Wochenendtipp für Berlin und Brandeburg : Auf Radtour mit Kind zum Familienbauernhof in Gatow
„Mama, wann kann ich endlich wieder mit meinem Fahrrad fahren?“ Das fragt mich mein vierjähriger Sohn oft. Die Fahrt zur Kita dauert mit seinem eigenen kleinen Fahrrad so lang, dass wir das selten machen. Er radelt viel seltener, als er gern möchte, und sitzt stattdessen oft im Fahrradkindersitz hinter mir.
Damit er mal so richtig in die Pedale treten kann, wollen wir zu seiner ersten längeren Tour aufbrechen. Aber welche Strecke eignet sich für so kleine Radfahrer? Möglichst eine mit Spielplätzen, Eiscafé und Tieren als Etappenzielen! Wir überlegen schließlich, vom Olympiastadion mit dem Rad Richtung Kladow zu fahren, und zwar zum Kinder- und Familienbauernhof Vierfelderhof in Gatow. Das ist ein passendes Ziel für eine Kindertour, finde ich. Mein Sohn auch.
Am Olympiastadion saust er mit seinem weiß-grünen Flitzer los. Sein Papa auf dem Rennrad und ich mit meinem schwer bepackten Tourenrad hinterher. Ich bin auf alle Hunger-, Durst- und Wetterfälle vorbereitet, deshalb das große Gepäck. Das meiste werde ich – wie immer – nicht brauchen.
Der Weg zum S-Bahnhof Pichelsberg ist das erste Highlight, zumindest für meinen Sohn: „Das rumpelt so lustig“, ruft er, als er über Baumwurzeln, Löcher und Steine holpert.
Radeln zur zur Scharfen Lanke
Kurze Zeit später erreichen wir die Heerstraße. Dort gibt es zwar einen Radweg, aber er ist so schmal und verläuft so dicht neben den Autos, dass uns dieses Stück der Strecke nicht viel Spaß macht. Aber es ist zum Glück nur kurz. Bei der Fahrt über die Freybrücke liegt die Havel tief unter uns und mein Sohn fragt ängstlich, ob man da runter und ins Wasser fallen könne. Nein, nein, beruhige ich ihn und zeige ihm das stabile Geländer. Er ist trotzdem froh, als wir auf der anderen Seite ankommen.
Eine Kladower, ach was!, Berliner Berühmtheit. Der Skulpturen-Garten des Bildhauers Volkmar Haase im Sakrower Kirchweg. Hier bleiben viele Touristen stehen und staunen über die faszinierenden Kunstwerke im Garten der einstigen Werkstatt.
Foto: André GörkeKladow hieß früher mal anders. Das Ortseingangsschild konnte der Kulturverein "Kladower Forum" sichern.
Foto: Kladower ForumImchenallee, Kladow. Vorn ein Baum, den ein Biber bearbeitet hat. Hinten die Insel "Kälberwerder", die ein Ruderverein nutzt. Die Insel gehörte bis 1938 zu Kladow - anschließend zu Zehlendorf.
Foto: André GörkeDer Name erinnert an eine berühmte Kaufhaus-Familie. Benannt ist sie nach Wolf Wertheim, der dort 1906 eine Villa baute. "Damit wurde die Umwandlung Kladows in einen Villenort eingeleitet", heißt es im Straßenlexikon Kauperts.
Foto: André GörkeMorgens, kurz nach 6 Uhr. Wer in die Stadt will, kann auch den BVG-Dampfer rüber zum S-Bahnhof in Wannsee nutzen - an den Wochenende gehört das Schiff den Berlin-Touristen.
Foto: André GörkeHier war die West-Berliner Welt zuende. Rechts geht es nach Potsdam - hier soll ein Kreisverkehr entstehen. Infos hier im Spandau-Newsletter.
Foto: André GörkeAn diesem Haus am Sakrower Kirchweg steht das Schild "Isang-Yun-Haus". Dort lebte der Komponist Isang Yung (1917-1995). Der wurde vom südkoreanischen Geheimdienst entführt und konnte erst nach Protesten zurück nach West-Berlin. Bis 2018 befand sich sein Ehrengrab in Gatow. Mehr lesen Sie hier.
Foto: André GörkeIst das nicht ein herrlicher Schnappschuss? Kladow, Dorfplatz, ca. 1990. Die Fahrspur links gibt es heute nicht mehr (die ist viel breiter und ohne Kurve). Die Busse fuhren zum U-Bahnhof Ruhleben (Linie 35), die Linie 37 fuhr zum Seniorenheim, die Linie 34 fuhr raus zum Gutshof (also zur heutigen Landstadt), wendete dort und fuhr zurück zum Wasserwerk. Über die Potsdamer Chaussee war Kladow mit dem BVG-Bus nicht zu erreichen - die Busse endeten in der Wendeschleife am Landschaftsfriedhof. Quelle: Linienchronik
Foto: Ekkehard KolodziejKiezwissen für Experten: Damals stand sogar "Kladow Dorfplatz" auf dem BVG-Haltestellenschild.
