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Mangelware. Ein öffentliches Klo auf 13.000 Einwohner - so will es das neue Konzept.

© Jörg Carstensen/dpa

Öffentliche Toiletten in Berlin: Das Klo-Konzept ist notdürftig!

Gerade einmal 280 öffentliche Toiletten für dreieinhalb Millionen Einwohner, so sieht es ein neuer Plan vor. Berlin nimmt die Bedürfnisse seiner Bürger nicht ernst – dabei geht es um mehr als nur das Recht auf ein stilles Örtchen. Ein Kommentar.

Von Maris Hubschmid

Der Zustand der öffentlichen Toiletten eines Landes sagt viel über dessen soziales System aus, befand einst der singapurische Unternehmer Jack Sim – und gründete die „Welttoilettenorganisation“. Sie vertritt die Ansicht, dass hygienische und zweckmäßige Toiletten ein Menschenrecht sind, gleichermaßen Symbol für den Fortschritt einer Gesellschaft.

Gut ausgebaute Abortanlagen gab es bereits um 2800 vor Christus in Mesopotamien, in Berlin wurden die ersten „Bedürfnisanstalten“ in den 1880er Jahren errichtet. Wiederum unwesentlich später feiert die Hauptstadt gerade die Nachricht, dass die Zukunft der City-Toiletten gesichert ist: Der neue Betreiber ist der alte – in Berlin ist man froh, wenn ein Standard gehalten wird.

Ein hohe Klodichte ist Gold wert

Erleichterung ist also programmiert. Mehr noch: Die Klos sollen sauberer und zahlreicher werden. Von 252 wird auf 280 Standorte erhöht. Dann kommt in unserer Dreieinhalb-Millionen-Metropole bald ein öffentliches Klo auf 13.000 Einwohner – die paar Touristen nicht mitgezählt. Anders gerechnet findet sich eines alle drei Quadratkilometer. Tritt man eben auf einem der so zahlreich vorhandenen Leihfahrräder zum Abtritt, demnächst auf ausgewiesenen Radschnellwegen, die das neue Mobilitätsgesetz verspricht.

Es verkennt: Einer der größten Mobilitätsfaktoren unserer Zeit sind Toiletten. Ein verstopftes Klo ist scheiße, hohe Klodichte Gold wert. Was helfen barrierefreie Bahnhöfe, wenn nicht gewährleistet ist, dass man beim Ausflug in die Innenstadt Pipi machen kann?

Unlängst erfuhr ich von einer 87-Jährigen, die sich nach einem Wochenmarktbesuch in ihrer Not hinter einen Bauzaun gesetzt hat. Natürlich hatte sie zunächst in einem Imbisslokal gefragt, ob sie die Toilette nutzen dürfe. Eine gewohnt zuvorkommende Berliner Servicekraft antwortete ihr: „Nee, nur für Gäste.“

Wildpinkeln kann mit einem Bußgeld von 20 Euro bestraft werden

„Wildpinkeln“ ist in Berlin eine Ordnungswidrigkeit, auf die ein Bußgeld von 20 Euro steht. „Es fällt letztlich in die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, von Wildpinkeln abzusehen“, erklärt die zuständige Senatsverwaltung. Der moderne Berliner wird auf seine Schließmuskulatur zurückgeworfen.

Vielerorts auf der Welt sind kostenlose Toiletten selbstverständlich, etwa in den USA, wo man Pinkeln als Grundbedürfnis erkennt und konsequenterweise auch Leitungswasser gratis serviert. Wasser und Wasser lassen!

In Berlin hat man kostenlose Klos in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgebaut. Die Firma Wall betreibt City-Toiletten, weil sie im Gegenzug im öffentlichen Raum werben darf. Für die Stadt bleiben dabei 47 Millionen Euro im Jahr.

Wenn du nach Berlin fährst, vergiss die 50-Cent-Stücke nicht. Andernfalls könntest du gezwungen sein, mit quälend voller Blase unter einem Drehkreuz durchzukriechen. Genau, erniedrigend. Kaufhäuser verpachten ihre Sanitärräume, Lokale verriegeln oder „sichern“ sie mit Münzautomaten. In Berlin-Mitte herrschen Wucherpreise von bis zu zwei Euro pro Gang. Bezahltoiletten sind hygienischer – weil dann die Obdachlosen draußen bleiben? Manche wären vielleicht gepflegter, wenn alle Zugang hätten. Die ein oder andere Unterführung auch.

Wo ist die Schamwand, hinter der sich Frauen verstecken können?

Das neue Toilettenkonzept Berlins sieht vor, dass an einigen Häuschen außen ein kostenfreies Pissoir hinter einer „Schamwand“ installiert wird. Für die Männer, die ja sonst doch überall urinieren. In Winkeln ist gut pinkeln, wenn man nur den Reißverschluss öffnen muss. Frauen sind die Angepissten, immer. Wir hocken bei Minusgraden halb nackt im Gebüsch, während der Schwangerschaft drückt uns schon die nächste Generation auf die Blase. Und wo Männlein hoch angerechnet wird, sich überhaupt herzubequemen, sollen die Weiblein löhnen. Wo ist die Schamwand, hinter der wir uns verstecken können?

Die alte Dame will den Wochenmarkt künftig übrigens lieber nicht mehr besuchen. Der Weg sei zu weit, sie zu langsam, als dass sie im Zweifel einhalten könne.

Eine anständige Toiletten-Infrastruktur ist Garant für soziale Teilhabe. Sie ist ein Wirtschaftsfaktor – und eine Frage der Gerechtigkeit. Das neue Toilettenkonzept ist notdürftig! Nehmt unsere Bedürfnisse ernst. Es pressiert.

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