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Mit Tempo 250 sollen Züge ab Ende 2027 durch den Tunnel jagen.

© picture alliance / Peter Kneffel

Brenner-Tunnel: Das Bergmeisterwerk

Für den Brennertunnel durchbohren die Arbeiter das Gebirge wie einen Schweizer Käse. Die Baustelle ist Europas teuerstes Bahnprojekt. Dass hier alles läuft, ist vor allem einem Mann zu verdanken.

Der Weg in den Berg führt steil nach unten. Gefälle: zehn Prozent. 40 Kilometer pro Stunde darf man hier auf der Tunnelbaustelle nur fahren. Der Fahrer, der den Minibus steuert, hält sich dran. Vor Kurzem ist ein anderer Fahrer mit Tempo 111 erwischt worden, im Tunnel gibt es sogar Blitzer, trotz Staub und Schmutz hat alles seine Ordnung. An der Wand hängen Leuchten. Weiße Lampen sollen den Tunnel erhellen, blaue zeigen, wo es Löschwasser-Anschlüsse gibt, grüne weisen auf den Notruf hin und rote Leuchten warnen vor Gefahrenstellen, denen man ausweichen muss.

Vorbei an mehreren Abzweigungen geht es immer tiefer in den Berg hinein. Es wird stetig wärmer, am tiefsten Punkt werden es 35 Grad sein. Und es stinkt. „Das ist der Ammoniak, vom Sprengen“, erklärt der Fahrer. Dann geht es zu Fuß weiter. Bis es heller wird am Ende des Ganges. Dort wartet eine riesige Bohrmaschine, die Löcher in die Wand treibt. Und daneben steht Konrad Bergmeister, der hier unten in seinem Tunnel, der größten Aufgabe seines erfüllten Ingenieurlebens, mal wieder nach dem Rechten sehen will.

Die Bohrmaschine drillt Löcher ins Gestein, mehr als einen Meter tief. Dann wird Sprengstoff in diesen Röhren platziert. „Per Lasertechnik werden sie so angelegt, dass das Gestein optimal beim Sprengen herausgebrochen wird“, sagt Konrad Bergmeister. Mit jeder präzisen Sprengung wird der Brenner-Basistunnel etwa einen Meter länger, kommt Stück für Stück voran. Bergmeister, der Chef der Tunnelbaustelle, lächelt und winkt dem Mann zu, der die Maschine steuert und nun wieder zum Bohren ansetzt. Mit einem Höllenlärm.

Wo Konrad Bergmeister gut gelaunt und entspannt steht, sollen ab Ende 2027 Züge mit bis zu 250 Kilometer pro Stunde durch die Dunkelheit des Alpenmassivs rasen. Der Brenner-Basistunnel wird dann zusammen mit einem anschließenden Tunnel bei Innsbruck mit 64 Kilometern die längste unterirdische Eisenbahntrasse der Welt sein. Die Gesamtkosten für Europas ehrgeizigstes und teuerstes Bahnprojekt sind mit 9,3 Milliarden Euro veranschlagt. Österreich und Italien übernehmen je 30 Prozent, 40 Prozent steuert die EU bei – so viel Geld wie bei keinem Infrastrukturprojekt zuvor.

Und während andere Großbaustellen wie der Berliner Flughafen BER sich verzögern oder immer teurer werden, läuft im Brennertunnel alles nach Plan. Dank Konrad Bergmeister.

Seit 2006 ist der 58-Jährige dabei – und hat von Anfang an bei Politikern und Anwohnern für das Projekt geworben. Bis zu 150 Vorträge im Jahr habe er gehalten, sagt er, nie einen Vertreter geschickt. „Es ist wichtig, dass die Menschen Vertrauen haben. Und das geht nur, wenn sie die Verantwortlichen auch kennen.“

Er sollte Landwirt werden

Aufgewachsen ist er mit sieben Geschwistern auf einem einsamen Berghof in Südtirol. Auch der heutige Tunnelbauer sollte Landwirt werden, weil beide Brüder gestorben waren. Doch nachdem Bergmeister in einem südtirolweiten Wettbewerb den besten Aufsatz über das Zusammenwachsen Europas geschrieben hatte, konnte er mit dem Preisgeld sein Studium finanzieren.

Maschinenbau und Bauingenieurwesen waren erst der Anfang, es folgten Volkskunde, Kunstgeschichte, Baukunst-/Baudenkmalpflege, Philosophie und Architektur. Prof. Dr. Dr. Dr. kann er sich heute nennen. Nach seinem Studium forschte und arbeitete er in den USA, Belgien und Deutschland. Acht Jahre lang war er Präsident der Freien Universität Bozen. Mehr als 500 wissenschaftliche Publikationen hat er verfasst. 1990 machte er sich selbstständig und gründete ein Ingenieurteam. Seit 1993 ist er Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien. Von 1999 bis 2006 war Bergmeister Chefingenieur und Technischer Direktor bei der Brennerautobahn.

