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Volkspark Friedrichshain: Geschichten vom Mont Klamott

Hier wird gegrillt und gechillt, gespielt und gewandert, erinnert und erzählt. Der Volkspark Friedrichshain ist eine der vielfältigsten Grünanlagen der Stadt – mit vielfältigen Besuchern.

Lärmend springen die Kinder durch Fontänen der Wasser spuckenden Elefanten. Auf den Wiesen rauchen Grills, schmusen Verliebte, stellen Protze ihre Muskeln zur Schau. Um sie herum schwitzen Jogger, Volleyballer, Skater. Der Volkspark Friedrichshain, 1846 als erste kommunale Grünanlage Berlins zwischen Friedrichshain und Prenzlauer Berg errichtet, ist Spielplatz, Sportplatz und Rastplatz zugleich. Ein Spaziergang.

Auf dem Grill dampft fettiger Schweinebauch. Indaléssio, 35, und seine spanischen Freunde haben es sich bequem gemacht im Neuen Hain, der großen Wiese an der Danziger Straße. Die Truppe ist gerüstet für einen langen Sommerabend. Billiges Sterni-Pils steht neben mit Sangria gefüllten Plastikeimern. „Der Park ist so groß, dass man sich darin verlieren kann“, schwärmt Indaléssio. Er kam vor 18 Monaten aus Teneriffa zum Arbeiten nach Friedrichshain, der Architekt schlägt sich gerade mit Kellner-Jobs durch. Dass Grillen nur auf dem kleineren der beiden Trümmerberge erlaubt ist, wissen die Spanier nicht. Den Berlinern ist’s egal. Wenn das Ordnungsamt mal kommt, legen alle zusammen, und schon ist das Bußgeld bezahlt.

Ein paar Meter weiter liegt eine Frau auf ihrer Leopardendecke und wartet auf die Sonne; sie will noch brauner werden. Isabell, 30, viele Tattoos, macht eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin und wohnt im Bötzowviertel in Prenzlauer Berg. Bei schönem Wetter kommt sie mehrere Male die Woche her, entspannt im Bikini. Das können ihr selbst die Spanner nicht verderben, über die sich sich ärgert. „Einmal stand einer im Wald und hat sich einen runtergeholt“, sagt sie.

Craig Saunders interessiert die knapp bekleidete Frau nicht. Er liegt im Sandkasten und guckt Tochter Emily, 1, beim Buddeln zu. Sohn Oskar, 3, tobt über die Wiese oder fährt mit dem Laufrad in der Skateboardanlage umher. „In diesem Park kann man immer wieder neue Stellen entdecken“, sagt der Musiker aus Mitte.

Indaléssio, 35, und seine spanischen Freunde erfreuen sich am Grillen im Park.
Indaléssio, 35, und seine spanischen Freunde erfreuen sich am Grillen im Park.

© Spangenberg

Zum Beispiel als Sportler. In der Grube des Neuen Hains hechten Volleyballer durch den Sand, die Teilnehmer der Fitness-Bootcamps schwitzen bei Sprints und Bauchmuskelübungen, am mit Graffiti besprühten Boulderfelsen üben sich Jungs mit freiem Oberkörper am Klettern. Christoph Lorenz guckt entspannt zu und zieht an der Zigarette. Wo heute Boulderfelsen und Volleyballfelder sind, hat er mal schwimmen gelernt. „Ein bisschen jedenfalls“, sagt er und grinst. Als er jung war, standen dort die beiden Schwimmbecken des 1951 errichteten Friesen-Schwimmstadions. Steinsäulen sind die einzige Erinnerung daran. 1999 rollten Bagger an, die Bausubstanz war marode, und das Areal im Nordosten wurde in Anlehnung an den ursprünglichen Zustand hergerichtet.

Christoph Lorenz wurde 1959 im Klinikum im Süden des Parks geboren und wuchs im Kiez auf.
Christoph Lorenz wurde 1959 im Klinikum im Süden des Parks geboren und wuchs im Kiez auf.

