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„In tiefer Dankbarkeit“. John Rabes Grabstein stiftete die Stadt Nanjing.

© Andreas Conrad

Friedhöfe in Berlin: Müller schlägt 23 neue Ehrengräber vor

Die neue Liste des Senats ist da: 666 Ehrengräber gibt es aktuell in Berlin – mit Millionen Geschichten. Hier stehen einige davon.

Zwei Säckchen aus metallisch glänzendem Stoff, bestickt mit chinesischen Schriftzeichen, liegen vor dem Grabmonument, durch eine Kordel verbunden, geschmückt mit Glaskugeln und Troddeln. Für Berlin ein ungewöhnlicher Grabschmuck, aber der Tote, der hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat, war schließlich ein ungewöhnlicher Mann, und ungewöhnlich ist auch die Geschichte seines Grabes auf dem Evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchhof am Fürstenbrunner Weg in Westend: Der Mann erst weitgehend vergessen, sein Grab nach Ablauf der Ruhezeit eingeebnet, doch dann er selbst, nicht zuletzt durch einen Kinofilm, wieder ins Bewusstsein seine Heimatlandes gerückt. Das Grab wiederum wurde dank einer fernöstlichen Initiative erst zur inoffiziellen Gedenkstätte aufgewertet und wird demnächst wohl bald zu einem Ehrengrab des Landes Berlin.

Eine Liste von 23 „Persönlichkeiten mit besonderer Bedeutung für Berlin“, Aspiranten für ein Ehrengrab, vorgelegt vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller, hat der Senat kürzlich zur Kenntnis genommen, dazu kamen 84 bestehende Ehrengrabstätten, die für weitere 20 Jahre verlängert werden sollen. Die Liste wurde nun dem Rat der Bürgermeister zur Stellungnahme vorgelegt, doch es ist nicht zu erwarten, dass es große Einwände gibt. Auch nicht bei dem Toten auf dem Kirchhof der Gedächtniskirche, wenngleich der Mitglied der NSDAP war.

„Der gute Deutsche von Nanking“

Der Mann hieß John Rabe, gerühmt auch als „der gute Deutsche von Nanking“ oder „der Oskar Schindler Chinas“. Geboren 1882 in Hamburg, gestorben am 5. Januar 1950 in Berlin, wohnte er zuletzt in der Harriesstraße 3 in Siemensstadt, wo eine Gedenktafel an ihn erinnert. Rabe war seit 1931 Geschäftsführer der Siemens & Halske-Niederlassung in Nanking, damals Hauptstadt der chinesischen Republik unter Tschiang Kai Schek. Nach Besetzung der Stadt durch die Japaner am 13. Dezember 1937 kam es zu dem wochenlangen „Massaker von Nanking“, dem Hunderttausende von Chinesen zum Opfer fielen.

Der Stein vor John H.D. Rabes Grab.
Der Stein vor John H.D. Rabes Grab.

© Andreas Conrad

In der Stadt gebliebene Ausländer versuchten erfolgreich, eine Sicherheitszone aufzubauen. Rabe wurde zum Vorsitzenden des internationalen Komitees gewählt, nahm hunderte von Chinesen in seinem Haus auf, spannte eine riesige Hakenkreuz-Flagge auf, als Hinweis an die japanischen Bomberbesatzungen, dass dies ein Areal des mit Japan verbündeten Deutschen Reichs sei und verschont werden müsse.

Im Februar 1938 wurde Rabe nach Deutschland zurückgerufen, versuchte hier durch Vorträge auf die japanischen Gräueltaten hinzuweisen, schrieb sogar an Hitler – die Gestapo stoppte seine Bemühungen. Nach dem Krieg hatte er als ehemaliges Parteimitglied Probleme, entnazifiziert zu werden, wurde zeitweise von Siemens nicht mehr beschäftigt und starb verarmt. In Berlin war er schon da vergessen, sein Grab wurde nach Ablauf der Ruhefrist eingeebnet, war nur noch eine namenlose Rasenfläche, auf der nichts mehr an die darunter ruhenden sterblichen Überreste hinwies, wie Thomas Rabe, der in Heidelberg lebende Enkel des Toten, sich erinnert.

Land Berlin trägt die Kosten

Ganz anders in Nanking – oder Nanjing, wie sich die ostchinesische Metropole nun schreibt. Seit 1997 befindet sich der originale Grabstein in John Rabes ehemaligem Wohnhaus, das heute eine Gedenkstätte ist, restauriert mit Unterstützung von Siemens, dem Deutschen Generalkonsulat in Shanghai und der Universität in Nanjing. Ebenfalls 1997 veröffentlichte der Diplomat und Schriftsteller Erwin Wickert Rabes Tagebücher. Sie wurden die Hauptquelle des 2009 auf der Berlinale gezeigten Biopic „John Rabe“ von Regisseur Florian Gallenberger. Der Film mit Ulrich Tukur in der Titelrolle trug nachhaltig zur neuen Bekanntheit Rabes bei, die sich auch im Zustand der Grabstätte widerspiegelt.