Mitarbeiter bestaunen seine Fachkenntnisse. Bergmeister versteht es aber auch, sie mitzunehmen. Dabei ist er kein Antreiber; er will überzeugen. Mit Argumenten. Und mit seiner Begeisterung.

Bergmeister ist vernarrt in den Brennertunnel. Und wie einst bei seinem Schulaufsatz spielt Europa dabei wieder die Hauptrolle. Für Bergmeister ist er die „Triebfeder für die Zukunft Europas“. Der Tunnel gehört zur Verbindung von Skandinavien bis zum Mittelmeer. Sieben Staaten liegen an der Strecke; 40 Prozent der EU-Bevölkerung können von dem entstehenden „Korridor“ profitieren, rechnet Bergmeister vor. Auch Berlin gehört dazu.

Auf der Baustelle wird Europa gelebt. „Hier gibt es elf Sprachen“, sagt Bergmeister. Statt in Baracken oder Containern wohnen die Arbeiter, derzeit über tausend, in Zimmern oder in Pensionen. Der Kontakt zu den Anwohnern ist für Bergmeister wichtig. So wachse das gegenseitige Verständnis. „Und die Arbeiter, die jahrelang auf der Baustelle beschäftigt sind, bringen auch ihre Familien in einem Urlaub mit.“ Für Bergmeister ist das praktizierte Völkerverständigung.

of. Dr. Dr. Dr. Konrad Bergmeister, 58, Chef der Tunnelbaustelle.
of. Dr. Dr. Dr. Konrad Bergmeister, 58, Chef der Tunnelbaustelle.

© picture alliance / Peter Kneffel

Das Brennerprojekt ist bereits sein zwölfter Tunnelbau. Aber auch der anspruchsvollste. Um die zwei Röhren für den Zugverkehr, die zusammen 110 Kilometer lang sein werden, in den Berg treiben zu können, müssen insgesamt 230 Kilometer Erdreich gesprengt oder gebohrt werden. Ein Schweizer Käse unter dem österreichisch-italienischen Gebirge. Die Fahrzeit zwischen den Endpunkten Innsbruck in Österreich und Franzensfeste in Italien soll sich so von 80 auf 25 Minuten verringern. Von München nach Verona brauchen Fahrgäste dann statt fünfeinhalb weniger als drei Stunden.

Ein dumpfer Knall

Begonnen hat man 2007 mit dem Bau eines Erkundungsstollens, der zwölf Meter unter den künftigen Röhren mit den Gleisen für die Züge liegt. So wissen die Tunnelbauer jetzt genau, welches Gestein sie erwartet: Quarzphyllit, Schiefer, Gneis und Granit. Rund 80 Kilometer Tunnel sind bereits geschafft, verteilt auf mehrere Abschnitte.

Alle drei bis sechs Stunden wird gesprengt. Auch jetzt ist ein dumpfer Knall zu hören, der selbst Bergmeister überrascht. Eine Druckwelle kommt aber nicht an; der Sprengungsort ist weit entfernt im Inneren des Berges. Wie viel Staub von den Detonationen aufgewirbelt wird, sieht man an den Baufahrzeugen. Sie sind so dreckig, dass nicht mal ihre Farbe zu erkennen ist. Spielt im Tunnel aber auch keine Rolle.

Am Anfang hatten die Sprengmeister am meisten zu tun. Dann wurden auch Tunnelbohrmaschinen eingesetzt – wie beim Bau der U-Bahn-Linie U5 in Berlin. Und fast nebenbei gab es am Brenner einen Weltrekord. Beim Bohren des Erkundungsstollens schaffte die Maschine im Mai 2017 innerhalb von 24 Stunden exakt 61 Meter; so viel wie noch nie zuvor auf der Welt. Die bisherige Bestmarke – 56 Meter am Gotthard-Basistunnel – war übertroffen. Darauf ist Bergmeister schon ein wenig stolz. Dabei war der Baustart ziemlich holprig, Bergmeister war nicht nur als Ingenieur gefragt, sondern auch als Diplomat. Im Padastertal bei Steinach, das mit dem beim Tunnelbau ausgebrochenen Gestein aufgefüllt wird, hatten Bauarbeiter vorschnell den Weg zu einer Kuhweide beseitigt. Der Bauer sei extrem aufgebracht gewesen, sagt Bergmeister. Und er wusste, was jetzt drohte: Proteste, Proteste, Proteste. Seine Sorge: Fängt der Widerstand erst an, erfasst er die ganze Region.

Um den Bauern zu beruhigen, kaufte Bergmeister kurzerhand für 3000 Euro Heuballen – auf eigene Kosten. Sein Baubudget gab genehmigungsfrei nur 500 Euro her. Jetzt konnten die Kühe auch ohne Weide gefüttert werden – und die Proteste blieben aus. Die Probleme im Tal waren damit aber nicht beendet.