© Christoph Spangenberg

Daneben, an der Ecke zur Landsberger Allee, wartet das SEZ darauf, irgendwann eine neue Zukunft zu bekommen. Nach der Wende verfiel das einst größte Sportzentrum der DDR, nun ist es teilweise verwaist, der Investor droht mit Abriss. Christoph Lorenz weiß das. Das hier ist seine Heimat, er wurde 1959 im Klinikum im Süden des Parks geboren, wuchs im Kiez auf. Nun, er hat ein Bein verloren und sitzt im Rollstuhl, lebt er in einem Seniorenheim an der Danziger Straße. Mehrmals in der Woche rollt er durch den Park. „Ich fahre immer kurze Stücke, dann rauche ich eine“, sagt er. Auf den Ausflügen findet er neue Freunde. Ein Pärchen habe ihm zum Eis eingeladen, ein Mann schob ihn die Anhöhe hinauf. Am liebsten spielt er mit Kindern. „Weil die auf Augenhöhe sind.“

Mitten im Park: Der Aussichtsberg Mont Klamott

Die Gestaltung der heute so beliebten Parkanlage begann 1846, nach und nach folgten der Friedhof der Märzgefallenen, das Krankenhaus, der Neue Hain. Seit 1913 plätschert das Wasser im romantischen Märchenbrunnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die beiden Flaktürme gesprengt, mit Schutt gefüllt und überschüttet wurden, hatte der Volkspark zwei 48 und 78 Meter hohe Aussichtsberge, den großen nennen viele Berliner Mont Klamott. Auf beide führen lange Rundwege hinauf, doch wer sportlich ist, nimmt die ausgetrampelten, steilen Abkürzungen durchs Dickicht.

Weil in den umliegenden Kiezen die letzten Freiflächen zunehmend bebaut werden und neue Bewohner in die Gegend ziehen, teilen sich immer mehr Besucher die Wiesen, Wälder und Sportanlagen der 49 Hektar großen Anlage. Zwischen den Trümmerbergen schwimmen Enten im Großen Teich, im Café Schönbrunn entspannen Paare bei einem Eiskaffee. Auf einer Bank am Weg sitzt die 76-jährige Eva N. Eigentlich geht sie ja lieber im Winter in den Park, wenn nicht so viel los ist, doch gerade hat sie sich festgequatscht. N. hat nämlich Frau Krauß kennengelernt. Frau Krauß, 72, den Vornamen möchte sie nicht verraten, sitzt auf der gleichen Bank. Sie wohnt seit 1973 am Südwestende des Parks. „Zu DDR-Zeiten ist mein Sohn über die Wiesen gekrochen. Heute kann man die ja nicht mehr betreten, überall Hunde und Hundekot“, sagt sie. Nun sitzt sie eben auf Bänken, und das beinahe jeden Tag.

Zwei Bänke weiter tippt Mario Urban, 29, auf dem Notebook. Vor wenigen Tagen hat der Nachwuchsautor einen Buchvertrag bekommen. „Es wird ein kritischer Blick auf die Bibel, Comedy“, verrät er. Bei schönem Wetter macht er den Park zu seinem Büro, sitzt am Teich oder am Märchenbrunnen. Ihn stören nur die Leute, die laute Musik hören, „meistens extrem schlechte Musik.“

Die Electromusik, die aus dem Baustellenradio von Florian Boenecke wummert, ist leise. Boenecke, 24, sitzt mit Freundin Madeleine Hahn auf der Wiese vor Mario Urban, zieht an der Wasserpfeife und blickt auf den Teich. „Als Schüler war ich oft hier, hab meine ersten Graffiti gemalt und auf dem Berg exzessiv gefeiert“, erinnert sich Boenecke. Er kam im Krankenhaus neben dem Park zur Welt und lebte lange in der Gegend. Mittlerweile wohnt er in Marzahn, würde aber gerne wieder eine Wohnung innerhalb des S-Bahn- Rings beziehen, wenn die Mieten nicht so hoch wären. In den Volkspark, seinem Kinderspielplatz, kommt er regelmäßig zum Ausspannen und Volleyballspielen.

Mario Urban, 29, ist Autor. Bei schönem Wetter macht er den Park zu seinem Büro.
Mario Urban, 29, ist Autor. Bei schönem Wetter macht er den Park zu seinem Büro.

© Christoph Spangenberg

Am Südende des Großen Sees wird es schnell lauter. Junge Eltern gucken stolz zu, wie ihre Kinder im Bach spielen und sich um den besten Platz an der Wasserfontäne streiten. Steffi Bothe, 15, ist extra aus Reinickendorf gekommen, um sich mit ihren Freunden eine Wasserschlacht zu liefern. Die Kleider sind klitschnass, die Teenies glücklich, vom Park sind sie begeistert. „Es ist toll, dass hier viele Familien sind. Und es ist nicht so touristisch wie im Mauerpark“, sagt Bothe. In den Sommerferien will sie nun öfter in den Volkspark kommen.

