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Spaziergang auf der alten Stammbahntrasse in Zehlendorf, hier am Hegauer Weg. Die Bahnstrecke führte einst vom Berliner zum Potsdamer Hauptbahnhof über Zehlendorf. Seit 1945 ist sie außer Betrieb. Stillgelegte Teile davon lassen sich zu Fuß ablaufen.

© Thilo Rückeis

Spaziergänge im Südwesten Berlins: Freie Bahn fürs Flanieren

Fünf Spaziergänge im Südwesten Berlins - empfohlen von der Tagesspiegel-Redaktion.

Immer bunt geradeaus: Die Stammbahn-Trasse

Vom Dorf in den Wald, mal auf Berliner, mal auf Brandenburger Seite: Ein Spaziergang an der Trasse der Zehlendorfer Stammbahn entlang ist - obwohl es im Prinzip immer geradeaus geht - abwechslungsreich und voller Geschichte. „Stammbahn“ heißt die erste Bahnstrecke Preußens, weil sie der „Stamm“ des königlichen Eisenbahnwesens werden sollte. Nach dem zweiten Weltkrieg waren große Teile der Trasse zerstört, S-Bahn-Züge rollten noch bis 1980 zwischen den Stationen Zehlendorf und Düppel hin und her. Dann legte die Reichsbahn auch diesen Streckenabschnitt still.

Am besten beginnen Sie Ihren Spaziergang am S-Bahnhof Zehlendorf. Folgen Sie der Anhaltiner Straße. Sie kommen am Platz vor dem ehemaligen Kaiserlichen Postamt vorbei (hier wird bis 2022 ein zweiter S-Bahnzugang entstehen), links wandern sie an einem Gewerbewirrwarr entlang (die alten Flächen des Güterbahnhofs Zehlendorf wurden jüngst von der Bahn verkauft). Rechts sehen Sie die Rückansicht des Schadow-Gymnasiums, dessen Sanierungsbedarf etwa 20 Millionen Euro beträgt. An der Ecke Anhaltiner-/Königstraße schlüpfen Sie unter der S-Bahn-Brücke hindurch, dann halten Sie sich gleich wieder links: Der Sandweg bringt Sie erst zur Winnebago-Ranch (die fünf Pferde heißen Curly, Tamino, Nele, Hansi und Bobby) und dann, die Treppe hinauf, stehen Sie auf der alten Stammbahn-Trasse.

Immer geradeaus: Sie kommen am alten Haltepunkt „Zehlendorf Süd“ vorbei, dahinter die Justizvollzugsanstalt Düppel, links und rechts davon das Gelände des Kinder- und Jugend-, Reit- und Fahrvereins Zehlendorf (über hundert Pferde). Queren Sie die Clauertstraße, dann weiter in den Waldweg. Rechts könnte es sein, dass Sie Menschen in mittelalterlicher Kluft erspähen: Hier befindet sich das Museumsdorf Düppel. Wenn Sie den Hockeyplatz der Zehlendorfer Wespen sehen, sind Sie am S-Bahnhof Düppel angekommen (ja, Sie müssen schon etwas suchen). Jetzt über die Benschallee und auf der anderen Seite geht es auf dem Kleinmachnower Mauerweg weiter.

Etwas später führt die Trasse durch einen Birkenwald, hier und da protestieren Anwohner auf Schildern gegen die erneute Inbetriebnahme der Stammbahn - in den nächsten zwanzig Jahren könnte das geschehen. Wenn sich Buchen, Kiefern und Eichen mit den Birken mischen, sind Sie fast an der Autobahn A115 angekommen. Gehen Sie trotz Lärmschutzwand ein Stück nach links: Das „Panzerdenkmal“ heißt noch so, obwohl auf dem Sockel seit 1990 kein Panzer mehr steht. Der Künstler Eckhart Haisch installierte 1992 stattdessen einen rosa angestrichenen sowjetischen Schneelader.

