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Die schnellste Information im Berlin der Jahrhundertwende war die gedruckte. Ein Kiosk in einer Hofdurchfahrt.

© bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer

Peter de Mendelssohns "Zeitungsstadt Berlin": Leichen pflasterten den Weg

Tempo auf Papier: Über den Mythos der Pressemetropole und die Versuche, nach der Wende daran anzuknüpfen.

Vom „Geist der Kochstraße“ spricht Peter de Mendelssohn gern, wenn er das Selbstverständnis der Verleger und Journalisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin beschwören will, und tatsächlich ist es wohl – neben Erfolgswillen und harter Kalkulation – eine nicht leicht fassbare mythische Größe, ein „Amalgam aus stofflichen und geistigen Elementen“, aus Zeitungspapier, Tempo und einem erregenden Fluidum von Zeitgenossenschaft, das in diesem Kapitel der Zeitungsgeschichte wirkte.

Aber diese große Geschichte ist eben auch eine von Aufstieg und Fall. Das Dritte Reich machte ja das Zeitungswesen nicht nur mit Verboten und Restriktionen gefügig – zuerst mit der Verdrängung der jüdischen Mitarbeiter, dann mit gesellschaftsrechtlichen Transaktionen, die die Verlage faktisch den NS-Strukturen auslieferten, schließlich im Krieg mit massiven Stilllegungen. Die eigentliche Machtübernahme vollzog sich leise, geschäftsmäßig und oft mit Duldung, ja Mitwirkung der Betroffenen. Es entsteht das gespenstische Bild eines Zusammenbruchs, bei dem Akteure und Beobachter, Verleger und Redakteure im Großen und Ganzen kaum je ein Bewusstsein von dem Drama entwickelten, dessen Mitwirkende und Leidtragende sie waren.

Der letzte Akt kam mit dem Luftangriff am 3. Februar 1945, dem schwersten, den Berlin erlebte. Mendelssohn dazu lapidar: „An diesem Vormittag starb das Berliner Zeitungsviertel.“

Als Mendelssohns „Zeitungsstadt Berlin“ erstmals in den 50er Jahren erschien, war noch nicht sicher, was aus Deutschland werden würde. Da konnte man die Zeitungsgeschichte Berlins noch als ein bedeutendes Kapitel der deutschen Presse- und Kulturgeschichte lesen, die auf ihr Wiederaufleben wartete. Als das Buch 1983 in einer erweiterten Ausgabe herauskam, hätte der Titel einen Trauerrand verdient gehabt: die Stadt geteilt, ohne dass ein Ende dieses Zustands absehbar gewesen wäre, ihre Zeitungen durch die Insellage der Stadt in eine Randlage gezwungen, abgetrennt von der Modernisierung des Gewerbes in der übrigen Bundesrepublik – die einstige Zeitungsstadt als hoffnungslose Zeitungsprovinz.

Nun, da das Buch in einer neuen Ausgabe vorgelegt wird, ist alles anders: Berlin wiedervereinigt, als Stadt neugeboren, zur Hauptstadt geworden, in der jedenfalls mehr Zeitungen erscheinen als anderswo in der Bundesrepublik. Liest sich das Buch heute anders? Was bedeutete die Zeitenwende von 1989 und 1990, die Mauerfall und Wiedervereinigung brachte? Wurde sie zur Stunde der Wiederbelebung der Zeitungsstadt Berlin?

Tatsächlich gab es mit einem Mal – dank des nun gemeinsamen Zeitungsmarktes von West- und Ostblättern – rund 20 Zeitungen. Großverlage von Springer bis Gruner + Jahr, dazu der britische Zeitungsmogul Maxwell konkurrierten in Berlin, das prädestiniert zu sein schien, zum Medienzentrum des vereinigten Deutschlands zu werden.

Gehasst, geliebt, verachtet und beweint, aber immer gelesen

Schließlich leitete der Hauptstadtbeschluss eine heftige mediale Aufrüstung Berlins ein. Davon profitierte zwar vor allem das Fernsehen, doch auch die Verlage etablierten für ihre künftige Hauptstadtberichterstattung demonstrativ stattliche Büros. Es verbreitete sich der Eindruck, in Berlin tobe der spannendste Kampf der deutschen Pressegeschichte, und der Berliner Zeitungsmarkt bekam, halb erschreckt, halb bewundernd, das Prädikat „Haifischbecken“ aufgedrückt.

In Wahrheit war der Weg der Erneuerung vor allem mit Zeitungsleichen gepflastert – nach drei Jahren war ein Drittel der Nach-Wende-Blätter wieder verschwunden. So bedeutete die große Zäsur zunächst vor allem den Beginn des Wiederanschlusses des Berliner Zeitungsmarkts an den nun gesamtdeutschen Medienmarkt und schließlich seine Verwandlung in eine Bühne für die Medien, wie sie die Bundesrepublik noch nicht gesehen hatte. Berlin wurde zum Podium für die Bundesrepublik, das Regierungsviertel zur Plattform einer hoch erhitzten Mediendemokratie, die neue Hauptstadt zum Schauplatz für den Wandel, der die Medienwelt insgesamt erfasst hatte.

Doch die neue Rolle Berlins rückt seine Zeitungsvergangenheit wieder in den Gesichtskreis aktueller Aufmerksamkeit – einfach, weil Berlin wieder mehr Berlin wurde. Zugleich macht der Wandel der Medienwelt, zeitweise als „Medien-Hype“ erlebt und überhöht, die Distanz zur Welt der Printmedien deutlich. Zeitungen leben heute im heftigen, ja, stürmischen Gegenwind von elektronischen Medien und Internet, auch und gerade in Berlin, wo überdies die Struktur von Leserschaft und Anzeigenmarkt ihre Überlebensanstrengungen auf eine fortdauernd harte Probe stellen. Das schöne, mutige Credo, mit dem Peter de Mendelssohn das Verhältnis Berlins zu seinen Zeitungen bedacht hat – dass die Stadt ihre Zeitungen „geliebt und gehaßt, verwöhnt und verachtet, verlacht und beweint“, sie aber „immer gelesen“ habe –, löst in den Umbrüchen, die die Zeitungswelt erlebt, nicht zuletzt melancholische Empfindungen aus. Diese Geschichte von Berlins Zeitungen ist eine der großen Geschichten der Stadt, die bleiben wird.

Der Autor war langjähriger Herausgeber des Tagesspiegels und hat das Geleitwort für die Neuausgabe von „Zeitungsstadt Berlin“ geschrieben. Dies ist eine gekürzte Fassung.

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