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Im Künstlercafé IchOrya stellt Francoise Cactus aktuell Bilder aus.

© Mike Wolff

Berliner Band Stereo Total: Mit Charme und gutem Ton

Seit mehr als 25 Jahren machen sie gemeinsam Musik, seit 13 Jahren leben Brezel Göring und Francoise Cactus in Kreuzberg. Ein Stadtspaziergang durch „ihr Dorf“.

Sie machen nicht nur seit mehr als 25 Jahren gemeinsam Musik, sie sind auch miteinander verheiratet und wohnen zusammen: In ihrer Wohnung am Oranienplatz im Herzen Kreuzbergs empfangen die Musiker von der Band Stereo Total den Besuch zum Spaziergang. Brezel Göring, der eigentlich Hartmut Richard Friedrich Ziegler heißt, ist fertig, bereit zum Abmarsch. Gewartet wird noch auf Francoise van Hove, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Francoise Cactus.

In der Küche steht ein Regal, das von oben bis unten vollgestopft ist mit Kochbüchern. Die Lektüre seiner Frau, sagt Brezel Göring, Kochen sei eine ihrer großen Leidenschaften. Als es losgeht, fällt auf dem Weg nach draußen noch ein Blick in das Wohnzimmer. Auf einem Sessel hockt tatsächlich Wollita, eine lebensgroße, gehäkelte Puppe, Cactus' berühmtes Kunstwerk. Mitte der 00er-Jahre wurde die Wollpuppe in einer Ausstellung im Kunstraum Bethanien gezeigt.

Lokale Boulevardblätter machten aus der Figur mit den großen Augen, dem Schmollmund und den gehäkelten Brustwarzen aus roter Wolle einen gehörigen Pseudoskandal. Verharmlosung von Pädophilie und Pornografie, hieß es. Cactus reagierte auf ihre Art: mit schrägem Humor. Sie brachte ein Buch über Wollita heraus, so etwas wie deren Biografie – „vom Wollknäuel zum Superstar!“ – und Stereo Total veröffentlichten dazu eine CD.

Wer Francoise Cactus trifft, dem fällt gleich auf: Sie spricht genauso wie sie singt. Auf den vielen CDs, die es inzwischen von Stereo Total gibt, wechselt sie andauernd die Sprache, eine Art Markenzeichen von ihr. Mal singt sie in ihrer Muttersprache Französisch, mal auf Englisch, mal auf Deutsch. Ihre auf Deutsch vorgetragenen Lieder versieht sie mit einem dermaßen französelnden Akzent, dass der Hörer sich denkt: Der kann gar nicht echt sein, das ist doch eine Masche.

Die neue Platte erscheint am 12. Juli

Ist es nicht. Francoise Cactus muss nur „Hallo“ sagen, das bei ihr wie „Allo“ klingt – schon ist das klar. Auf der neuen Platte von Stereo Total, die am 12. Juli erscheinen wird und den Titel „Ah! Quel Cinéma!“ trägt, zeigt ihr Partner, dass auch sein Akzent nicht ohne ist, wenn er sich als deutscher Muttersprachler mal im französischen Gesang versucht.

Von der Dresdner- über die Lückener- geht es auf die Oranienstraße und von dort zu den Prinzessinnengärten am Moritzplatz. Ursprünglich wollten die Musiker einen Abstecher zum „Museum der Dinge“ an der Oranienstraße machen, dort gebe es „total irre Sachen“, sagt Cactus, aber das Museum hat heute, an einem Dienstag, Ruhetag.

Brezel Göring, will der eigentlich wirklich mit „Brezel“ angesporchen werden? „Ja“, antwortet er, als sei das ein geläufiger Name wie Markus oder Karl. Er ist ziemlich groß, schlaksig und trägt sichtlich durchgelatschte Creepers, die 50er-Jahre-Schuhe mit den dicken Kreppsohlen, wie sie die Rockabillys liebten.

Francoise Cactus liebt Flohmärkte

Dazu Socken mit Motiven des Popart-Künstlers Roy Lichtenstein. Ziemlich schrill sieht das aus. Die Socken seien ein Geschenk von Francoise gewesen, sagt Brezel Göring. „Neue Schuhe wollte ich ihm aber nicht auch noch kaufen“, mischt sie sich ein, „meine Mutter hat mir beigebracht, niemals dem Freund Schuhe zu schenken, sonst rennt er einem in diesen davon.“

Die beiden kommen bei den Prinzessinnengärten an. Vor allem zu dem Flohmarkt, der hier alle 14 Tage zwischen Hochbeeten und Kübeln mit Gemüse stattfindet, komme Francoise Cactus gern, sagt sie. „Ich liebe Flohmärkte.“ Am liebsten suche sie nach Vinyl-Schallplatten. Dieses Format verwende sie auch bei ihrer Radiosendung einmal im Monat bei Radio Eins. Dort legt sie Musik zu bestimmten Themen auf, etwa „Lieder über Tiere“ oder „Lieder über das Telefon“.

