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Immer wieder haben sich Aktivist:innen der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ in den vergangenen Monaten auf Berliner Straßen festgeklebt.

© REUTERS / Foto: Reuters/Fabrizio Bensch

Das Amtsgericht zur Bühne gemacht: Klimademonstrant nach Straßenblockaden in Berlin zu Geldstrafe verurteilt

Ein bekannter Aktivist der Gruppe „Letzte Generation“ muss sich in Berlin wegen versuchter Nötigung verantworten. Im Gerichtssaal kommen ihm die Tränen.

Es passiert selten, dass eine Richterin den Angeklagten für seine Redekünste lobt. „Es war keine unangenehme Verhandlung“, sagt Juliane Gschwendtner zum Klimaaktivisten Henning Jeschke, dem bekanntesten Gesicht der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“. „Sie können sehr gut reden. Es ist schön, Ihnen zuzuhören.“ Mehrfach während des Prozesses bekundet sie ihre Sympathie für die Ziele der Bewegung. „Aber Sie werden nicht das erreichen, was Sie damit erreichen wollen.“

Es passiert ebenfalls selten, dass ein Angeklagter die schlichten, weißen Räume eines Amtsgerichts derart zu seiner Bühne macht wie Jeschke in Tiergarten, Saal 1002. Und dazu hat er ausgiebig Gelegenheit – denn der Aktivist verteidigt sich selbst. Wer sich als Retter der menschlichen Zivilisation betrachtet, der braucht keinen Anwalt. Die Dringlichkeit der Klimakrise entwaffnet das juristische Kleinklein, so die Logik.

„Sie machen sich zur Komplizin der Vernichtung von Menschen“, schleudert er der Richterin entgegen. Ein Auftritt zwischen Hybriss und Weltenrettung: „Wählen Sie, auf welcher Seite der Geschichte Sie stehen.“ Die Erderhitzung lasse nur Raum für Schwarz und Weiß. Schon in wenigen Jahren seien „Kipppunkte“ erreicht, deren Überschreiten das Leben auf der Erde unerträglich mache. „Mit Molekülen kann man nicht verhandeln.“

Henning Jeschke gemeinsam mit der Aktivistin Lea Bonasera beim Hungerstreik der letzten Generation im vergangenen Jahr.

© picture alliance/dpa / Jörg Carstensen

Aber mit Gesetzen auch nicht. Jeschke klebte sich am 24. Juni auf einen Streifen der vielbefahrenen Seestraße im Berliner Wedding. Allein an diesem Tag blockierte die „Letzte Generation“ den Stadtverkehr an sechs Stellen. Andere Protestierende wollten mit Jeschke zusammen die Straße komplett blockieren, er war aber der Einzige, den Polizeibeamte nicht rechtzeitig daran hinderten.

Schuldig, so lautet nun das Urteil. Versuchte Nötigung. 20 Tagessätze zu je zehn Euro muss Jeschke zahlen, außerdem die Verfahrenskosten. Und die beschlagnahmten Sekundenklebertuben bekommt er auch nicht zurück.

Jeschke, das war der, der im vergangenen Herbst den Hungerstreik getreten war, um Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem Gespräch zu zwingen. Das bekam er schließlich auch – und unterbrach Scholz dann ständig, schrie ihn an, weinte. Auch im Gerichtssaal kommen ihm die Tränen, als er aus einer Rede des UN-Generalsekretärs António Guterres zitiert. Von einem „Zwangsmarsch ins Verderben“ hatte der gesprochen.

In der Verhandlung stellt Jeschke Antrag um Antrag

Aber wie schon im Gespräch mit Scholz scheitert die Verständigung auch jetzt an einer gemeinsamen Sprache. „Den Klimanotstand stellt niemand in Abrede“, sagt die Richterin schon zu Beginn. Dennoch stellt Jeschke Antrag um Antrag: will, dass im Verfahren nur noch von „Klimanotstand“ gesprochen wird, weil der Begriff „Klimawandel“ aus der Feder der Fossil-Lobby stamme; will einen Klimaforscher über die Dringlichkeit des Problems anhören lassen; dann auch noch Ex-Grünenchef Jürgen Trittin, um zu belegen, dass nur Straßenblockaden genug politischen Druck ausübten.

Die Richterin hört sich das an, lacht, legt den Kopf auf die gefalteten Hände. Alle Anträge werden abgelehnt. „Herr Jeschke, sind wir jetzt am Ende?“ – „Ja, sind wir. Die Zivilisation ist am Ende.“

Es braucht keine Beweise. Die Ergebnisse der Klimaforschung sind eindeutig, das macht auch die Richterin klar; die politische Umsetzung der nötigen Konsequenzen aber nicht. Und erst recht nicht die juristische Bewertung des Ganzen. Das Versammlungsrecht der Protestierenden steht gegen die Bewegungsfreiheit der Autofahrer:innen. Eine Abwägungsfrage. „Ich finde es schwierig, Sie auf die Möglichkeit des friedlichen Protestes zu verweisen“, sagt die Richterin. „Aber das hier kann es auch nicht sein.“ Er werde „jederzeit“ wieder so handeln, erklärt der Klimaaktivst. Beide wissen: Sie werden sich wiedersehen.

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