Denn 2013 ließ die Stadt Nanjing auf dem Charlottenburger Friedhof das Grab John Rabes und seiner Frau Dora wieder herrichten, prächtiger und würdevoller, als es anfangs gewesen war – ein fast mannshohes Monument aus schwarzem und hellgrauem Stein, samt Porträtrelief und einem separaten Gedenkstein mit deutscher und chinesischer Inschrift: „Der humanitäre Verdienst von John Rabe bleibt uns in ewiger Erinnerung. In tiefer Dankbarkeit. Nanjing China“.

Bislang wird das Grab von der Friedhofsverwaltung gepflegt, in deren Büro ebenfalls ein kreisrunder Gedenkstein für Rabe liegt – ein Ansichtsexemplar für an Urnengräbern Interessierte, das man eben mit dem Namen des berühmten Toten beschriftet hat. Dem nun voraussichtlich noch die offizielle Würdigung durch Umwidmung seiner letzten Ruhestätte zum Ehrengrab bevorsteht. An der Gestaltung dürfte sich nicht viel ändern, es gibt aber eine Tontafel mit Hinweis auf die Würdigung. Die Kosten der Grabpflege trägt nun das Land, vorerst 20 Jahre lang, wie üblich. Danach müsste erneut, wie schon bei der ersten Ehrung, eine Initiative aus der Bevölkerung oder von einer Institution kommen, um die Ehrengrabstätte verlängern zu lassen.

Von 666 Ehrengräbern nur 73 für Frauen

Die Vorschläge für Ehrengräber werden von den jeweiligen Fachverwaltungen gesammelt. Mit der neuen Liste wird es 666 Ehrengrabstätten geben, unter den Geehrten sind 73 Frauen. Zu den „namhaften und verdienten Persönlichkeiten“ Berlins, denen diese Ehre neu zuteil wird, gehören der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Wilhelm von Bode, der auf dem Luisen-Friedhof II an der Königin-Elisabeth-Straße in Westend begraben ist. Weiter sind die Malerin Jeanne Mammen, der Maler Kurt Mühlenhaupt, der Schauspieler und Widerstandskämpfer Hans Otto, die Sängerin Evelyn Künnecke, die Schriftstellerin Christa Wolf oder der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer auf der aktuellen Liste.

Zuletzt hatte es solch eine Liste vor zwei Jahren gegeben, seitdem ist der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel dazugekommen, dem als Berliner Ehrenbürger automatisch ein Ehrengrab zustand. Ansonsten hätte es nach seinem Tod fünf Jahre gedauert, bis solch eine Ehrung möglich würde – so steht es in den Ausführungsvorschriften zum Berliner Friedhofsgesetz. Auch eine Aberkennung dieser Ehre ist denkbar, doch das habe es, ist von Senatssprecherin Claudia Sünder zu erfahren, wohl erst einmal gegeben – 2009 beim Stadtältesten William Born (FDP) wegen dessen spät aufgedeckter Stasi-Vergangenheit.

Im Zug nach Kötzschenbroda

Nicht alle Gräber haben eine Pflege auf Kosten des Landes nötig. Das künftige Ehrengrab des Bühnen- und Drehbuchautors Curt Flatow auf dem Waldfriedhof Dahlem am Hüttenweg wirkt gepflegt, mit üppigem Blumenschmuck und zwei Laternen rechts und links des Grabsteins. Die Ruhestätte des Schlagersängers und -komponisten Hans-Joachim „Bully“ Buhlan auf demselben Friedhof dagegen ist nicht direkt verwahrlost, aber mit großflächig kahlem Erdreich auch nicht gerade eine Zierde des Gottesackers.

Der Sänger war einst eine große Nummer im deutschen Showgeschäft, interpretierte 1947 mit Peter Rebhuhn den durch Glenn Miller berühmt gewordenen Song „Chattanooga Choo Choo“. Bei Bully Buhlan wurde daraus „Verzeih’n Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda?“, woraus Udo Lindenberg seinen „Sonderzug nach Pankow“ bastelte. Lange Zeit hatte sich ein Ehepaar, treue Fans des Sängers, um das Grab gekümmert, Ende 2017 wurde bekannt, dass sie Berlin verlassen würden. Ein Ehrengrab kommt da gerade recht.

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