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Der Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité, Johann Pratschke.

© Tagesspiegel

Diskussion um Organspenden: Transplantation funktioniert nur mit Spendern

Johann Pratschke ist Transplantationschirurg. Er wünscht sich die Widerspruchslösung für Organspender. Ein Besuch im Berliner Virchow-Klinikum.

Johann Pratschke ist fassungslos, manchmal sogar „ein wenig“ wütend, wie er sagt. Das will was heißen, denn der Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité ist eigentlich ein ruhiger und besonnener Mensch. Das muss er auch sein, denn er ist Transplantationsmediziner – Emotionalität und eine ruhige Hand beim Operieren vertragen sich nicht. Doch jetzt steht gerade keine Transplantation an, da kann man Klartext reden. Wir sitzen mit Johann Pratschke in seinem Chefarztzimmer im Virchow-Klinikum.

Draußen scheint die Sonne, ein warmer Sommertag. Hier drin geht es um die Definition des Hirntods, ums Lebenretten und darum, warum in Deutschland so wenige Menschen nach ihrem Tod mit ihren Organen Leben retten wollen. „Wir diskutieren in Deutschland schon so lange darüber, dass es zu wenige Organspenden gibt“, sagt er. „Und trotzdem tut sich nichts.“ In Österreich dagegen habe die Politik schon vor einiger Zeit deutlich gesagt, dass man die Organspende wolle.

Das Signal, dass die Gesellschaft hinter diesem Anspruch steht, war die Einführung der Widerspruchslösung. Danach gilt jeder volljährige Österreicher als potenzieller Organspender, es sei denn, er hat explizit widersprochen. „Die Spenderzahlen sind dort drei Mal so hoch wie in Deutschland, wo einer Organspende aktiv zugestimmt werden muss.“ In Österreich warte ein Nierenpatient einen Bruchteil der Zeit auf ein Organ, die in Deutschland üblich ist. Leberpatienten könne man in der Alpenrepublik binnen eines Viertel- oder halben Jahres transplantieren. In Berlin hingegen betrage die durchschnittliche Wartezeit auf eine Lebertransplantation inzwischen fast ein Jahr. „Mit der Transplantation haben wir ein hoch effizientes Therapieverfahren – und es wird hierzulande schlicht ignoriert“, redet sich Johann Pratschke langsam in Rage. „Die Gesellschaft muss sich fragen: Wollen wir diese Therapie überhaupt? Wenn ja, dann müssen wir auch etwas dafür tun.“

Ein Statement für das Leben

Die Widerspruchslösung wäre ein Statement für das Leben, meint der Mediziner. Doch bei aller Engagiertheit argumentiert er nicht dogmatisch. Er kann nachvollziehen, dass manche eine Organspende ablehnen, weil sie fürchten, zu früh für tot erklärt zu werden, nur um schneller an ihre Organe zu kommen. „Sorge vor etwas Unbekanntem zu haben, ist jedermanns Recht.“ Aus wissenschaftlicher Sicht aber sei die Angst unnötig: Jemand, der hirntot sei, den könne man nicht mehr zurückholen. „Darauf vertraue ich. Wenn ich eines Tages als hirntot diagnostiziert werde, dann bin ich tot. Punkt.“

Die Emotionalität des Chirurgen verwundert nicht, wenn man ein, zwei Zahlen von ihm hört. Der 53-Jährige hat in seinem Berufsleben schon mehr als 1000 Organe transplantiert, hauptsächlich Nieren, Lebern und Bauchspeicheldrüsen. Das ist die eine Zahl, die zeigt, mit wie viel Leidenschaft der Arzt diese lebensrettende Therapie nutzt, seit er sich vor knapp 20 Jahren auf die Transplantationsmedizin konzentriert hat. Die andere Zahl: Etwa jeder zehnte seiner Patienten verstirbt während der Wartezeit auf das lebensrettende Organ, weil es nicht genügend gibt.

Tod und Leben liegen in der Welt von Johann Pratschke und seiner Kollegen dicht beieinander, denn zu den Aufgaben der Transplantationsmedizin gehört es auch, die Organe dem verstorbenen Spender zu entnehmen. Transplantationschirurgen springen über die Grenze zwischen Tod und Leben hin und her. Wenn sie Spenderorgane herausoperieren, arbeiten sie auf der einen Seite, wenn sie Organe implantieren, auf der anderen.

Kritik an der eigenen Zunft

Die Entnahme ist ein besonderer Eingriff. Einer, der dem Patienten auf dem OP-Tisch nicht helfen soll, sondern einem anderen, womöglich weit entfernt. Das kann für den Operateur eine Belastung sein, besonders dann, wenn der Spender sehr jung ist. „Die Vorgeschichte für die Spende ist ja eine Katastrophe für die Beteiligten“, sagt Johann Pratschke, der schon zig Organentnahmen durchgeführt und selbst Kinder hat. Da sei es emotional nicht so einfach. „Auf der anderen Seite – und das hilft auch mir in solchen Situationen – sieht man sehr unmittelbar die Sinnhaftigkeit dessen, was man da tut, das Gute, das daraus entsteht.“

Und doch – auch hier scheut Pratschke keine deutlichen Worte – sind die Transplantationsmediziner in Deutschland nicht ganz unschuldig am Organmangel. „Wir sahen uns mal als elitäre Königsdisziplin, die die Grenze zwischen Leben und Tod verschieben konnte. Dadurch entstand eine gewisse Überheblichkeit.“ Aber das habe sich durch die Skandale um manipulierte Wartelisten geändert. „Es ist immer noch eine sehr anspruchsvolle, belohnende und ästhetische Chirurgie – aber wir haben Federn gelassen.“ Und das auf eine zum Teil heftige Weise.

