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Die Punkkonzerte im Hirschhof waren in der DDR legendär als Teil der subversiven Künstlerszene von Prenzlauer Berg.

© Frank Sorge/Imago

Historischer Hirschhof in Berlin: Schweizer Stiftung rettet ein Stück altes Prenzlauer Berg

Nach zweijährigem Kampf werden 50 Mietwohnungen und Ateliers am legendären DDR-Hinterhof doch nicht meistbietend verkauft. Die Bewohner hatten auf mehr Hilfe des Senats gehofft.

Am Ende ist die engagierte Anwohnerin Angela Dressler „völlig groggy, aber glücklich“. Und der neue Eigentümer Peter Weber „heilfroh, dass wir noch eine kreative Lösung gefunden haben“. Oft gibt es das ja wahrlich nicht: dass ein Immobiliendrama in Berlins Innenstadt ein glückliches Ende nimmt für Mieterinnen und Mieter, die ihrer eigenen Verdrängung längst ins Auge sehen mussten. Und das gerade hier, auf einem der legendärsten Hinterhöfe der Berliner Subkultur. Der Hirschhof in Prenzlauer Berg, Symbol der oppositionellen Ost-Berliner Kunstszene vor dem Mauerfall, hat eine erneute Wende geschafft.

In der DDR war der Hirschhof legendär

Nach zweijährigem Kampf mit einem Herzschlagfinale in dieser Woche konnte am Freitag der Verkauf des legendären Ensembles an Meistbietende verhindert werden. Ein Stück altes Prenzlauer Berg wird nun von der Genossenschaft „Selbstbau e.G.“ gekauft, möglich gemacht durch den kurzfristigen Einstieg der Schweizer Stiftung Edith Maryon und auch durch Senatshilfen. Die Stiftung sicherte dabei die Sanierung des bröckelnden Gebäudes zu und übernimmt die Ateliers am Hinterhof der längst überteuerten Kastanienallee.

Der Hirschhof, verziert mit einem metallenen Hirsch und bevölkert mit Widerständigen, war einst Freiheitstreff der DDR-Boheme. Die Fotos, die Harald Hauswald, Doyen der Ost-Fotografie und Mitbegründer der Agentur Ostkreuz, von den Punkkonzerten machte, sind bis heute legendär.

Auf Zeitreise. Die namensgebende Skulptur im Hirschhof hat Harald Hauswald 1985 dort fotografiert.

© Harald Hauswald (mit freundlicher Genehmigung)

Zuletzt geriet auch der Hirschhof zum Streitpunkt auf dem freidrehenden Immobilienmarkt. Nachdem ein Stück des Hofes bereits der Vermarktung zum Opfer gefallen war, kämpfte die Haus- und Ateliergemeinschaft Kastanienallee 12 um eine Rettung in genossenschaftliche Arme. Nach einem offenen Brief an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), über den der Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint berichtet hatte, kam Bewegung in die Sache. Ein Ultimatum der Erbengemeinschaft für eine einvernehmliche Lösung lief eigentlich am 30. November ab – nun drohte der nicht nur in Prenzlauer Berg gefürchtete Hausverkauf.

Das Problem: Die für eine Übernahme durch die Genossenschaft Selbstbau e.G. nötige Kreditförderung durch den Senat scheiterte bis zuletzt an den Förderrichtlinien. Die Bauverwaltung sah für eine Förderung nicht genügend Rechtssicherheit, wie Sprecher Martin Pallgen im Tagesspiegel betonte: „Einen zweiten ,Fall Diese eG‘ braucht diese Stadt nicht.“ Die Genossenschaft Diese e.G. war in finanzielle Turbulenzen geraten, weil sie auf Betreiben von Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) ein Vorkaufsrecht für Häuser genutzt hatte.

Am Ende immerhin konnte die Bauverwaltung verkünden, für die Übernahme am Hirschhof noch zinslose Darlehen zur Verfügung zu stellen. Bis Weihnachten sollen nun die endgültigen Verträge ausgearbeitet werden. Bausenator Andreas Geisel (SPD) ließ am Freitag allerdings auch wissen: „Zur Wahrheit gehört, dass die Herausforderungen auch nach einem erfolgreichen Ankauf wegen des Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarfs groß sind.“ 

Mit Festen und Ausstellungen auf dem Hof kämpfte der Nachbarschaftsverein K12 e.V. um den Hirschhof.

© Imago/Snapshot

Gerade deshalb musste im aktuellen Fall in Prenzlauer Berg nun eine Stiftung aus der Schweiz aushelfen, die auf dem Berliner Immobilienmarkt keine Unbekannte ist. Die Stiftung Edith Maryon ist bereits am Holzmarkt aktiv und hilft auch bei der Umwandlung der ehemaligen Kindl-Brauerei in Neukölln in ein Kunstquartier. Ziel der Stiftung ist es nach eigener Aussage, „Grundstücke der Spekulation zu entziehen, damit wir oder andere sie dauerhaft sozialverträglich nutzen können“.

Die Stiftung ist auch am Holzmarkt und an der Kindl-Brauerei aktiv

So wird die Stiftung in Prenzlauer Berg nun Eigentümerin der Ateliers und erhält in 30 Jahren den Grund und Boden übertragen. Die Mietwohnungen dagegen verbleiben bei der Genossenschaft Selbstbau e.G. – und sind somit dauerhaft geschützt. Der Senat konnte immerhin einen Zuschuss zusichern. „Es ist schade, dass eine Schweizer Stiftung in die Zukunft der Berliner Mieterinnen und Mieter investiert und nicht so sehr die Stadt Berlin“, sagte Peter Weber, Vorstand der Selbstbau e.G. am Freitag dem Tagesspiegel.

Hausgemeinschaften, organisiert euch!

Aufruf der Hausgemeinschaft K12 nach der Rettung des Hirschhofes

In der Tat wirft der Streit um den Hirschhof ein Schlaglicht auf den Wohnungsmarkt – und auch auf Förderrichtlinien, die offenbar auf Ankäufe teurer vermieteter Immobilien ausgerichtet sind. „Es ist absurd“, berichtete Angela Dressler vom Verein K12. „Wir sind zu günstig im Ankauf und haben zu geringe Mieten, um gefördert zu werden.“ Eine Lösung wie am Hirschhof dürfte also berlinweit kaum überall gelingen. Dennoch rief die Hausgemeinschaft K12 am Freitag in einer Erklärung andere zur Nachahmung ihres Kampfes auf: „Unser Fazit lautet: Hausgemeinschaften, organisiert euch! Überlasst Spekulanten nicht das Feld! Wir können Dinge verändern und wir sind nie alleine.“

In Prenzlauer Berg hat man sich gemeinsam mit vielen Partnern und viel öffentlichem Druck gerettet – und 50 Mietwohnungen sowie Ateliers vor der absehbaren Verdrängung bewahrt. Kurz vor Weihnachten sollen nun alle Verträge für die Zukunft des historischen Hirschhofes unterzeichnet werden. „Dann sind wir nach zweijährigem Kampf auch wieder aus dem Zombie-Status raus“, sagt Angela Dressler. „Und wir können am Hirschhof endlich wieder feiern.“ Der alte Prenzlauer Berg - ja, er lebt noch.

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