Havelbrücke und Autofähre : So will die CDU Spandaus Verkehrsprobleme lösen
Das andere Ufer ist weit weg, die breite Havel döst vor sich hin – und in Spandau staut sich die Wut. Morgen für Morgen, Abend für Abend. Die Havel: eine 20 Kilometer lange Barriere zwischen Spandau und der Berliner Innenstadt.
Abkühlung tut not, aber wie? Da ein Bad in der Havel (aktuelle Wassertemperatur: 20,5 Grad) dem Pendler nichts bringt, bringt die örtliche CDU ein paar steile, aber erfrischende Ideen ein.
Beispiel 1: „Die CDU Spandau schlägt den Bau einer Brücke über die Havel vor“, heißt es im neuen Verkehrskonzept, das am Freitag vorgestellt worden und nicht als Witz zu verstehen ist. Diese Brücke könnte von Hohengatow Richtung Insel Lindwerder zur Havelchaussee führen und weiter zur Avus. „Dies wäre eine erhebliche Verbesserung und Entlastung, da der weite Bogen über die Heerstraße entfallen würde.“ Länge: 1200 Meter. Damit wäre sie die längste aller Spandauer Brücken – und im Süden des Bezirks gibt es keine einzige, weil die Havel sich in ihrem Flussbett ganz schön dickmacht.
Spandau droht Verkehrskollaps
„Spandaus Verkehrsinfrastruktur steht kurz vor dem Kollaps“, schimpft Spandaus CDU-Chef Kai Wegner, der die Verkehrslage als Kladower täglich kennt und dem es nicht besser geht als den tapferen BVG-Busfahrern, die sich genauso über die zwei einzigen Straßen gen Heerstraße quälen.
„Seit den 80er Jahren ist kein massentauglicher Verkehrsträger mehr gebaut worden. Spandau wächst und wächst. Doch der für die Verkehrsinfrastruktur zuständige Senat verschläft schon seit Jahrzehnten Chance um Chance, um die vielen Neubaugebiete im Bezirk schnell anzubinden.“
Was Wegner meint, ist das hier: Der Süden Spandaus ist gewachsen – tausende Menschen sind ins Neubaugebiet auf dem Flugplatz Gatow gezogen. Aktuell entstehen im Norden Wohnungen für 20.000 Menschen in der Wasserstadt und auf der Insel Gartenfeld. Und auch im Westen wird gebuddelt und gebaut – nicht zu vergessen all die Tausenden Menschen, die raus nach Falkensee, Dallgow und Seeburg gezogen sind. Folge: Staus überall, verstopfte Regionalbahnen jeden Morgen, Stress vor Dienstbeginn.
Herbst 2018. Dieser Rest - mit Schienen! - steht noch. Die Brücke der Siemensbahn führte einst über die Spree zum S-Bahnring.
Foto: Imago/Jürgen HeinrichHerbst 2018. So sieht es auf dem Damm der Siemensbahn aus - seit 1980 rollt hier keine S-Bahn mehr.
Foto: Imago/Jürgen HeinrichSiemensstadt in den 30er Jahren. Mittendrin: die Ausfädelung der Siemensbahn.
Foto: Imago/ArkiviDie Siemensbahn am Bahnhof Wernerwerk, aufgenommen im Herbst 2018. Auf den Stelzen fährt schon lange keine S-Bahn mehr
Foto: Jürgen Heinrich, ImagoDie Siemensbahn, aufgenommen im Herbst 2018.
Foto: Imago, Jürgen HeinrichHier startete die Siemensbahn: Vom S-Bahnring ging es über die Spree hinaus nach Spandau.
Foto: Imago, Jürgen Heinrich1996 war Jörn Hasselmann auf der stillgelegten Siemensbahn unterwegs. Schon damals war das alte Reiterstellwerk am Bahnhof Gartenfeld völlig zugewachsen.
Foto: Jörn HasselmannPrellbock verschwindet langsam im Wald, zwischen den Bahnhöfen Siemensstadt und Gartenfeld.
Foto: Jörn HasselmannIm Hintergrund ragt das Wernerwerk ins Bild, der gleichnamige Bahnhof liegt hinter der Kurve.
Foto: Jörn HasselmannDie mittlerweile abgerissene Brücke über die Spree. Vor einer Begehung der Strecke musste dieser Zaun überwunden werden.
