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Margaret Nakato am Ufer des Fischerdorfs Katosi. Das Wasser macht die Bewohner krank, für viele ist es trotzdem unverzichtbar.

© Sebastian Leber

Emanzipation in Uganda: Die Revolution am Victoriasee

Margaret Nakato kämpft in Ostafrika gegen Krankheiten und Armut - und gegen die Widerstände einer von Männern dominierten Gesellschaft.

Zu ihren ersten Aktionen zählte die mit den Wasserhyazinthen. Massenhaft wucherte das dickstielige Unkraut am Nordufer des Sees, bildete im Hafen von Katosi einen dichten Teppich auf der Wasseroberfläche. Die Anwohner unternahmen nichts, auch nicht die Fischer, die von hier mit ihren Booten ablegen und kaum noch an den Hyazinthen vorbeikamen. Also schritt die gerade erst gegründete Frauengruppe zur Tat: Um der Dorfgemeinschaft zu demonstrieren, wie man der Plage am besten beikommt, kescherten die Frauen tagelang alles Unkraut aus dem Wasser und vergruben es in einer zuvor ausgehobenen Mulde am Strand. Sand drauf, Problem gelöst. Die Fischer schauten aufmerksam zu.

Als ein paar Monate später tatsächlich wieder Hyazinthen wucherten und ein neuer Teppich im Hafen drohte, erinnerten sich die Männer an die Aktion von damals. Sie waren sich schnell einig, was jetzt zu tun sei. Jemand müsse der Frauengruppe Bescheid geben, damit die wieder anrücke und ihre Arbeit verrichte.

Der Kampf von Margaret Nakato, 48, und ihren Mitstreiterinnen ist mühsam. Er ist voller Hindernisse, Widerstände und Rückschläge. Umso erstaunlicher, was Nakato mit ihrem „Katosi Women Development Trust“ innerhalb von 20 Jahren gelungen ist.

Kinder plantschen neben Müllhalden

Das Fischerdorf liegt zwei Autostunden südöstlich von Ugandas Hauptstadt Kampala, direkt am Victoriasee, dem größten Afrikas. Außer Uganda haben auch Tansania und Kenia Uferanteile. 30 Millionen Menschen leben rund um den See, die meisten sind von ihm abhängig. In Katosi ist das offensichtlich. Bewohner schöpfen hier täglich Wasser in gelbe Plastikkanister, das sie zum Waschen, Kochen und für ihre Nutztiere brauchen. Kinder plantschen neben Müllhalden, ein paar Meter weiter putzen Männer ihre Autos. Ziegen und Schweine laufen frei herum. Der Boden, auf dem die Fangnetze der Fischer zum Trocknen ausliegen, ist voller Tierkot.

Nachbarskinder beim Wasserholen im Hinterland. Die Strecke müssen sie mehrfach am Tag laufen.
Nachbarskinder beim Wasserholen im Hinterland. Die Strecke müssen sie mehrfach am Tag laufen.

© Sebastian Leber

Das Wasser des Victoriasees macht Menschen krank. Es verursacht schweren Durchfall, überträgt Typhus und Bilharziose, einen lebensgefährlichen Wurmbefall. Dennoch ist es für viele Bewohner der Region unverzichtbar. Margaret Nakato will diese Abhängigkeit beenden. Sie hat eine Initiative gegründet, die den Lebensstandard der ländlichen Bevölkerung durch eine Vielzahl an kleinteiligen Hilfsprojekten verbessern soll. Die Mitglieder bauen Brunnen, öffentliche Toiletten und Wasserspeicher, vergeben Mikrokredite und bringen Kindern Grundregeln der Hygiene bei. Dafür arbeiten sie mit internationalen Hilfsorganisationen zusammen, in Deutschland mit „Arche Nova“ aus Dresden. Das Außergewöhnliche an Nakatos Idee: In ihrer Initiative agieren und entscheiden fast ausschließlich Frauen. Das ist nicht weniger als eine Revolution in einer patriarchalischen Gesellschaft, in der Frauen die Stühle freiräumen und sich auf den Boden setzen müssen, sobald Männer den Raum betreten. Nakato sagt: „Man hat lange versucht, uns zu sabotieren.“

Montagnachmittag, ein abgelegenes Grundstück im Hinterland. Margaret Nakato besucht fünf Frauen aus ihrer Gruppe, die gerade Beton anrühren. Die Familie, die hier wohnt, lebt drei Kilometer vom nächsten Brunnen mit halbwegs sauberem Wasser entfernt. Den Weg müssen sie mit ihren Kanistern jeden Tag drei Mal zu Fuß gehen, um genug Wasser für den Haushalt zu haben. Da Vater und Mutter bald 60 werden und die Kinder ausziehen wollen, fürchten die Eltern, dass sie die schweren Kanister dann nicht mehr schleppen können.