Foto: Ekkehard KolodziejDürfen wir vorstellen: die alte BVG-Fähre nach Kladow, wird morgens von Pendlern genutzt, die in die Stadt wollen (also zur S-Bahn nach Wannsee). Fahrzeit: 20 Minuten.
Foto: André GörkeKladow lag dicht an der Mauer (und ein Teil gehörte bis 1945 sogar zur späteren DDR). Deshalb wurden hier im kalten Krieg schon mal diese Lautsprecherwagen aufgebaut - mit Grüßen aus West-Berlin in die Kaserne auf der anderen Seite der Mauer.
Foto: ImagoAm Kladower Hafen halten auch Ausflugsdampfer nach Potsdam, Tegel oder sogar nach Brandenburg an der Havel. So früh morgens kommt aber nur der BVG-Dampfer.
Foto: André GörkeSieht jeder aus dem Dampfer: den bunten Bären am Hafen (den hatten Deppen im Sommer 2018 in die Havel geworfen).
Foto: André GörkeEine Sonnenuhr! Kapiert nicht jeder, hat auch nicht jeder, steht aber in Kladow rum - am Hafen.
Foto: André GörkeWas haben wir hier? Den Glienicker See, 1958. Ziemlich viel Feld, ziemlich wenige Häuser - und ganz rechts der Flughafen Gatow (der übrigens in Kladow liegt).
Foto: ImagoUnd auch diese Maschinen gehören zur Kladower Geschichte: Dort landeten die Wasserflugzeuge während der Luftbrücke 1948 und entluden ihre Fracht. Das Foto stammt aus dem Luftwaffenmuseum. Das befindet sich ebenfalls in Kladow.
Foto: Museum"Whale Watching Kladow"? What? Gesehen an einer Villa unten am Hafen.
Foto: André GörkeHier geht alles etwas gemütlicher zu. Sogar die beiden lassen sich nicht groß stören. Weder von Autos, noch von einer Handykamera.
Foto: André GörkeGlienicker See, Kladow, 1989. Am Strand das Schild: "Achtung, in 170 Metern endet West-Berlin."
Foto: pa/dpaBisschen kitschig ist's schon, oder? Der Hafen, hinten die gesichtslose, neue BVG-Fähre.
Foto: André GörkeSogar ein Kino gibt es in Kladow bei Familie Weber, allerdings ist das privat. Grund: Der Mann ist ein leidenschaftlicher Cineast - das Kino hat er sich unter seine Terrasse gebaut. Adresse? Geheim.
Foto: Kai Uwe HeinrichFrüher war hier die Welt zu Ende, die Warnung hängt noch immer als olles Schild am Ufer des Glienicker Sees: "Grenzgebiet". Darunter die Warnung der Alliierten in vier Sprachen: "Betreten verboten!". Lange her, der See ist nicht mehr in der Mitte geteilt. Im Schatten der einstigen Mauer zwischen Brandenburg und West-Berlin macht sich das "Bootshaus" mit schöner Terrasse einen Namen. Markant die Architektur, mitunter zu lang die Wartezeit, kalt die Getränke, pieksig die Mücken (die Badestelle nebenan heißt verlockend "Moorloch"), liebevoll die Details, sensationell der Blick - vor allem abends, wenn die aufgekratzten Badegäste wieder im Bus gen Spandau sitzen. Wer mag, mietet sich am "Bootshaus" ein Tretboot (13 Euro/Stunde), setzt sich in den Strandkorb oder genießt die Stille am Ufer. - "Bootshaus", Verlängerte Uferpromenade 21, Kladow. Bus: Mit der Dorflinie 234 bis Krampnitzer Weg - dann gute zehn Minuten zu Fuß zum See.
Landung in Gatow, 90er Jahre. Tagesspiegel-Reporter Rainer W. During sitzt hinter dem Piloten und kann dieses seltene Bild machen. Links sind die Gebäude des Flughafens zu sehen.
Foto: Rainer W. DuringDer Flugplatz ist seit 1995 dicht - hier entstand die "Landstadt Gatow" (in Kladow, die Gründe sind kompliziert). Hier ein Foto von 2008.
Foto: ImagoHier noch ein Foto aus der Landstadt Gatow (rechts mit den Schulen) aus dem Jahr 2008 - die Bäume sind etwas höher mittlerweile.