„Unsere Fachrichtung hat man zwischenzeitlich fast kriminalisiert, was es schwermacht, Nachwuchs zu finden, weil viele Medizinstudenten denken, da stehe ich ja mit einem Bein im Gefängnis.“ Früher hätte man sich über die Erfolge und Misserfolge der Transplantationsmedizin unterhalten, heute gehe es immer noch um die Skandale. „Aber das hat zu einem Gesundungsprozess geführt.“ Das ganze Prozedere der Organspende wurde überarbeitet, Möglichkeiten der Manipulation ausgeräumt. „Alles richtig und dringend nötig, aber eines darf man dabei nicht vergessen: Da waren keine bösen Menschen am Werk, sondern Ärzte, die ihren todkranken Patienten helfen wollten und darüber die professionelle Distanz verloren.“

Objektiv und bürokratisch

Aus diesem Grund ist die Zuteilung von Spenderorganen reguliert, bürokratisiert und entemotionalisiert. Dazu gehört, dass der Chirurg, der die Organe entnimmt, diese üblicherweise nicht einpflanzt. So sollen Interessenkonflikte vermieden werden. Wenn in einem Krankenhaus ein Patient stirbt, der als Organspender in Frage kommt, wird dieser von dortigen Ärzten identifiziert und an die Deutsche Stiftung Organtransplantation gemeldet. „Wenn das im Berlin-Brandenburger Raum ist, kommen wir ins Spiel“, sagt Chefarzt Pratschke. „Dann übernehmen wir als spezialisierte Chirurgen die technische Dienstleistung, wir entnehmen die Organe und machen sie versandfertig.“ Man entscheide nicht, ob der Hirntod eingetreten ist, sei aber verpflichtet zu prüfen, ob die Diagnostik vor der Entnahme vollständig war. Mit der Verteilung der entnommenen Organe habe man nichts zu tun.

Selbst die Platzierung auf der Warteliste ist objektiviert. Am Anfang steht eine intensive Untersuchung des Patienten, für den eine Transplantation in Frage kommt. „Wir schätzen ab, ob der Patient fit genug ist, eine solch schwere Operation körperlich durchzustehen.“ Fällt die Bewertung positiv aus, melden die Ärzte ihren Patienten an Eurotransplant, in dem acht europäische Länder für die Organverteilung verbunden sind. Der Kranke kommt auf die Liste – und das Warten beginnt. „Die Chirurgen habe in dieser Zeit in der Regel keinen Kontakt zu dem Patienten.“ Ein passendes Organ bekommt derjenige, der in der Warteliste oben steht. Auf welcher Warteposition man landet, hängt von vielen Kriterien ab, die in Punkte umgerechnet werden: Dringlichkeit, körperliche Verfassung, Begleiterkrankungen und vieles mehr.

Kann Eurotransplant ein passendes Organ anbieten, kommt der Chirurg wieder ins Spiel. „Stellvertretend für den Patienten, den wir beim Aufklärungsgespräch um sein Vertrauen bitten, dass wir in seinem Sinne die richtige Entscheidung treffen, akzeptieren wir das angebotene Organ und pflanzen es ein.“

Wahrscheinlich ist das das Allerwichtigste an der Organspende: Vertrauen. Vertrauen, dass die Spende nur erfolgt, wenn der Hirntod eingetreten ist. Vertrauen, dass die Ärzte den Willen von Verstorbenen respektieren. Vertrauen, dass Politik und Gesellschaft die Organspende fördern. Vertrauen, dass Spenderorgane professionell und gerecht verteilt werden und vor allem Vertrauen, dass sich möglichst viele Menschen entscheiden – für das Leben.

Dem Thema Organspende widmet sich die Podiumsdiskussion „Auf Herz und Nieren – was ist die Lösung für mehr Organspenden?“ am 24. September ab 19 Uhr. Die Veranstaltung im Tagesspiegel-Haus am Askanischen Platz in Berlin Kreuzberg wurde gemeinsam mit dem Landesverband Berlin- Brandenburg des Marburger Bundes organisiert. Mit dabei sind unter anderem der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, der Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin, Volkmar Falk, der Ärztliche Direktor der Charité, Ulrich Frei, und der Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Detlef Bösebeck. Die Veranstaltung ist kostenlos. Informationen und Anmeldung unter der Internetadresse www.marburger-bund.de/landesverbaende/berlin-brandenburg/aktuelles. Eine Woche zuvor, am 16. September, wird der gesamten Auflage des Tagesspiegels ein Organspendeausweis beiliegen. Außerdem hat die Zeitung zu dem Thema ein E-Magazin herausgebracht, dessen Beiträge auf 36 Seiten das Thema Organspende in Deutschland von vielen Seiten beleuchten. Das Magazin heißt „Hand aufs Herz“ und kann kostenfrei bestellt werden unter tagesspiegel.de/organspende.

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