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Sie steht auf Neukölln. Lary kam vor acht Jahren nach Berlin und wohnte schon in Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte.

©  Mike Wolff

Stadtspaziergang mit Lary: Hart stabil in Rixdorf

Sängerin Lary ist Wahlberlinerin und die neue Stimme des deutschen R’n’Bs. Trotz Hipster-Klischee lebt sie gerne in Neukölln. Ein Kiez-Spaziergang.

Lary sitzt am Böhmischen Platz, in ihrer Hand Blätterteiggebäck und einen Kaffee. Die langen Haare hat sie zu einem übergroßen Halbdutt gebunden, ihr Gesicht zieren Sommersprossen. Sie startet mit Routine in den Tag: Croissant und Kaffee vom Eckkiosk. „Ich bin der Croissant-Typ und voll süchtig danach“, sagt Larissa Sirah Herden alias Lary. Statt einer Zeitung hat die 32-Jährige den Roman „Soloalbum“ von Benjamin von Stuckrad-Barre als Lektüre dabei.

Gerade hat die Sängerin vor der Albumtour, die im November beginnt, ein wenig Ruhe. Im Juli erschien ihr zweites Album „Hart fragil”. Vier Jahre sind seit ihrem Debüt mit „Future Deutsche Welle“ vergangen. Dazwischen ist sie an der Seite des Rappers Motrip mit dem Song „So wie du bist“ bekannt geworden, die Single erreichte Platin-Status. Danach veröffentlichte sie die EP „LARYsays“, ein ganzes Album musste noch warten. Außerdem hat sie gelebt, geschrieben, ist gereist. Dann war da noch der Wechsel zum Majorlabel Universal und im vergangenen Oktober der Umzug nach Neukölln, erzählt sie und schlendert in Richtung Richardplatz.

„Wenn alle über Gentrifizierung meckern, beteilige ich mich nicht daran“

Der erste Kaffee war nicht stark genug. Sie macht am Café Zuckerbaby Halt, läuft mit einem Flat White weiter. „Ich mag den Richardplatz. Hier gibt es noch den Italiener mit Lasagne für vier Euro“, sagt die Songwriterin und fängt an zu summen. In den letzten Jahren haben in Rixdorf schöne Cafés, hippe Eisdielen, alternative Bars aufgemacht. Doch der Schnitzelladen und die Riesenpizza konnten sich halten. „Wenn alle über Gentrifizierung meckern, beteilige ich mich nicht daran.“

Lary erinnert sich an ein Neukölln, das sie gemieden hat. Das war, als sie vor acht Jahren neu in der Stadt angekommen ist. „So wie jeder war ich am Anfang in Prenzlauer Berg“, erzählt sie. Danach lebte sie in Kreuzberg und lange in Mitte. Die Straßen in der Gegend, knapp innerhalb des S-Bahn-Rings, kennt sie gut. Genauso den Mann vom Späti oder die Jungs, die vor seiner Tür lungern. Den Kiez verlässt sie nun kaum mehr, außer für Auszeiten in Los Angeles oder Hamburg. Geburtstage kann man auch im „Magendoktor“ feiern.

Mitte war Ausgehen, Neukölln ist für sie mit Freunden verbunden. Früher kam Lary oft her, um ihren Freud zu besuchen, mit dem sie nun zusammenlebt. Die Stimme tief, die Körperhaltung selbstbewusst, das Aussehen jugendlich – so fragil, wie der neue Albumtitel sie ankündigt, ist Lary keinesfalls. Sie ist eine aufgeweckte Frau. Von der Melancholie, die sich durch ihre zwölf Albumsongs ziehen, ist beim Gespräch mit ihr nichts zu spüren. Es verwundert ein wenig, wenn man sie persönlich trifft, dass sich ihr Album nicht zuletzt um eines dreht: die Liebe, dann „schmeckt die Luft nach Poesie“.Doch was steckt dahinter?

Es war eine Metamorphose

In den vergangenen zweieinhalb Jahren war sie musikalisch auf die Suche nach sich selbst. „Ich war in einer Phase, in der ich mich dazu entschieden habe, mich nicht entscheiden zu müssen“, fährt sie fort. Sie sagt, sie sei durch eine Metamorphose gegangen. Das zeigt besonders „Jekyll“, der heimliche Titelsong des Albums. Es geht darum, zwei Seiten in sich zu tragen. Lary ist „heute Jekyll und morgen Miss Hyde“. Das akzeptiert sie mittlerweile.„Vorher habe ich mich lange hin und her gerissen gefühlt von verschiedenen Charaktereigenschaften, Dingen oder Menschen, die ich mag.“

Beim Laufen klimpert ihr Schlüsselbund, der Dandy-like am Hosenbund baumelt. Dazu trägt sie Adiletten, eine Sonnenbrille in der Hand und ein Herz-Tattoo an einem Finger, das auffällt, wenn sie beim Sprechen mit den Händen gestikuliert. Das ist Lary Poppins, wie sie sich auf Instagram nennt.

„Das Album ist für mich Filmmusik, zu dem es noch keinen Film gibt.“ Doch die ersten Videos sind gerade abgedreht. Bei „Jekyll“ hat sie die Regie übernommen. Es war auch einer der ersten Songs, die sie für die neue Platte geschrieben hat. Wie schon beim ersten Album singt sie auf deutsch: Melancholisch, zerbrechlich, dann wieder stark.

Die Zeiten, in denen sie viel Hip-Hop gehört hat, sind vorbei. Trotzdem hat Lary für „Hart fragil“ mit Samy Deluxe und mit Marterias Songschreiber Mario Wesser zusammengearbeitet. Zu Beginn ihrer Karriere war sie mit den Fantastischen Vier auf Stadiontour. „Es hat sich so ergeben, weil ich viele Freunde aus dem Umfeld habe.“ Ihre Musik bewegt sich zwischen leichtfüßigem Singersongwriter-Pop und R’n’B.

Sie läuft parallel zur Karl-Marx-Straße in eine kleinere, die Hauptstraße ist ihr zu laut. Dann erzählt sie über ihre Heimat, in der sie sich nicht immer wohlgefühlt hat. „Als ich in Gelsenkirchen gewohnt habe, hatte ich das Gefühl, ich passe nicht so richtig rein.“ Doch in Berlin finde jeder seinen Platz. Ihr gefällt die Freiheit, die aber auch einsam machen kann.

Heute ist sie eine etablierte Stimme in Berlin. Doch hierher kam sie erst über Umwege. Ihren Kiez und ihren „bürgerlichen Style“ hat sie in Rixdorf gefunden. „Jetzt bin ich hier und hier bleibe ich“, sagt sie. Nach der Runde zwischen dem ehemaligen Böhmischen und Deutschen Rixdorf endet der Spaziergang am Ausgangspunkt. Es wimmelt hier von hippen Cafés.

Am 12. November spielt Lary im Kreuzberger Lido.

Natalie Mayroth

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