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Mein Freund, das Huhn. Lena Stollwerck mit Henne Berta. Anfangs war Berta eher scheu, jetzt ist sie ein Schmusehuhn.

© Kitty Kleist-Heinrich

Federvieh in Berlin: Ich wollt’, ich hätt’ ein Huhn . . .

Schmusehühner, Frust für den Fuchs und Supereier: Wie Familie Stollwerck in Lichterfelde-West vor sechs Monaten gackerndes Federvieh erwarb – und was sie seither damit erlebte.

In Anke und Karsten Stollwercks Leben geht es oft drunter und drüber. Zwei Söhne im Alter von 15 und 18 im Haus und eine dreizehnjährige Tochter, dazu fünf Kaninchen und eine Katze. In ihrer Töpferwerkstatt für Kita-Kinder im Souterrain herrscht oft Trubel. Das Haus an der Carstennstraße in Lichterfelde-West sieht aus wie die Villa Kunterbunt. Da ist es gut, wenn man ein paar Wesen mit solidem Lebenswandel um sich hat. Das sind seit einem halben Jahr ihre Hühner. Sieben auf einen Streich haben sie sich geholt. Die Hühner stehen mit dem ersten Morgenlicht auf, legen pünktlich zwischen zehn und elf Uhr ihre Eier, und wenn der Tag geht, flattern sie auf die Stange. „Unsere Hühner“, sagt Anke Stollwerck, „die haben eine total beruhigende Ausstrahlung.“

Das findet auch Tochter Lena. Manchmal kocht sie sich Tee, geht mit Decke, Kanne und Stullen durch den Garten, nimmt den Pfad zwischen Johannis- und Stachelbeersträuchern, vorbei an Narzissen und Tulpen bis ganz nach hinten, zum Hühnergehege. Sucht sich ein Plätzchen im umzäunten Auslauf.

Picknick mit Federvieh. Die Hühner ziehen ihre Kreise immer enger um Lena, blicken schräg, um besser aufs Tablett zu sehen, gakeln leise. Da holt sie sich mit raschem Griff das schneeweiße Tier mit der schwarzen Halskrause auf den Schoß. Alte englische Sussex-Rasse. Sie reibt zärtlich den roten Kamm, der sich ledrig anfasst. Streicht über die Halsfedern hinab zum Bauch, wo die Hand tief im Flaum einsinkt. Ein paar Monate haben genügt, um aus den Neuankömmlingen Schmusehühner zu machen.

Wunsch nach autarkem Lebensstil

Warum holt man sich als Städter so eine Truppe aufs Grundstück? Für die Lichterfelder Familie war es der Wunsch nach ein klein wenig autarkem Lebensstil, „Selbstversorger und so.“ Und die Sehnsucht nach einer Idylle wie bei Michel von Lönneberga & Henne Lotta oder bei Pettersson & Findus’ wild gewordenen Hühnern. „Na ja, vielleicht ein bisschen versponnen“, sagt Anke Stollwerck. Wenn die 46-Jährige zum Stall geht, freut sie sich über die Bienen an den Weiden, über Larven und Würmchen, die ihre Hühner toll finden. „Karli“, ihr Mann mit Strickpullover, Bart und Wuschelhaar ist wie gemacht für den gemeinsamen Berliner Öko-Traum. Der 54-Jährige schreibt Jugendbücher, arbeitet als Montessori-Lehrer.

Fünf bis sieben Eier findet die Familie jeden Morgen in den Nestern. Die kommen ins Eierkörbchen.
Fünf bis sieben Eier findet die Familie jeden Morgen in den Nestern. Die kommen ins Eierkörbchen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bevor sie sich die Tiere anschafften, haben sie Wissenswertes über Hühnerhaltung studiert. Es war ein Familienprojekt. Auch Kai und Malte, die Söhne, zimmerten am Stall und dem Außengehege mit. Gut 15 Quadratmeter ist die Hütte groß. Viel Licht und Luft flutet durch große Klappfenster in den vorderen Teil, wo der Futtertrog steht. Das brauchen die Hennen fürs Wohlbefinden. Hinten im Stall ist es dämmerig. In Brusthöhe, die Sitzstange, gerade so breit, dass sie Hühnerzehen perfekt umklammern können. Darunter das Kotbrett. Und in Bodennähe vier Nester. Holzkisten, mit Heu ausgepolstert. Schön kuschelig und geborgen, weil das Hühner beim Eierlegen lieben. Sind die Nester besetzt, gibt’s kein Gedrängel. Die Hennen warten, bis sie dran sind.

