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Links die neue Sicherungsverwahrung in der JVA Tegel, rechts die Haftanstalt.

© Hannibal/dpa

Update

Justiz in Berlin: Flüchtiger Sexualtäter nach zwei Tagen festgenommen

Der am Mittwoch nicht zurückgekehrte Häftling aus Berlin ist am Freitag in Magdeburg gefasst worden. Er war einer der wenigen Sicherungsverwahrten mit Freigang.

Ein verurteilter Vergewaltiger, der in der Berliner Sicherungsverwahrung der Haftanstalt Tegel untergebracht war, ist nach einem Ausgang am Mittwochabend nicht wieder zurückgekehrt. Entsprechende Tagesspiegel-Informationen bestätigte die Justiz. Am Freitagabend gab es Entwarnung. Nach zwei Tagen in Freiheit wurde der Mann in Magdeburg festgenommen, wie Berlins Justizsprecher Sebastian Brux mitteilte. Er befindet sich demnach in der Justizvollzugsanstalt Burg in Sachsen-Anhalt und soll nach dem Wochenende wieder nach Tegel überstellt werden.

Der 52 Jahre alte Torsten M. war im Jahr 2001 wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Raub zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Zunächst saß er seit Juni 2001 in der Haftanstalt Moabit und ab Februar 2002 dann in Tegel ein. Seit Juli 2011 war er in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Gerichte können dies anordnen, um die Allgemeinheit vor Straftätern zu schützen, die als besonders gefährlich eingeschätzt werden.

191 Ausgänge ohne Probleme

Der Mann gehörte zu den wenigen unter den Sicherungsverwahrten, die als gefestigt und zuverlässig gelten und deshalb stunden- oder tageweise die Anstalt verlassen dürfen.

Bei insgesamt 191 Ausgängen – zunächst begleitet, später unbegleitet – ist nichts passiert, alles verlief ohne Probleme, hieß es bei der Justiz. Seit Juni 2016 sind dem Mann Ausgänge erlaubt worden, zunächst nur in Begleitung, seit Anfang 2018 durfte er sich auch unbegleitet für wenige Stunden in Freiheit aufhalten. Am Mittwochabend war ihm Ausgang von 18 bis 22 Uhr gewährt worden, um an einer Sozialtherapie teilzunehmen – aber diesmal kehrte er nicht zurück.

Mitgefangene berichten, dass M. zuletzt Probleme hatte - seine Frau soll sich von ihm nach Streit getrennt haben. Die beiden hatten 2017 geheiratet, der Mann hatte den Nachnamen seiner Frau angenommen. Sie soll ihn regelmäßig in der JVA Tegel besucht haben, im SV-Haus gibt es ein "Langzeitbesuchszimmer". Veronika M. (Name verändert) war auch bei den Sommerfesten der SVer zu Gast. Dort soll sie einen mittlerweile entlassenen Sicherungsverwahrten kennen gelernt haben, auch dies soll Streit mit Torsten M. provoziert haben. Ein Mitgefangener sagte: "Wenn er sich Mut antrinkt, wird er brandgefährlich." Er gilt als introvertiert, aber auch als "ausgebuffter Krimineller".

Streit gab es auch ums Geld. M. soll das Sparschwein seiner Frau geknackt haben, Veronika M. soll dies der Anstalt mitgeteilt haben. Zudem habe M. auch in der Anstalt Schulden gemacht, unter anderem bei einem Gefangenen, der nach 14 Jahren in Haft seit 2012 in anschließender Sicherungsverwahrung ist. Das Geld soll M. bei Ausgängen in Glücksspielautomaten verzockt haben.

In Sicherheitskreisen wurde vor der erneuten Festnahme auch nicht ausgeschlossen, dass dem Mann auch selbst etwas hätte zugestoßen sein können. Er soll im Oktober 2016 nach einem Herzinfarkt aus der JVA Tegel in ein Krankenhaus gebracht worden sein.

Schon zu DDR-Zeiten eingesperrt

Der 52-Jährige war nach Tagesspiegel-Informationen in der DDR aufgewachsen und soll dort auch schon im Jugendwerkhof eingesperrt gewesen sein. Die Sicherungsverwahrung soll wegen einer Tat verhängt worden sein, bei der er gegenüber einer Prostituierten gewalttätig geworden sein soll. In den 90er Jahren hatte er mehrere Jahre wegen einer ähnlichen Tat verbüßt. Die Justiz wollte dies auf Anfrage aber nicht bestätigen.