Kehren Sie um und folgen Sie der Lärmschutzwand Richtung Norden. Überqueren Sie die Brücke am ehemaligen Kontrollpunkt Dreilinden und folgen Sie dem Königsweg. Mein Tipp wäre, dass Sie auf einen der Waldwege rechts schwenken, um an der Waldschule Zehlendorf vorbei zum S-Bahnhof Wannsee zu gelangen. Wenn Sie etwas zu weit gelaufen sind: Biegen Sie an der ersten großen Waldkreuzung rechts ab, dann können Sie ein Frühlings-Eis an ungewohnter Stelle essen - bei der „Schützen-Wirtin“. Das Lokal befindet sich auf dem Gelände des Schießstands der Deutschen Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen und bietet neben Eis auch „bäuerliche bürgerliche Küche“. Boris Buchholz

Little America

In die USA für 2,80 Euro? Das gibt es nur in Berlin: Fahren Sie mit der Linie 3 zum U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim und wandeln in Zehlendorf auf den Spuren der Amerikaner. Von 1945 bis 1994 waren die US-Streitkräfte im Berliner Südwesten stationiert und haben den Kiez nachhaltig verändert. Wer den Lützelsteiner Weg, die Reichshofer Straße oder die Ripleystraße entlanggeht (vom U-Bahnhof rechts in die Argentinische Allee, dann rechts die Clayallee entlang, an der Bären-Apotheke die Straße kreuzen und in den kleinen Fußweg), glaubt, West-Berlin verlassen zu haben und in einem amerikanischen Vorort gelandet zu sein. Bungalows, Einfamilienhäuser wie in den USA - kein Wunder, dass Filmteams die Locations ständig nutzen. Schlagen Sie einen Bogen zurück zur Clayallee und gehen Sie nun in die andere Richtung am U-Bahnhof vorbei.

Nach der nächsten Kreuzung an der Saargemünder Straße stoßen Sie auf das ehemalige US-Hauptquartier, in dem Lucius D. Clay seinen Sitz hatte. Heute ist daraus ein Wohnkomplex geworden. Wenige Meter weiter sehen Sie das US-Konsulat. Von dort geht es zum Outpost, dem ehemaligen Kino der Streitkräfte - jetzt das Alliierten-Museum, in dem derzeit die Foto-Ausstellung „Little America. Leben in der Militär-Community in Deutschland“ läuft.

Danach haben Sie die Qual der Wahl: Einkehren bei McDonald's wenige Schritte weiter? Oder abbiegen in den Hüttenweg und dort die Baptistenkirche und die US-Sportanlagen anschauen? Eventuell auf dem Hüttenweg noch weiterwandern bis zum Grunewald? Das Land der Möglichkeiten - es liegt so nahe. See you. Heike Jahberg

All diese Namen, all diese Leben: Friedhof Lankwitz

Es mag auf manche Friedhofsbesucher eigenartig wirken, wenn ich unter den Bäumen einem Buntspecht nachlaufe. Er hängt oben im Wipfel rücklings an einem Ast, klopft kurz und fliegt eilig davon. Weil die Sonne mich blendet, verliere ich ihn aus den Augen. Hier auf dem Friedhof Lankwitz gibt es viele von ihnen. Es imponiert mir immer, mit welcher Wucht und Geschwindigkeit sie gegen einen Baumstamm klopfen, bis winzige Holzspäne zu Boden fallen. Beim bloßen Hinsehen schmerzen mir Kopf und Nacken.

Während außerhalb des kleinen Friedhofs jeder für sich versucht, den Alltag der Stadt zu meistern, lebt der Specht hier in einer eigenen Welt. Es ist wie eine Insel mit Gräbern, Wegen, Pfaden, Brunnen, Pflanzen und Tieren; eingefriedet von einer Hecke mit Zaun. Das Wort Friedhof stammt nicht etwa von Frieden, wie ich lange dachte, sondern von Einfrieden, habe ich mir sagen lassen.

Gleichwohl gefällt mir die Vorstellung, dass es von Frieden kommen könnte. Denn damit verbinde ich meine Besuche hier. Es sind meist jene Momente, in denen mein Ego mich zu überholen droht. Dann spaziere ich die Mariannenstraße hinunter, wo Lichterfelde-Ost in Lankwitz übergeht und biege in die Lange Straße ein zum Friedhof Lankwitz.

Mit etwa zwei Hektar ist die 1879 errichtete Anlage relativ klein. Gleich am Eingang links steht die Friedhofskapelle, ein Backsteinbau im gotischen Stil. Weil ich oft hier bin, kenne ich viele der Gräber, lese die Namen und die Lebensdaten, verweile einen Augenblick, mache mir Gedanken, wie das Leben der Verstorbenen verlaufen sein könnte.