Nach dem Fällen von Bäumen stellte sich heraus, dass es zwar eine Genehmigung gab, eine zweite, ebenfalls erforderliche, jedoch fehlte. „Das haben wir nicht gewusst“, sagt Bergmeister heute. Die Strafe war deftig: 12 000 Euro. Auch hier griff er in die eigene Tasche, um schnell weiterbauen zu können. Das Geld hat er nicht zurückbekommen.

Der Tunnelbauer ist beliebt

Weil dem Aushub der Baustelle Deponie auch ein Bildstock – ein kleines Denkmal mit einem Heiligenbild – weichen musste, ließ er wie im Baurecht vorgegeben an anderer Stelle eine neue Kapelle bauen. Durch große Fenster sind der dahinterliegende Wald und die Berghänge zu sehen. Dem Beton wurde Bündner Schiefer beigemischt, der von der Tunnelbaustelle stammt, die Gesteinsbrocken sind deutlich zu erkennen. Der Architekt hat sich viel dabei gedacht. Es war – Konrad Bergmeister. Die Glocke hat der gläubige Christ auch noch gleich gestiftet.

Jetzt schweigt er und blickt in der Nähe der Kapelle auf eine Tafel mit einem eingezeichneten Rundwanderweg um das Deponietal. Auch dieser wurde auf Initiative von Bergmeister angelegt. Ein Abschnitt wird Jakobsweg genannt. Erst etwas stockend erklärt er, warum der Weg so heißt, der nichts mit dem bekannten Jakobsweg zu tun hat.

Bei einer der zahlreichen Sprengungen war seine im achten Monat schwangere Frau dabei. „Und sie stand falsch“, sagt Bergmeister. Sie habe die volle Welle des Sprengdrucks abbekommen. „Und wir wussten nicht, ob es dem Kind geschadet hat.“ Jakob kam gesund zur Welt – und die Anwohner nannten deshalb den Wegabschnitt nach ihm.

Der Tunnelbauer ist beliebt in der Region. Wird er erkannt, winken ihm Menschen schon von Weitem zu. Das war nicht immer so. Gegner des Tunnelbaus haben ihm auch schon die Reifen seines Autos zerstochen. Einerseits befürchteten viele Anwohner, dass pausenlos Lastwagen durch ihre Dörfer donnern werden. Andere bezweifelten, ob der Tunnelbau angesichts der Kosten wirtschaftlich ist. Bergmeister hielt mit viel Geduld und Sachkenntnis dagegen.

Zum Gesprächstermin, den die Deutsche Bahn mitorganisiert hat, ist er ein wenig zu spät gekommen. Die Brennerautobahn war mal wieder verstopft. Der fast ständige Stau auf der Straße sei ein wichtiger Grund, den Tunnel für die Bahn zu bauen, sagt Bergmeister. Mehr als 40 Prozent des Verkehrs über die Alpen nimmt den Weg über den Brenner. Und noch dominiert die Straße mit einem Anteil von zwei Drittel. Rund 2,2 Millionen Lastwagen quälen sich jährlich über den Pass. Durchschnittlich im Abstand von zwölf Sekunden, hat Bergmeister ausgerechnet.

Die Bahn wird für Spediteure attraktiv

Der Tunnel wird den Bahnanteil erhöhen, davon ist Bergmeister überzeugt. Statt bis zu drei Lokomotiven, die derzeit einen langen und schweren Güterzug über die alte Bahnstrecke ziehen und schieben, braucht man weiter unten tief im Berg nur noch eine Lok. Da die Fahrt auch kürzer wird, werde die Bahn selbst für knallhart kalkulierende Spediteure attraktiv, sagt Bergmeister. Vorausgesetzt, auch die Verladestationen funktionierten.

Und auch die Zulaufstrecken zum Tunnel müssten ausgebaut sein. Dass Deutschland hier kräftig hinterherhinkt, ärgert Bergmeister sichtlich. Nun hofft er, dass die neue Bundesregierung einen anderen Kurs einschlägt und den Bahnausbau auch in Deutschland vorantreibt. Wie am Brenner. Ein Mann wie Bergmeister, der die Widerstände der Berglandschaft und der Anwohner überwinden könnte, ist jedoch nicht in Sicht.

Konrad Bergmeisters Expertise ist gefragt, nicht nur am Brenner, auch andere Megaprojekte könnten ihn gut gebrauchen. Ist er vielleicht sogar gefragt worden, sich des Problemfalls BER in Berlin anzunehmen? Bergmeister, der Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist, lächelt: „Ich hatte schon viele Angebote.“ Mehr sagt er nicht. Er baut weiter am Tunnel. Und der, da ist sich Konrad Bergmeister sicher, wird fertig. Garantiert.

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