Foto: ImagoSo, kommen wir jetzt zum alten Kladow, Alt-Kladow: die Kirche. Schön, oder? Steht am Dorfplatz. Wahrzeichen der 16.000-Leute-Gemeinde.
Foto: ImagoVor genau 70 Jahren zogen die Alliierten die Grenzen neu: Spandauer gehörten plötzlich zur Sowjetzone. Zwischen Groß Glienicke und Kladow im Westen Berlins wurde die Mauer mit dem Strich gezogen, sie verlief nicht mehr im Zick-Zack-Kurs, sondern schnurgerade parallel zur Potsdamer Chaussee - die Menschen wurden quasi ausgetauscht. Weil die Briten in Spandau ihren Flugplatz ausbauten und dafür Platz benötigten, kam ein Teil Groß Glienickes nach West-Berlin. Noch heute sind die Spuren der Teilung gut zu erkennen - die Grenze lag an der Waldallee; sie gehörte bis 1945 zu Groß Glienicke. Im Bild: Der Mauerrest am Glienicker See.
Foto: André GörkeWer da so wohnt? Leute aus der Wirtschaft, Politik, Kultur (wie Sänger Klaus Hoffmann), aber das ist privat, vor allem Familien sind dort hingezogen. Ist halt billiger als die andere Seite der Havel.
Foto: Kitty Kleist Heinrich
Ausflugslokale gab es auch eine Menge, wie hier das Schweizerhaus, aber die Zahl der Touris im engen Berlin war begrenzt - viele Lokale wurden abgerissen. Hier ein Foto von 1980.
Foto: Tagesspiegel ArchivNoch so eine Berühmtheit (und abgerissen): Schloss Brüningslinden.
Foto: ImagoEinige Hundert Meter noch vorsichtig über eng zugeparkte Bürgersteige durch den alten Ortskern, dann biegen wir in eine Schrebergartenkolonie ab. Mein Sohn saust vor, vorbei an den Garten- und Wochenendhäuschen bis zum See Scharfe Lanke, einer Bucht der Havel. Er liebt es, wenn er schneller ist als wir, und ruft dabei gern: „Yippieh!“
Der See liegt vor uns in der Sonne, voller Segelboote und gesäumt von Bäumen. Selbst bei trübem Wetter kommt sofort ein Urlaubsgefühl auf. Mein Sohn hat angehalten, um die Boote zu studieren. Wir überlegen uns, in welchem der Häuschen wir gern ein Sommerwochenende verbringen würden, während wir den promenadenartigen Weg entlangradeln.
Im Segelclub SC Gothia gibt es ein Restaurant und Café mit einem Garten voller Spielgeräte und Blick auf den See. Hier könnten wir für unsere erste Rast halten, aber wir fahren lieber daran vorbei, denn wir wissen schon, dass gleich noch ein Eiscafé kommt. Doch vorher hört die Promenade leider auf, wir müssen einer kleinen Straße ohne Gehweg folgen. Die Autos fahren hier zum Glück nur Schrittgeschwindigkeit, unser Sohn fährt rechts neben meinem Mann. So geht es. Wir haben Glück, obwohl wir spät dran sind. Bevor das Eiscafé in dem hübschen hellblauen Holzhaus schließt, bekommen wir jeder noch eine Kugel.
Man könnte überall picknicken
Nach einer Weile geht die Straße in einen der besten Radwege über, die Berlin zu bieten hat: Auf glattem Teer saust man unter Bäumen entlang, immer mit Blick aufs Wasser. Mein Sohn ist begeistert und strampelt mit seinem Vater um die Wette: „Ich bin schneller!“, ruft er. Und mein Mann lässt ihn der Schnellste sein. „Yippieh!“
Hier könnte man überall anhalten und picknicken, zum Beispiel auf einer schönen Obstbaumwiese. Aber wir brauchen jetzt noch nicht wieder eine Pause. Nur einmal halten wir an, um eine Maus zu beobachten, die ins Unterholz flüchtet.
Auch einen Spielplatz mit Klettergerüst gibt es auf der Weide.
Auch einen Spielplatz mit Klettergerüst gibt es auf der Weide.
In Gatow ist der Superradweg leider zu Ende. Wir fahren an der Feuerwache vorbei, die auch als Attraktion für Kinder durchgehen kann mit dem großen Plastikbären in aufgemalter Feuerwehruniform vor dem Tor, überqueren die viel befahrene Gatower Straße und fahren auf der Buchwaldzeile weiter, an besonders hübschen alten Bauernhäusern mit verwunschenen Gärten und einer hölzernen Bockwindmühle vorbei. Mein Sohn meckert über das unebene Pflaster und die Schlaglöcher. Also im Prinzip über den gleichen Fahrbahnbelag, der ihm am Anfang der Tour noch so gefallen hatte. Und er merkt gar nicht, wie schön es hier ist.