Auch das Grab von Otto Lilienthal ist hier. „Opfer müssen gebracht werden“, steht auf dem Grabstein. Das sollen seine letzten Worte gewesen sein. So ist es überliefert. Und dann lenkt mich erneut das Klopfen des Buntspechtes ab. Es kommt von einer Linde nahe der Gräber der Kriegsopfer. Das Klopfen schallt über den ganzen Friedhof. Es klingt ein wenig, als wolle er sagen: „Wacht auf, wacht auf." Anett Kirchner

Platz für alle im Fischtalpark

Es gibt viele Wege in den Fischtalpark. Aber im Frühling, vor allem, wenn die rote Kastanie blüht, sollte man durch die Milinowskistraße gehen. Die roten Blüten an den Straßenbäumen geleiten einen wie auf einem roten Teppich, der in der Luft schwebt. Nach einigen Querstraßen trifft man auf den Park. Das Fischtal ist schmal, nur hier an seinem westlichen Ende zur Onkel-Tom-Straße wird es weitläufiger. Das ist gut, denn in dem Rondel mit Teich ist Platz für alle - zum Sonnenbaden im Sommer oder zum Rodeln im Winter, zum Joggen, zum Radfahren und auch zum Partymachen Die einen, vor allem Anwohner, ärgert's, andere, Spaziergänger und Eltern, ärgert viel mehr, dass die Hunde ihr Geschäft auch auf der großen Wiese verrichten. Trotzdem ein Ort zum Träumen - und zum Spielen!

Wer weiter will, überquert am neuen Zebrastreifen die Onkel-Tom-Straße und biegt in den Siebenendenweg ein. Links ist der Eingang zum Ernst-Reuter-Sportfeld, wo die kleine Hertha beheimatet ist; rechts ist das Waldhaus, wo man jetzt wieder draußen sitzen kann und köstlich begrillt wird. Läuft man vom Autoverkehr verschont weiter geradeaus, kommt man an der Argentinischen Allee heraus: Von hier ist es nicht mehr weit bis zur Krummen Lanke. Einfach immer geradeaus durch den Wald. Vielleicht treffen sie den Fuchs oder eine Wildschweinmama mit ihren Kleinen. Armin Lehmann

Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg: Lichterfelde-West

Kleine Warnung vorneweg. In diesem Berliner Kiez kommt man als Spaziergänger nur Stop-and-Go voran. Es gibt einfach zu viele wunderschöne alte Häuser und Villen zum Angucken am Wegesrand, geschmückt mit Loggien, Erkern und Stuck bis hoch hinauf zur Wetterfahne auf spitzen Giebeln.

Lichterfelde-West, das ist eine gutbürgerliche Gartenkolonie, eine großstädtische Idylle aus der Gründerzeit, kurz: ein Ort zum beschaulichen Flanieren durch historisch spannende Wohnstraßen.

Kinder an der Hand? Geht gut, gleich am Karlplatz gibt's einen großen Spielplatz sowie gegenüber das Lokal „Frau Lüske“ mit Caféterrasse. Und wer einen vierbeinigen Begleiter dabei hat, kann ihn locker von der Leine lassen. Autos holpern hier langsam übers Kopfsteinpflaster. Außerdem gibt's am Rand der Bürgersteige viel zu schnüffeln. Die Lichterfelder sind liberale Naturfreunde, sie lassen dort Wildkräuter wuchern.

Nun aber los zu ein paar Höhepunkten der ehrwürdigen Villenkolonie, in der heute viele junge Familien wohnen. Start ist am S-Bahnhof Lichterfelde-West (S1). Beim Verlassen unbedingt kurz umdrehen: Schon das Bahnhofsgebäude von 1872 sieht aus wie eine alte italienische Villa. Es sollte sich harmonisch ins Bild des spektakulären Siedlungsprojektes einfügen, das Johann Carstenn, ein Hamburger Immobilienunternehmer, damals für reiche Bürger in Lichterfelde realisierte.

Wie es aussieht, wenn damals jemand viel Geld hatte, kann man gleich um die Ecke an der „Florentinischen Villa“ bewundern (Curtiusstraße 10). Backsteingotik vom Feinsten prägt das „Rotherstift“, Ecke Friedrich-/Kommandantenstraße. Am Johanneskirchplatz steht die ungewöhnliche evangelische Johanneskirche von 1913, ein Kuppelbau ohne Turm. Der Baugrund war dafür zu klein.

So geht's weiter von einem Bauwerk zum nächsten bis zu den berühmten Lilienthalhäusern an der Paulinenstraße. Ritterburgähnliche Villen mit Zugbrücken, Spitzbögen und Türmchen, von denen Rapunzel ihr Haar herunterlassen könnte. Architekt Gustav Lilienthal, Bruder des Flugpioniers Otto Lilienthal (siehe oben), hat sie nach 1890 entworfen. Im Haus am Tietzenweg 51 hat er selbst gewohnt. Christoph Stollowsky

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