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Schule und Erziehung sollten nicht dem strikten Wettbewerbsgedanken unterworfen sein

© Frank Molter/dpa

Einschulung in Berlin: Die Eventisierung des ersten Schultages

Manchmal ist die Einschulung für Eltern eine härtere Prüfung als für die Kinder. Sie sollten nicht zu hohen Erwartungen ausgesetzt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Til Knipper

Jetzt geht es endlich los: 33.900 kleine Mädchen und Jungs, viele nur unwesentlich größer als ihr neuer Ranzen, kommen in Berlin in die Schule. Für die neuen Erstklässler ist es ohne Frage einer der aufregendsten Tage ihres bisherigen Lebens. 33 900-mal riesige Vorfreude, unbändige Neugier, grenzenlose Wissbegierde und das erhebende Gefühl, nicht mehr zu den Kleinsten zu gehören. Nicht der Ernst, sondern der Spaß des Lebens kann beginnen. Das kann Schule nämlich im Idealfall auch sein – und das darf und soll entsprechend gefeiert werden.

Aber muss man es deswegen gleich so übertreiben? Es gibt seit einigen Jahren einen Trend zur Eventisierung des ersten Schultages. Eltern überbieten sich bei Gestaltung und Füllung der Schultüte. Die Geschenkliste ist länger als der Wunschzettel von Geburtstag und Weihnachten zusammen. Großeltern und Paten reisen extra von weit her an. Restaurants mit Einschulungsbuffets sind schon lange reserviert, für den Nachmittag werden Clowns, Superhelden oder Kutschfahrten gebucht. Agenturen bieten die Organisation des Tages als Paket an. Die Einschulungsfeier droht zum Statussymbol zu werden.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Niemandem soll hier die Feierlaune verdorben werden. Grundsätzlich ist es natürlich zu begrüßen, dass Eltern heute so großen Anteil nehmen an der schulischen Laufbahn ihres Nachwuchses. Es ist auch wichtig, dass sie ihren Kindern signalisieren: Wir begleiten und unterstützen dich. Dies sollte sich allerdings nicht auf die Übergänge und Abschlüsse beschränken.

Vielleicht ist die Einschulung für die Eltern die härtere Prüfung

Das große Bohei rund um die Einschulung kann nach Ansicht von Experten nämlich auch nach hinten losgehen. Die Gesellschaft ist immer mehr vom Leistungsgedanken getrieben, Bildung hat eine ganz andere Bedeutung gewonnen, schon die Wahl der falschen Grundschule kann dem Kind sämtliche Chancen verbauen, wird den Eltern suggeriert. Schnell sehen sich Kinder schon zu Schulbeginn hohen Erwartungen ausgesetzt, die sie gar nicht erfüllen können oder wollen. Eltern sollten akzeptieren, dass jedes Kind in seinem eigenen Tempo lernt und Zeit bekommen sollte, erst mal in der Schule anzukommen.

Vielleicht ist die Einschulung daher für die Eltern die härtere Prüfung als für die Erstklässler selbst. Wenn der Schulanfang der Eintritt ins lebenslange, selbstständige Lernen sein soll, müssen die Eltern lernen loszulassen, statt unnötig Druck auf ihre Kinder auszuüben, indem sie eigene Wünsche und Lebensträume auf sie projizieren.

Begleiten und unterstützen sollte nämlich nicht heißen, dass die Eltern selbst quasi mit auf der Schulbank sitzen und in den kommenden zwölf oder 13 Jahren bis zum Abitur selbst Hausaufgaben machen und Referate schreiben, um den Notenschnitt der eigenen Kinder zu pushen. Schule und Erziehung sollten nicht dem strikten Wettbewerbsgedanken unterworfen sein. Viel wichtiger als die Noten ist es am Ende, dass Kinder gerne zur Schule gehen, dass sie dort Freundschaften aufbauen, ihre eigenen Neigungen entdecken, lernen Verantwortung zu übernehmen und Risiken einzugehen. Wenn Eltern und Lehrer ihnen diesen Freiraum gewähren, können die heutigen Erstklässler zu selbstständigen, sozialen und selbstbewussten Mitgliedern unserer Gesellschaft heranwachsen.

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