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Berlin: Die guten und die protzigen Helfer

Bei der zehnten Aids-Gala gab es nie da gewesene Höhen und Tiefen. Nur einer war wie immer Spitze: Loriot

Loriot, als er sich, „wie immer zum letzten Mal“, verabschiedete, war einfach großartig. Die Herzen flogen ihm zu, schon weil er so gut war wie nie zuvor. Und weil auch das Finale so bewegend war, wie nie zuvor. All diese großartigen Solisten traten auf die Bühne, um gemeinsam „Brüderlein und Schwesterlein“ zu singen, die Diven in ihren langen goldglänzenden und orangerot leuchtenden Roben und die Tenöre, die vorher Bravorufe empfingen, jetzt vereint mit großer Glut Johann Strauß huldigend. Und sie hatten Spaß dabei, das sah man. Auch nachher noch, als auf der Bühne ein Feuerwerk entzündet wurde, mit Goldregen und Goldfontänen und Gold sprühenden kleinen Raketen und die Diven und die Tenöre vom Bühnenrand aus zuguckten, halb im Vorhangdunkel schon stehend, und sich umarmten und hüpften wie Kinder bei einer übermütigen Feier. Diesem schönsten Moment aller AidsGalas folgte unmittelbar darauf der peinlichste Moment aller Aids-Galas.

Aber das passt ja vielleicht zu einem runden Geburtstag, denn es war bekanntlich die zehnte Gala dieser Art. Gerade also, als alle Herzen hüpften wie die Diven zur „Donner-und-Blitz“-Polka von Johann Strauß und sich darauf freuten, Loriot mit einer stehenden Ovation feiern zu können, trat plötzlich eine viel zu blonde Moderatorin in einem viel zu giftgrünen Kleid auf die Bühne. Und was sagte Ulla Kock am Brink?

Sie sagte, der oberste Boss vom Kosmetikkonzern MÄC müsse nun dringend einen Scheck überreichen, und Geraldine Chaplin assistiere ihm dabei. MÄC-Boss John Demsey kommt also raus und wedelt mit einem riesigen symbolischen Scheck über 40000 Euro. (Oder waren es 50 000? Sorry, es war einfach zu entsetzlich, um Notizen zu machen). Geraldine Chaplin findet das pflichtgemäß „great“ und hat hoffentlich mehr als schlappe 40 000 Euro Honorar dafür bekommen. Und wer immer den MÄC-Boss, der doch ganz passable Lippenstifte macht, und Geraldine Chaplin, die eine tolle Schauspielerin ist, in diese Situation gebracht hat, möge sich bitte setzen und schämen. Dies ist Berlin, Stadt der Kulturen und Kulturvollen. Der Bundespräsident musste das mit ansehen. Und der amerikanische Botschafter auch. Und lauter A-Klasse-Promis. Da kann man noch so oft wie die Ex-Bundesministerin Andrea Fischer sagen: „Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier. Hauptsache, es bringt Geld.“ Es gibt einfach Grenzen. Wenn sogar trockene Juristen peinlich berührt zur Seite gucken, dann ist es nicht gut gelaufen.

Irgendein Hersteller von passablen Lippenstiften müsste sich auf der Welt doch finden lassen, der in der Lage ist, diskret einen Überweisungszettel auszufüllen. Weil es schließlich um eine gute Sache geht. Und nicht um Lippenstifte. Vielleicht hätte Klaus Wowereit einfach Englisch reden sollen in seiner Ansprache, wie die Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer, die so schöne Sätze sagte wie den von der Kunst, die in ihrem tiefsten Wesen ein Widerstand gegen den Tod sei. Der Regierende jedenfalls kann wirklich wunderbar über das Helfen sprechen und darüber, dass es durchaus nicht reicht, immer nur mit riesigen Schecks zu wedeln, sondern dass es auch Menschen braucht, die rausgehen und für andere da sind, auch für Leute, die sie nicht mal kennen. Wenn er nicht so ein glamouröser Bürgermeister wäre, der mit Alice Schwarzer ebenso souverän und amüsiert plaudert wie mit Nadja Auermann, wäre er auch ein guter Missionar geworden.

Die anschließende Party war dann wieder sehr nett. Der VIP-Bereich wie immer martialisch abgeschirmt von Schulter an Schulter stehenden Bodybuildern, so dass man kaum sehen kann, wie schön verträumt Wolfgang Clement zum Büfett geht und wie gut dem Bürgermeisterfreund Jörn Kubicki die Erinnerung steht an jenen Abend vor zwei Jahren, als er hier in die Gesellschaft eingeführt wurde.

Diejenigen, die draußen bleiben müssen, haben es auch gut, denn sie dürfen sich für einen Moment auf die Bühne stellen, dorthin, wo vorhin Grace Bumbry so rührend von dem Herzen gesungen hat, das sich für eine Stimme öffnet. Sie können sich vorstellen, wie es ist, von der Bühne aus zum Publikum aufzuschauen, das diese Stimme hören will. Vielleicht fragen sie sich, wieso die Stimmen, auch die von Jochen Kowalski und René Pape und all den anderen, ausgerechnet an diesem Abend so besonders schön geklungen haben. Obwohl sie um der guten Sache willen nicht mal Geld genommen haben. Das ist jetzt natürlich kein Ersatz für eine stehende Ovation für einen Mann, der besser war als je zuvor und diese Woche 80 wird: Aber trotzdem, Herr Loriot, so oft Sie noch kommen (und hoffentlich oft!), man wird Sie immer als 79-Jährigen feiern.

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