Foto: Jörn HasselmannAus dem Urwald runter in ein schwarzes Loch: Am S-Bahnhof Siemensstadt hielt zuletzt 1980 eine Bahn, dann wurde die Trasse bis nach Gartenfeld stillgelegt. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie Ihre Ruinen-Fotos aus Berlin und Brandenburg an leserbilder@tagesspiegel.de! - Foto: Jan-Paul Nachtwey
NachtweyUrsprünglich wurde die Strecke für Werksarbeiter gebaut, doch die verlängerte U-Bahnlinie U7 übernahm ab 1980 diese Aufgaben. - Foto: Jan-Paul Nachtwey
NachtweyDie Strecke wird vermutlich nicht mehr in Betrieb gehen, steht aber unter Denkmalschutz. - Foto: Jan-Paul Nachtwey
NachtweyDie Natur erobert sich ihr Terrain zurück. - Foto: Jan-Paul Nachtwey
NachtweyStillgelegter Bahnhof Wernerwerk. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Aufnahmen von Berliner Ruinen an leserbilder@tagesspiegel.de.
Foto: Dirk EubelBrückenruine zwischen dem ehemaligen S-Bahnhof Wernerwerkdamm Richtung Jungfernheide.
Foto: Paul HeidemannDie Hälfte der Brücke, die einst die ganze Spree überspannte, wurde schon vor Jahren im Rahmen des Neubaus der Charlottenburger Schleuse abgerissen, schreibt Heidemann.
Am Bahnhof Wernerwerk. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Wir suchen Ihre Fotos von Berliner Ruinen. Senden Sie Ihre Aufnahmen an leserbilder@tagesspiegel.de.
Foto: Paul HeidemannFahrkarten gibt es hier schon lange nicht mehr.
Foto: Paul HeidemannKolossale Hochbahn
Foto: Dirk EubelDer stillgelegte S-Bahnhof Siemensstadt in einer Aufnahme von 2016.
Foto: Imago/RitterDer Fotograf Jürgen Ritter, der diese Fotos im Februar 2016 gemacht hat, ist die alte Strecke abgelaufen und hat die Spuren der Vergangenheit gesucht - und gefunden.
Foto: Imago/RitterS-Bahnhof Wernerwerk - hier sind keine Siemens-Mitarbeiter zu sehen, nur Gestrüpp im einstigen Gleisbett. Das Dach ist löchrig, bricht bald zusammen.
Foto: Imago/RitterDer S-Bahnhof Siemensstadt: verrammelt. Immer wieder gibt es Überlegungen, die Bahn wieder zu nutzen ... vorerst bleibt sie ein Fotomotiv (auch wenn die Bahnhofskneipe schon lange zu ist).
Foto: Imago/RitterVor 35 Jahren gab's in der Bahnhofskneipe bestimmt noch das jute, olle "Engelhardt" für die Siemens-Arbeiter.
Foto: Imago/RitterTypisch ist auch der Klinkerbau. Heute sehen die S-Bahnhöfe ja meist aus wie aus dem Glas-Stahl-Fertigteil-Katalog.
Foto: Imago/RitterDie Züge rollten vor dem Krieg alle fünf Minuten über die beiden Gleise. Dieses Foto entstand 2011. Schauen Sie mal auf das Graffiti in der Mitte von "Monte" ...
Foto: André Görke... nicht mal Graffiti ändern sich hier mehr. Der S-Bahnhof Wernerwerk im Jahr 2016. Unten im alten Zugangsbereich gab es früher mal einen Blumenmarkt.
Foto: ImagoErster Halt: Wernerwerk. Der Bahnhof an der Siemensdamm ist heute mit Stacheldraht gesichert, im Erdgeschoss befindet sich eine Kneipe. Kunden kommen aber schon seit 1980 nicht mehr mit der S-Bahn. Wer die Strecke erkunden will, muss Glück haben - selten bieten Bezirk, Bahn oder Ortsvereine Führungen an.
Foto: André GörkeGebaut in den 20ern, verband sie einst das Industrieviertel mit dem Berliner S-Bahnring. Die Züge kamen von Jungfernheide, bogen über eine große Spreebrücke (von der noch heute Reste zu sehen sind) und rollten über Stahlviadukte gen Norden.
Foto: André Görke„Wir brauchen pragmatische Lösungen“, sagt Frank Bewig, CDU, der als Baustadtrat im Rathaus Spandau sitzt. Er kennt all die Baupläne, sie sind auf einer großen Karte eingezeichnet in seinem Büro. Und er kennt all die Verkehrsideen, die auf den Fluren kursieren – eine Etage tiefer. Da sitzt Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD). Und der ist dafür, auf der ehemaligen Siemensbahn die Tram fahren lassen – die S-Bahn rollt dort seit 1980 schon nicht mehr, die Bahnhöfe sind verwildert.
