auf 136,54), stieg die Zahl bei den über 80-Jährigen deutlich stärker an: Bei den 80 bis 84-Jährigen um 55,7 (auf eine Inzidenz von 141,82), bei den 85 bis 89-Jährigen sogar um 139,33 auf 252,84 Neuinfektionen pro Woche pro 100.000 Einwohner.

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Bei den über 90-Jährigen stieg die Inzidenz am stärksten um 234 auf 411,52. Zum Vergleich: Die durchschnittliche 7-Tage-Inzidenz der Gesamtbevölkerung lag am Dienstag bei 137 Fällen pro 100.000 Einwohnern.

Zu den hohen Zahlen bei den alten Menschen führt das RKI in seinem Situationsbericht vom 1. Dezember nur knapp an: „Da ältere Personen häufiger von schweren Erkrankungsverläufen von Covid-19 betroffen sind, steigt die Anzahl an schweren Fällen und Todesfällen weiter an.“ Vermieden werden könne dies, indem die allgemeine Ausbreitung des Virus verlangsamt werde.

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Doch obwohl die Ausbreitung nachweislich in anderen Altersgruppen verlangsamt wurde oder sogar rückläufig ist, ist der Schutz der vulnerabelsten Gruppe bislang nicht gelungen.

Warum gelingt der Schutz der über 80-Jährigen nicht?

Die Bundesregierung setzt schon seit Mitte Oktober verstärkt auf eine hohe Anzahl an Corona-Tests in Pflegeeinrichtungen. Laut einer neuen Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums, die am Mittwoch in Kraft treten soll, werden künftig 30 statt bisher 20 Corona-Schnelltests pro Person und Monat in Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stehen.

Mehr Test für mehr Sicherheit – das klingt gut, scheint aber in der Umsetzung nicht zu funktionieren. Der Grund: Bisher scheint überhaupt nur ein Bruchteil der Pflegeeinrichtungen von dem Angebot Gebrauch zu machen.

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Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (Biva) führt derzeit eine deutschlandweite Umfrage unter den Pflegeinrichtungen durch und befragt sie nach den getroffenen Hygienemaßnahmen. Bei denen, die bislang an der Umfrage teilgenommen haben – immerhin 321 stationäre Pflegeeinrichtungen – geben keine fünf Prozent an, dass sie die Schnelltests bereits einsetzen.

Testkonzepte müssen bewilligt werden, Kliniken in Vorleistung gehen

Bei den anderen hapert es laut Biva-Sprecher David Kröll an dem erforderlichen Konzept der Einrichtung (44 Prozent) oder daran, dass das Gesundheitsamt das Konzept noch nicht genehmigt hat (33 Prozent). Der Hintergrund: Für die Anwendung der Schnelltests muss ein Konzept vorgelegt werden, das erst bewilligt werden muss.

Ein weiteres Hindernis sieht Kröll darin, dass die Einrichtungen für die Schnelltests in Vorleistung gehen müssen. „Wir hätten uns in dem konkreten Fall der Tests mehr Hilfestellung für die Einrichtungen bei der Erstellung der Konzepte und der Beschaffung gewünscht“, so Kröll.

[Mehr zum Thema: Immer mehr Infizierte in Heimen – warum kann Berlin die Alten nicht schützen?]

Die Hilfestellung soll nun kommen. Auf Nachfrage erklärt der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus, er erarbeite derzeit mit Unterstützung von Verbänden, dem Bundesgesundheitsministerium und Experten des RKI eine Handreichung für Pflegeeinrichtungen. Man habe vor etwa sechs Wochen festgestellt, dass es immer noch vereinzelt Schwierigkeiten bei den Besuchsregelungen einzelner Einrichtungen gebe und sich dann zur Erstellung der Handreichung entschieden.

Balance zwischen Gesundheitsschutz und Schutz vor Vereinsamung

Dabei soll die „Balance zwischen dem Schutz vor Corona und dem Schutz vor Vereinsamung“ im Mittelpunkt stehen. Westerfallhaus betont aber auch: „Einen hundertprozentigen Schutz vor dem Virus kann es nicht geben.“ Einrichtungen, in denen ein Ausbruch trotz eines guten Hygienekonzepts erfolge, dürften nicht an den Pranger gestellt werden. Dies, so Westerfallhaus, sei allerdings alles andere als leicht. Er sieht die stationären Langzeitpflegeeinrichtungen in der zweiten Welle besser gewappnet als noch im Frühjahr.

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Bleibt die Frage, warum die Bundesregierung erst so spät reagiert – und ob im Sommer nicht wertvolle Zeit verschenkt wurde. Aus Sicht von Katrin Markus, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, ist dies der Fall: Die Politik habe versäumt, frühzeitig wirksamere Schutzmaßnahmen für ältere Menschen zu schaffen, kritisiert Markus.

Obwohl man gewusst habe, dass eine zweite Welle komme, seien weder Besuchsregeln für Pflegeheime verbindlich festgelegt worden, noch seien die organisatorischen Vorkehrungen für umfassende Schnelltests getroffen worden. Eine stärkere Isolation der Risikogruppe ist für sie keine Option.

Isolation soll unbedingt vermieden werden

Das betonte am Mittwochmorgen auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie im Deutschlandfunk: „Das Gebot der Stunde“ sei, Isolationsbedingungen zu vermeiden. Die Diakonie hat am Mittwoch eine repräsentative Studie zur Situation in den Pflegeeinrichtungen veröffentlicht. Ein Ergebnis: Schutzmaterial sei aktuell zwar – anders als während der ersten Corona-Welle im Frühjahr – ausreichend vorhanden, aber man warte auf genügend Tests.

„Die Fachleute sagen, man muss zweimal in der Woche die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Mitarbeitenden testen, das ist im Moment in der Fläche noch gar nicht gewährleistet, und das muss jetzt besser werden“, erklärte er.

Es hänge an „logistischen Problemen“ und der Umsetzung durch die Behörden. In der Fläche seien die versprochenen Tests noch nicht angekommen, weiß auch er zu berichten. Dafür müsse nun auf Landes- und kommunaler Ebene endlich gesorgt werden.

Was bedeutet das für Weihnachten?

Besuche an Weihnachten zu ermöglichen, „das ist unser größtes Anliegen“, sagt Lilie. Der Bundesbeauftragte für Pflege, Andreas Westerfellhausen, hatte kürzlich erst ein Schichtsystem für Weihnachtsbesuche vorgeschlagen.

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel wiederholt er diese Idee: „Durch eine Entzerrung der Besuche und Vermeidung von Stoßzeiten sollte es möglich sein, seine Lieben zu sehen und dennoch dem Infektionsschutz angemessen Rechnung zu tragen.“ Wichtig sei, dass die Pflegeinrichtungen jetzt damit beginnen, ein Schicht-Besuchssystem zu planen. Das sollten sie mit den Bewohnern und deren Angehörigen absprechen.

Ob Besuche bei den gefährdetsten Verwandten verantwortbar sind, bleibt fraglich. Katrin Markus von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen sagt: „Diese Entscheidung muss jede Familie für sich treffen und dabei die Bedürfnisse und Wünsche aller berücksichtigen.“ Eine drastische Reduzierung der Kontakte vor Weihnachten könne dabei helfen.

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