Wir sind jetzt fast neun Kilometer gefahren – war das jetzt schon zu viel? So kurz vor dem Bauernhof können wir jedenfalls nicht aufgeben, knapp einen Kilometer muss er noch durchhalten. Zum Glück haben wir ein attraktives Ziel, das ist wichtig bei einer Kindertour. So kann man kleine Radler etwas länger bei der Stange halten. „Guck mal, da sind Pferde auf der Weide“, sage ich. Pferde mag mein Sohn besonders gern, aber in diesem Moment kann ihn nicht einmal das aufheitern. „Wann sind wir endlich beim Bauernhof?“, fragt er jetzt alle paar Meter. „Gleich“, antworte ich. „Nur noch einmal abbiegen.“ Und dann geht es auch schon rechts ab in den Groß-Glienicker Weg. Kurz darauf sehen wir von Weitem endlich den Hof.
Besuch bei den Ziegen auf dem Vierfelderhof in Gatow.
Besuch bei den Ziegen auf dem Vierfelderhof in Gatow.
Spielplatz mit Klettergerüst auf der Weide
Als Erstes hören wir das Gegacker der Hühner und Gänse, dann sehen wir die Schweine, noch bevor wir die Fahrradständer erreicht haben. Ein Plakat neben der Weide macht deutlich, dass die Tiere irgendwann als Wurst enden werden. „Wirklich?“, fragt mein Sohn entsetzt. Damit Stadtkinder so etwas und noch mehr über Landwirtschaft lernen können, gibt es diesen Bio-Hof. Er ist ein gemeinnütziges Projekt. Auch Kurse für Kitas und Schulen werden hier angeboten, in einem Hofladen und einem Hofcafé hofeigene Erzeugnisse verkauft.
Nachdem wir die Räder angeschlossen haben, besuchen wir die Ziegen. Mein Sohn ist begeistert, dass sie einen eigenen Spielplatz mit Klettergerüst auf der Weide haben, auf den keine Kinder dürfen. „Die werden aber nicht gegessen, oder?“, fragt er. Nein, antworte ich und hoffe, dass das stimmt. In einem bunt bemalten und ausgebauten Bauwagen neben dem Kräutergarten können Kinder malen, allerlei Spielsachen liegen auch bereit. „Kinderscheune“ steht groß über dem Eingang. Nachdem mein Sohn alles ausprobiert hat, gibt es als Stärkung und Belohnung für die anstrengende Tour einen Kakao. Wir sitzen an einem der langen Tische neben dem alten Traktor, auf den Kinder klettern dürfen. Der große Mähdrescher ist nur zum Ansehen. Auf den Stämmen eines Klettergerüsts balanciert mein Sohn und hangelt sich an Seilen entlang.
Am liebsten würde er noch bleiben. Aber wir müssen weiter, weil wir die letzte Fähre von Kladow nach Wannsee erreichen wollen. „Ach manno“, sagt er und schwingt sich wieder in den Sattel. Wir fahren auf einem Schotterweg in den Wald, es geht leicht bergauf. Nach einer Weile wird klar: Das ist kein guter Weg für Kinder. Er meckert und kommt kaum vorwärts. Der Papa schiebt von hinten. Irgendwann stürzt der Kleine trotzdem. Er tut sich aber nur ein wenig weh, weil es fast in Zeitlupe geschieht. Wir drehen um und fahren zur Hauptstraße, die hier Kladower Damm heißt. Sie ist viel befahren, hat aber einen Radweg. Bald sind wir wieder am Wasser und auf so glattem Asphalt unterwegs, dass mein Sohn seine Müdigkeit vergisst und wieder ordentlich Gas gibt. Wir nutzen seinen Elan, radeln durch den Gutspark Neukladow, lassen die Badestelle an der Havel links liegen und lotsen ihn auch um den besonders schönen Spielplatz „Räuberland“ herum, wo es ein Piratenschiff gibt, einen Kletterparcours, Hexenhäuschen und eine lange Dunkelrutsche.
Am Anleger in Kladow angekommen ist der Vierjährige müde. Aber er ist stolz, seine erste Tour geschafft zu haben. Er hat sich wacker geschlagen und bei aller Anstrengung auch viel Spaß gehabt. Dann legt auch schon die Fähre an. Wir werden bestimmt bald mal wieder mit den Rädern losdüsen. Mal sehen, ob er mit fünf vielleicht schon seine erste zweitägige Tour schafft.
Der Text stammt aus dem Magazin "Tagesspiegel Radfahren 2018/19" (9,80 Euro, erhältlich am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop). Die Tour von Daniela Martens mit genauer Wegbeschreibung, detaillierter Karte und Gpx-Track zum Nachfahren finden Sie hier zum Download.