Nix da, meint Baustadtrat Frank Bewig und erzählt von der Idee der „Schnellbuslinien“, die am Stau vorbeirauschen (zumindest so weit, bis kein Haus im Weg steht). Bewig: „ Auf eigenen Fahrbahnen sollen Elektrobusse fahren, die an wenigen ausgewählten Stationen halten. Dazu wollen wir unter anderem die Strecke der stillgelegten Siemensbahn zu einer Bustrasse umwandeln.“ Endstation: am S-Bahnring an der Jungfernheide.
Die zwei Spandauer Schnellbusstrecken könnten beispielsweise auf dem ehemaligen Mauerstreifen als separate Trasse nach Kladow geführt werden und weiter nach Potsdam-Nord. Da werden demnächst Wohnungen für 7500 Neu-Potsdamer gebaut in der ehemaligen Kaserne Krampnitz. Schon jetzt haben die Spandauer Respekt vor den Massen, die sich mit dem „P“ auf dem Kennzeichen gen Heerstraße quälen.
Autofähre - ein alter Hut
Abhilfe? Pragmatische Lösungen? Die CDU wirft noch eine Idee in die Runde: Autofähren von Kladow nach Wannsee! Nicht lachen, im Norden Spandaus funktioniert das schließlich auch – von Hakenfelde nach Reinickendorf – , und ganz neu ist die Idee auch nicht: Ende der 80er gab es entsprechende Anträge schon mal. Der damalige Verkehrssenator Edmund Wronski, CDU, erzählte aber 1989 im Tagesspiegel, dass nur 100 Autos pro Tag und Richtung über den Wannsee geschippert würden, so die Prognose.
Die Rampe für die Autofähre, so steht es im Tagesspiegel-Archiv, war geplant am Imchenplatz in Kladow und am Heckeshorn in Wannsee. Und wenn das überraschenderweise dann doch nix wird mit der Autofähre, dann könnte die BVG doch wenigstens öfter als im 60-Minuten-Takt fahren, nicht wahr? Auch das steht im CDU-Papier (was wiederum die in Scharen anreisenden Tagestouristen aus Berlin in den Ferien erfreut).
Februar 2019. Bäume und Gestrüpp werden abgeholzt. Noch steht die Halle. Der Blick aufs Rathaus ist frei.
Foto: André GörkeRascher Blick in die Zukunft. So soll das neue Postviertel in Spandau aussehen im Jahr 2022.
Simulation: promo/Spandauer UferFebruar 2019: Am Uferweg stehen noch letzte Baumstummel. Rechts die Havel. Das Foto entstand auf der Dischingerbrücke.
Foto: André GörkeKurzer Sprung zurück: So sah es im Juni 2018 aus. Rechts das Rathaus - das wird zumindest von hier logischerweise nicht mehr zu sehen sein.
Foto: André GörkeHier stand mal die zentrale Post. Riesending, 1980 gebaut, seit 1995 ungenutzt. Im Juni 2018 steht noch der Postbrunnen und ganz links der Telekom-Klotz.
Foto: André Görke"Give Spandau a chance": Die Pakethalle hinten auf der Brache wird im Sommer 2018 noch als Kulturort genutzt. 2019 dann: Abriss.
Foto: André GörkeUnd die Künstler toben sich aus - am DJ-Pult und mit der Dose. Im Bild: prima Streetart.
Foto: André GörkeMarkenzeichen im Sommer 2018: die Lampions. Oben rechts befindet sich das Parkdeck (ist aber gesperrt).
Foto: André GörkeSchön? Nö? Der alte Eisenbahntunnel soll heller werden. Dahinter: die Postbrache.
Foto: André GörkeDrehen wir uns mal um - Blick von der Postbrache: Oben die ICE-Gleise, hinten der Rathausturm (80 Meter).
Foto: André GörkeTrinkertreff im Gestrüpp: Der Postbrunnen, auf der anderen Seite das Einkaufszentrum - eher ein Zweckbau, oder?
Foto: André GörkeAch, guck an ... dieses Schild ist im Juni 2018 noch zu finden. Es erinnert an die alte Post.
Foto: André GörkeDas gelbe Postlogo an der alten Pakethalle, wo sich die Künstler austoben.
Foto: André GörkeStellen wir den Vorsitzenden des Kulturvereins "Neue Urbane Welten" doch mal vor: Herr Kopp, Vorname Alexander, 35. Spandauer.
Foto: André GörkeBlick aus der Regionalbahn: Hinten das nicht minder grässliche Jugendamt, rechts die Arcaden - wo die Bäume sind, entsteht der 80 Meter Turm.