Die Arbeiterinnen tragen Blaumann - zum Schutz vor Spannern

Deswegen baut ihnen die Frauengruppe einen Wasserspeicher neben das Haus. Eine simple Konstruktion aus Steinen, Beton und einem Drahtgestell. Die Technik haben die Frauen von anderen Mitgliedern der Gruppe gelernt. Der Speicher wird 10.000 Liter fassen und ständig mit dem Regenwasser aufgefüllt werden, das dann vom Dach über ein Rohr in eine kleine Filteranlage und von dort in den Tank fließen wird. Umgerechnet 500 Euro kostet der Bau, die Familie hat drei Jahre Zeit, die Summe zu bezahlen. Dafür verkauft sie Bananen, Kaffeebohnen und die Milch ihrer Kühe.

Der Wasserspeicher wird 10000 Liter fassen können.
Der Wasserspeicher wird 10000 Liter fassen können.

© Sebastian Leber

Die Arbeiterinnen vom „Katosi Women Development Trust“ tragen alle Gummistiefel und Blaumann. Das ist notwendig, sagt Margaret Nakato. Früher hatten sie Röcke an, da wurden sie von den Männern aus der Nachbarschaft angestarrt, besonders wenn sie auf Leitern klettern mussten.

Als Jugendliche lebte Nakato selbst in Katosi. Sie sah, wie sich die Männer des Dorfes betranken, manche schlugen ihre Frauen. Sie fragte ihre Mutter, warum diese Frauen nicht einfach davonliefen. „Sie sind eben abhängig“, lautete die Antwort der Mutter. Das machte Margaret Nakato wütend. Und so fand sie ihre Lebensaufgabe: Frauen zu befähigen, dass sie auf niemanden mehr angewiesen sind.

Nakato lässt sich zwei Stühle auf die Wiese neben der Baustelle bringen – für sich und einen Stapel Unterlagen. Sie nimmt ihr Smartphone, muss Termine bestätigen, Rücksprache halten. Ihr Netzwerk wächst schnell. Inzwischen engagieren sich fast 600 Frauen in 19 Ortsgruppen. Auf den wöchentlichen Sitzungen werden Anwesenheitslisten geführt. Jede Gruppe wählt eine Vorsitzende, eine Schatzmeisterin, eine Schriftführerin. Margaret Nakato sagt, die Mitarbeit verleihe den Frauen Ansehen und Einfluss. In ihrem Dorf, aber auch gegenüber dem Ehemann. Grundsätzlich dürfen sich Männer ebenfalls um Aufnahme bemühen. Jedoch höchstens zwei pro Gruppe. Sonst würden sie sofort die Gespräche dominieren und versuchen, Entscheidungen alleine zu treffen, sagt Nakato.

Sechsjährige schleppen bereits Fünf-Liter-Kanister

Die Vereinten Nationen führen Uganda in ihrer Liste der entwickelten Staaten auf Platz 163 von 186. Das liegt an den Schreckensjahren unter Diktator Idi Amin, am langen Bürgerkrieg, aber auch an der allgegenwärtigen Korruption. Uganda leidet unter Bevölkerungswachstum und steigender Inflation. Das Sammeln von Feuerholz und das Tragen von Wasserkanistern gehört zum Alltag. Oft müssen das die Kinder erledigen, Sechsjährige schleppen bereits Fünf-Liter-Behälter. An staatlichen Schulen werden Unterrichtsstunden darauf verwendet, die Kinder zum Wasserholen zu schicken. Die langen Wege zum nächsten Brunnen sind auch eine Gefahr. In der Vergangenheit wurden mehrfach junge Frauen vergewaltigt.

In dieser Hüttensiedlung teilen sich 800 Menschen eine Toilette.
In dieser Hüttensiedlung teilen sich 800 Menschen eine Toilette.

© Sebastian Leber

Es gibt Siedlungen, in denen der Staat völlig abwesend ist. Einen Kilometer südlich von Katosi leben 800 Menschen am Ufer des Victoriasees in Holzhütten. Sie teilen sich ein Plumpsklo, das Margaret Nakatos Gruppe errichtet hat. Morgens und abends bildet sich davor eine lange Warteschlange. Manche halten es nicht aus und gehen nebenan in den Urwald oder runter zum See. Steht man auf der Wiese am Eingang des Dorfs, riecht es streng nach Urin. Das sei bereits ein enormer Fortschritt, sagt Nakato. Vor dem Bau der Toilette hätten es Fremde hier keine zwei Minuten ausgehalten.