Für Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) kommt der Fall auf jeden Fall zur Unzeit. Erst in dieser Woche hatte er seine Pläne für einen offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte vorgestellt. Außerhalb der Mauern der Justizvollzugsanstalt Tegel soll ein neues Gebäude für diesen offenen Vollzug entstehen. Damit will der Senator die Vorgaben umsetzen, die sich aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes von 2011 ergeben. Entsprechend war in Berlin 2013 auch das Gesetz für den Sicherungsverwahrungsvollzug novelliert worden. Es war unter dem damalige Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) von der großen Koalition aus SPD und CDU geändert worden.

Gesetz sieht offenen Vollzug vor

Demnach muss auch bei Sicherheitsverwahrten, die vormals als für die Allgemeinheit als gefährlich eingestuft worden waren, versucht werden, sie auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten und sich zu resozialisieren. Das Gesetz sieht vor, dass die Sicherungsverwahrten „vor allem zur Entlassungsvorbereitung im offenen Vollzug untergebracht werden" sollen, "wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden.“

Weiter heißt es im Gesetz: "Einrichtungen des offenen Vollzugs sehen verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vor." Behrendt legt darauf wert, dass diese Regelungen für einen offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte bislang nicht umgesetzt worden sei.

Der Justizsenator plant, ein derzeit leer stehendes Gebäude mit Dienstwohnungen zu sanieren und mit acht bis zehn Plätzen für Sicherungsverwahrte auszustatten, die im offenen Vollzug auf ihre Entlassung in die Freiheit vorbereitet werden. Das Gebäude soll bis zum dritten Quartal 2020 dafür hergerichtet werden.

Grüne verteidigen Pläne

In Berlin sind aktuell 50 Männer in Sicherungsverwahrung, 45 davon sind in der dafür vorgesehenen Einrichtung auf dem Anstaltsgelände von Tegel, die anderen fünf in der sozialtherapeutischen Abteilung, die sich auch auf dem Gelände befindet. Die Männer werden nicht unkontrolliert auf die Bürger losgelassen, sondern ganz engmaschig überwacht, sie sollen sich in der Freiheit erproben und lernen, draußen zurechtzukommen. Jeder Sicherungsverwahrte wird einmal pro Jahr von einer Strafvollstreckungskammer angehört und oft auch zusätzlich begutachtet. Eine Freilassung ist immer auch eine Entscheidung über das Risiko, das er noch darstellt.

Der rechtspolitisches Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, verteidigte die Pläne für einen offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte als richtig. "Das Bundesverfassungsgericht und das Berliner Strafvollzugsgesetz gehen davon aus, dass selbst die schlimmsten Straftäter eine zweite Chance verdient haben", sagte Lux. Die Justizverwaltung setze das zu Recht um. "Selbst Sicherungsverwahrte dürfen irgendwann unter strengen Voraussetzungen wieder in Freiheit leben. Zwingende Bedingung muss hierfür aber eine erfolgreiche Therapie sein und die Möglichkeit im Gefängnis an sich zu arbeiten. Wenn diese Bedingungen stimmen und Sicherungsverwahrte so bewogen werden, nachweislich an sich zu arbeiten, sind die Pläne für den Offenen Vollzug ein echter Sicherheitsgewinn."

Kritik von der Opposition

Die Opposition im Abgeordnetenhaus hat die Behrendts Pläne dagegen heftig kritisiert. CDU-Rechtsexperte Sven Rissmann sagte: "Sicherheit und Schutz der Allgemeinheit haben für uns höchste Priorität. Es handelt sich bei Sicherheitsverwahrten um Straftäter, die schwerste Verbrechen begangen haben. Daher muss absolut sichergestellt sein, dass von ihnen keine Gefahr mehr zu erwarten ist. Senator Behrendt sollte sich hüten, hier aus ideologischen Gründen übereilte Entscheidungen zu treffen. Wir sind für eine Übergangsregelung, bei der zunächst mit weiteren Vollzugslockerungen die Zuverlässigkeit untersucht werden kann.“

FDP-Rechtsexperte Holger Krestel, erklärte: „Interessen- und Rechtsgüterabwägung muss die Sicherheit der Allgemeinheit und der Anwohner sicherstellen. Grundsätzlich ist der Vollzug höchstrichterlicher Rechtsprechung zum Vollzug der Sicherungsverwahrung zu begrüßen. Aber jeder Rechtsgrundsatz muss sich bei seiner Umsetzung an der Lebensrealität der Menschen in unserer Gesellschaft messen lassen." Dabei sei zu berücksichtigen, welche hohen Hürden für die Anordnung der Sicherungsverwahrung für Schwerstkriminelle bestünden und wie sicher man überhaupt davon ausgehen könne, dass sich einzelne Sicherungsverwahrte in Zukunft rechtstreu verhalten werden.

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