„Kreuzberg ist wie ein Dorf, in dem man sich immer wieder über den Weg läuft“, sagt Francoise Cactus.
„Kreuzberg ist wie ein Dorf, in dem man sich immer wieder über den Weg läuft“, sagt Francoise Cactus.

© Mike Wolff

Stereo Total sind die Art Berliner Band, deren Zuhause man sich eigentlich nur in Kreuzberg vorstellen kann. Das Duo hat auch mal im Prenzlauer Berg gewohnt, mal in Mitte, aber seit nunmehr 13 Jahren leben Cactus und Göring in der Nähe vom Oranienplatz. Sein Studio befindet sich auch gleich ums Eck.

Seit den 90er Jahren sind sie unzertrennlich

Klar, der Kiez verändere sich, die Gentrifzierung schreite voran, „aber Kreuzberg ist immer noch der Bezirk, in dem ich am liebsten wohne“, sagt Brezel Göring. „Alle unsere Freunde leben hier“, ergänzt Francoise Cactus, der Verleger ihrer Bücher etwa, Martin Schmitz, sogar in unmittelbarer Nachbarschaft, genauso wie der Künstler und Musiker Wolfgang Müller, mit dem sie gemeinsam das Wollita-Buch geschrieben hat. „Kreuzberg ist wie ein Dorf, in dem man sich immer wieder über den Weg läuft“, sagt sie.

Francoise Cactus und Brezel Göring sind zwei sympathisch verschrobene Kiez-Bohemians, die mit ihrer schrägen Kunst die Welt erobert haben. Er ist inzwischen Anfang, sie mit Mitte 50. Ihn hat es 1988 von einer hessischen Kleinstadt nach Berlin verschlagen, sie kam schon ein paar Jahre vorher aus einem Dorf im französischen Burgund. Anfang der 90er Jahre haben sie sich kennengelernt, seitdem sind sie unzertrennlich. Ihre Band ist nicht nur hierzulande bekannt, sondern auch in Mexiko, den USA oder Japan, in Ländern, in denen sie auch immer mal wieder auf Tour sind.

Im Freiluft-Café der Prinzessinnengärten kommt es plötzlich zu großer Wiedersehensfreude, als Cactus und Göring den Musiker und Produzenten Can Oral alias Khan entdecken. Khan produziert House und Techno, lädt für seine Tracks gerne Gastsänger ein, auch Francoise Cactus hat bereits für ihn gesungen.

Ihr Musikgeschmack hat sich über die Jahre angeglichen

Techno, das ist doch eigentlich etwas für Brezel Göring, könnte man annehmen. Schließlich produziert er schon seit Jahren unter diversen Pseudonymen schrill scheppernde Elektronik, während Francoise Cactus eher vom Garagenrock kommt. Bevor sie ihren heutigen Duo-Partner kennenlernte, hatte sie in den späten 80ern eine waschechte Rock'n'Roll-Band, die Lolitas. Aber ihre Musikgeschmäcker hätten sich über die Jahre angeglichen, so Francoise Cactus.

Ihr Partner blättert inzwischen ein Buch durch, das er sich aus der Bücherbox der Prinzessinnengärten geschnappt hat. Ein dicker Wälzer aus den 80ern mit dem Titel „Der große Leitfaden für erfolgreiche Briefe, Reden, Verträge.“ Das Werk sei „genau das Richtige für mich“, sagt er und nimmt es tatsächlich mit.

Francoise Cactus und Brezel Göring gehen die Oranienstraße zurück in Richtung Oranienplatz. Sie stoppen vor dem Café IchOrya, einer kleinen Künstlerkneipe. Francoise Cactus hat hier eine Ausstellung mit Bildern. Seit Jahren malt sie auch noch, bunte Portraits glamouröser Stars wie Jane Birkin, Francoise Hardy, Brigitte Bardot oder Sid Vicious. Die Bilder wirken etwas dilettantisch und doch äußerst charmant – so dass Betrachter meinen, irgendwo im Kopf die Musik von Stereo Total zu hören.

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