Die Kinder des Slums gehen nicht zur Schule, viele von ihnen sind Waisen, ihre Eltern an Aids gestorben. Beim Rundgang klagen einige Frauen Margaret Nakato ihr Leid. Die Siedlung brauche dringend eine weitere Toilette, vor allem aber einen Brunnen für Trinkwasser. Tatsächlich hat die deutsche Partnerorganisation „Arche Nova“ schon zugesagt, dass beides im kommenden Jahr gebaut werden kann. Doch Nakato behält die Nachricht noch für sich. Sie will, dass die Bewohner des Slums ihr erst zusichern, dass sie die neuen Anlagen auch instand halten werden. Nakato sagt: „Ich habe eine sehr dicke Haut. Ich musste in meinem Leben schon zu viele Klagen hören.“

Eine derjenigen, die vom Netzwerk profitierten, ist Margaret Nakafu, 52. Ihr Mann starb früh an Herzversagen, sie hatte fünf Söhne zu versorgen. Der „Katosi Women Development Trust“ schenkte ihr zwei Kühe, die Milch verkaufte sie für zehn Euro im Monat. Dadurch konnte sie sich ihren Wasserspeicher finanzieren. Nachbarn kaufen ihr nun Wasser ab und sparen sich den Weg zum Brunnen.

Das Dorf Katosi war nicht immer arm

Gerade lässt sich Margaret Nakafu von der Frauengruppe zwei Löcher in den Boden graben. Das wird eine Biogasanlage. Den Dung ihrer Kühe kann Nakafu dann mit Wasser vermischen und im Boden gären lassen. Das Gas, das so entsteht, wird über ein Rohr ins Haus geleitet, es reicht zum Kochen und für die Beleuchtung eines Raums.

Nakafus Söhne sind längst erwachsen, haben Familien gegründet und eigene Häuser gebaut. Finanziell sind sie weiterhin von ihrer Mutter abhängig.

Das Dorf Katosi war nicht immer arm. Ende der 1990er Jahre boomte hier der Fischfang, nachdem die Europäische Union den Victoriabarsch zum Import freigegeben hatte. Der Fisch heißt eigentlich Nilbarsch und ist ein Räuber. Jemand hatte ihn 30 Jahre zuvor im See ausgesetzt; er vermehrte sich so schnell, dass hunderte einheimische Arten ausstarben. Nach dem Wegfall der Handelsschranken wurde der Victoriabarsch täglich tonnenweise gefangen, noch vor Ort in kleinen Fabriken weiterverarbeitet und anschließend in Flugzeuge verladen. Die Fischer verdienten so gut, dass manche drei oder vier Frauen hatten, sagt Nakato. Der christliche Glaube habe sie nicht daran gehindert. Die Weltbank gab Kredite an ausländische Konzerne, damit die ins Fischfanggeschäft am Victoriasee einsteigen und weitere Fabriken errichten konnten. Der Bestand nahm ab, die Fangnetze wurden engmaschiger, um auch die Jungtiere zu erwischen. Heute ist der See praktisch leergefischt. Die geringen Erträge gehen komplett in den Export. Wer am Ufer des Victoriasees lebt, sagt Nakato, isst keinen Fisch.

Das Wasser des Victoriasees macht krank. Die Bewohner dieser Siedlung sind trotzdem darauf angewiesen.
Das Wasser des Victoriasees macht krank. Die Bewohner dieser Siedlung sind trotzdem darauf angewiesen.

© Sebastian Leber

Sie selbst zog schon vor Jahren nach Kampala. studierte dort Management, zog vier Kinder groß. Eine klassische Feministin sei sie wohl nicht, sagt Margaret Nakato. Aber die Strategie, sich auf Frauen zu fokussieren, habe sich bewährt. In der Anfangszeit hätten Ehemänner versucht, ihre Frauen von den Gruppen fernzuhalten. Manche weigerten sich, die Raten für den Wasserspeicher zu bezahlen, schließlich hätten sie selbst ja keinen Vertrag unterschrieben. Manche ließen Kühe verhungern, weil die doch von der Frauengruppe stammten. Inzwischen haben die Männer erkannt, dass auch sie profitieren, sagt Nakato. Zudem sei die Gruppe diplomatischer geworden. Es heiße jetzt nicht mehr „woman empowerment“, sondern „household empowerment“.

Auf dem Grundstück eines Gruppenmitglieds wird gerade eine weitere Biogasanlage gebaut. Dafür haben sie aus einem anderen Landesteil einen Spezialisten bestellt, der den Frauen jeden Arbeitsschritt genau zeigen soll. Margaret Nakato stand mit der Firma des Handwerkers über Monate in Kontakt, sie verhandelten einen Extrapreis, damit sich der Mann Zeit nehmen kann, um die Frauen zu schulen. Und jetzt stehen sie da und wissen nicht weiter. Entgegen den Absprachen hat die Firma einen anderen Mitarbeiter geschickt. Und der kann kein Luganda, die Bantusprache der südlichen Provinzen Ugandas. Wie soll er nun sein Wissen weitergeben? „So etwas passiert ständig“, sagt Margaret Nakato. Aber sie bleibt ruhig. Sie wird es wie immer machen: einfach nicht aufgeben.

Die Recherche in Uganda wurde durch die Unterstützung der Initiative „Arche Nova“ ermöglicht.

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