Foto: André GörkeFestwiese? Staubig auf jeden Fall. Die Postbrache im Juni 2018.
Foto: André GörkeHier war der Haupteingang zur Post. Wozu diente eigentlich das schulterhohe Gitter? Antwort von Tagesspiegel-Leser Ralf Schenk: "Das schulterhohe Gitter diente der Befestigung von mindestens zwei Doppelbriefkästen - Sie wissen schon, rechts Berlin und links Rest der Welt. Wenn ich mich richtig erinnere, waren da auch noch Automaten für Briefmarken."
Foto: André Görke
Juni 2018: Bezirkschef Helmut Kleebank, SPD, macht mit seinem Handy Bilder von den Simulationen vom Neubau.
Foto: André GörkeBürger waren im Juni 2018 eingeladen, um mit den Architekten und Planern über die Neubaupläne zu diskutieren. Rechts: eine alte Telefonzelle. Hinten: die Waschanlage der Post.
Foto: André GörkeKeiner da? Die alte Post-Waschanlage.
Foto: André GörkeModelle standen bereit ... faszinierend war aber auch der Ort, oder? Prima Kultur-Location für den Winter (nur die Akustik ist so lala).
Foto: André GörkeDie zwei mit der Sonnenbrille ... ist wer? Ralph Esser und Agilolf Bachner (rechts) sind die Investoren.
Foto: André GörkeKurz orientieren: links der Bahnhof, links oben das Rathaus, in der Mitte die Arcaden ... und dahinter das Neubauviertel an der Havel.
Foto: André Görke100 Millionen Euro werden investiert, es entstehen zwei Hotels, 77 Wohnungen, 330 Stellplätze in der Tiefgarage, 1 Kita ... steht alles im Spandau-Newsletter: hier ist der Tagesspiegel-Link.
Foto: André GörkeDachterrassen wird es leider nicht geben - zu windig. Aber immerhin einen Havel-Balkon in sechs Metern Höhe (mit Gastro, zu erkennen am Turm rechts).
Simulation: promoBlick von der Klosterstraße (vorm Bierbrunnen): Eine Passage führt quer durchs Viertel zum Ufer. Die Häuser rechts und links sollen Hotels werden (180 und 240 Betten).
Simulation: promoAuf Simulationen ist nie schlechtes Wetter, logo. Das Viertel mit einer Handvoll Bars und Restaurants soll abends belebt sein, ein paar größere Geschäfte an der Passage sind auch geplant.
Simulation: promoSieht aus wie Mitte, ist aber Spandau: Blick von der Klosterstraße gen Havel.
Simulation: promoGruppenbild mit Fachleuten: Amtsleiter, Stadträte, Bürgermeister, Investoren, Architekten - alle drauf. Knips!
Foto: André GörkeDas Modell: Oben am Bildrand das Hochhaus, unten die Ruhlebener Straße. Dazwischen die Häuserschlucht und rechts der Havel-Platz.
Foto: André GörkeDer Radverkehr soll gestärkt werden, sichere Abstellmöglichkeiten müssten her, auch ein sogenannter Kulturradweg. Und die U-Bahn darf im Konzept nicht fehlen, da bleibt sich die CDU treu. „Wir bekennen uns klar zur Verlängerung der U-Bahnlinien 2 und 7. Wir brauchen den Lückenschluss zwischen dem U-Bahnhof Ruhleben und dem Rathaus Spandau“, sagt Heiko Melzer, der auch Mitglied ist im Abgeordnetenhaus.
Schließlich existieren seit den 80ern leere Gleiströge im U-Bahnhof am Rathaus Spandau – die wurden damals mitgebaut und müssen ja irgendwann für irgendwas gut sein. Aber auch an die Verlängerung der U 7 bis an die Heerstraße solle man denken: An den Endbahnhöfen könnten „Mobi-Hubs“ entstehen. Was das nun wieder ist? Eine Kombination aus P & R-Parkplätzen, Zug- und Busanbindung und Carsharing-Angeboten.
Ob all diese Ideen zu mehr taugen als zur abwechslungsreichen Lektüre in den vollen Pendlerzügen? Die Senatsverwaltung um Regine Günther (parteilos, für Grüne) wird sich das Konzept einmal anschauen. „Spandau ist ein besonderer Fall in der Stadt“, heißt es diplomatisch im Büro der Senatorin. Man arbeite an einer besseren Verkehrsanbindung in die Innenstadt, die dringend nötig sind. Zumindest da sind sich alle einig.