Ein bisschen Erfrischung könnte auch Carlos Dominguez, 24, gebrauchen. Der Spanier im neongelben Funktionshemd schnürt drei Mal die Woche die Laufschuhe, um zwei Runden um den Park zu joggen. „Das ist der tollste Park in Berlin. Der Tiergarten ist zu weit weg, und der Mauerpark überfüllt. Nur ein Schwimmbad fehlt“, sagt er und läuft weiter entlang des Wegs, auf dem täglich unzählige Jogger schwitzen. Viel zu viele, findet Alia Barwig. „Hier ist es völlig überlaufen“, sagt sie und überlegt, zum Sport auf die Grünfläche über dem Velodrom auszuweichen. Doch die 37-jährige Fernsehjournalistin Barwig liebt es, im Café Schoenbrunn bei einer Weißweinschorle zu entspannen. „Es ist schön, im Grünen draußen zu sitzen“, sagt sie. Jetzt schiebt sie den fünf Wochen alten Leo im Kinderwagen über die Wege, vorbei an Papierzetteln, die für „Buggy Fitness. Training mit Baby und Personal Trainer“ werben.

Steffi Bothe, 15, hat sich mit ihren Freunden eine Wasserschlacht geliefert.
Steffi Bothe, 15, hat sich mit ihren Freunden eine Wasserschlacht geliefert.

© Christoph Spangenberg

Am Basketballplatz an der Straße Am Friedrichshain kämpft Robert Ruttloff um den Ball. Für den 28-jährigen Berater aus Friedrichshain ist der Park ein riesiger Sportplatz. Er geht dort mehrmals die Woche laufen und Basketball spielen, manchmal auch gemütlich mit der Freundin spazieren. „Blöd ist nur, dass die Leute ihren Müll liegen lassen“, sagt er und wünscht sich mehr Abfalleimer. Neben dem Basketballkäfig ertönt das dumpfe Ploppen von Tennisbällen, die von straff gespannten Schlägern abprallen. Die drei Plätze sind das Zuhause des Vereins SG am Hain. Student Philipp Helbig, 22, ist Platzwart und kümmert sich um die Vermietung des Spielfeldes, das auch Nichtmitglieder mieten können. „Das ist Entspannung statt Arbeit“, sagt er. Vier Mal die Woche ist er für mehrere Stunden hier, arbeitet, spielt Tennis, sonnt sich. Wenn er durchgeschwitzt ist, kühlt er sich unter dem Wasserpilz neben dem Café Schoenbrunn ab oder taucht die Füße in den Märchenbrunnen. Abends geht er gerne ins Open-Air-Kino in der Freiluftbühne, die 1950 errichtet wurde und in der in der DDR Delfin-Shows geboten wurden. Wenn es dunkel wird, treffen sich heute hier Filmfans zu Kinoklassikern und Genrefilmen. Nebenan, am einst verschollenen und im Jahr 2000 wieder aufgestellten Denkmal Friedrichs II., schwebt der süße Duft von Marihuana durch die Luft. Auf den im Schatten liegenden Bänken haben es sich Jugendliche mit Joint und Bier bequem gemacht.

Der Student Phillip Helbig,22, kümmert sich um die Vermietung des Sportplatzes am Park.
Der Student Phillip Helbig,22, kümmert sich um die Vermietung des Sportplatzes am Park.

© Christoph Spangenberg

Der Star des Parks liegt an der westlichen Spitze, wo die Otto-Braun-Straße zum Alexanderplatz führt. Dort empfängt der Märchenbrunnen mit Fontänen, Wasser speienden Fröschen und Skulpturen von Aschenputtel und Rotkäppchen. Auf den Stufen knutschen Verliebte, im Wasser spielen Kinder und in der Nachmittagssonne genießt Grit Markert, 51, ein Sandwich. Bei warmem Sommerwetter kommt sie mehrere Male in der Woche her, um Kraft zu tanken, ein Buch zu lesen.

Wenn Grit Markert die Anlage wieder verlässt, kommen bereits die nächsten Besucher. Sie entspannen, joggen, grillen. In Berlins erstem Volkspark, der noch immer hält, was sein Name verspricht.

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