Das grüne Ei liegt noch warm in der Hand

Karsten Stollwerck holt ein Ei heraus. Noch warm liegt es in der Hand. Die Schale schimmert grünlich. „Ist von unserem Grünleger“, sagt er. Grün brauchen Stollwercks ihre Eier zu Ostern nicht einzufärben. Das erledigen die Hennen vom Stamm der chilenischen Araucana-Hühner. Außerdem haben sie einen Braunleger und zwei weitere Rassen. Sie wollten ein „bunt gemixtes, glückliches“ Hühnervolk. Sieben Eier liefert es ihnen pro Tag. Dottergelb, Supergeschmack. Die Menge hänge aber stark von der Psyche der Henne ab, hat Anke Stollwerck festgestellt. „Regen sie sich auf, legen sie weniger.“ Als sie die Katze noch nicht kannten, jagte die ihnen eine Heidenangst ein. Zwei Nester blieben am nächsten Tag leer.

Besser kein Hahn. Der kräht zu laut

Auf einen Hahn haben Stollwercks verzichtet. Zu laut, das Krähen. Nicht jeder Nachbar hätte das lustig gefunden. Gegacker ärgert offenbar niemand. Die meisten Leute im Kiez finden ihre neuen gefiederten Nachbarn sehr spannend. Außerdem hat sich die Eierquelle herumgesprochen. Gerne lässt man sich von Stollwercks mal ein paar über den Gartenzaun reichen.

Acht Euro haben sie pro Huhn bezahlt. Gebracht hat sie ihnen ein Geflügelzüchter aus Pasewalk. Damals waren die Tiere vier Monate alt. Tagsüber picken sie im Freigehege, das etwa 70 Quadratmeter groß ist. Karsten Stollwerck hat den Maschendraht einen Meter tief in die Erde versenkt, „damit sich kein Marder oder Fuchs durchbuddelt“. Der Fuchs hat sich damit abgefunden. Er schaut nur ab und zu am frühen Morgen Hühner-TV. Dann beobachtet ihn die Familie vom Wohnzimmer aus. Er hockt oben auf dem Komposthaufen und stiert zu den Hennen hinüber.

Picknick mit Huhn. Manchmal machen sich’s die Stollwercks in der Volière gemütlich und vergnügen sich mit der gackernden Schar.
Picknick mit Huhn. Manchmal machen sich’s die Stollwercks in der Volière gemütlich und vergnügen sich mit der gackernden Schar.

© Kitty Kleist-Heinrich

Den ersten Stress hatten sie, als ein Habicht vom Himmel stieß. Eine Henne bekam einen solchen Schreck, dass sie tot umfiel. Danach haben sie ein Schutznetz über den Auslauf gespannt. Das zweite Mal ging es hoch her, als alle sieben Tiere ausbüxten. Für den Garten war das verheerend. „Die sind wie Planierraupen“, sagt Anke Stollwerck. Rasen, Blumentriebe, alles wird scharrend niedergemacht. Seit der Hühnerjagd darf nur immer eines unter Aufsicht raus. Lena, die allen Hennen Namen gab, hat jüngst mal Berta draußen auf ein Beet gesetzt. Zum Umgraben. Berta hat das bestens erledigt.

Ein Huhn auf dem Teller? Gibt's nicht

Auf einem Sonnenplätzchen haben die Hennen ihre Kuhle fürs Sandbad. Gefiederpflege gegen Milben. Während sie dort heftig Staub aufwirbeln, füllt Karsten Stollwerck den Trog mit Fertigfutter und Wasser, holt Stroh, fegt Mist. „Eine halbe Stunde Arbeit am Tag, nicht allzu viel.“ Seine Frau amüsiert sich unterdessen mit zwei Hennen, hält einen Apfel hoch. Gierig springen die, hacken hinein. Von wegen dumm. „Die sind neugierig, immer geschäftig.“ Die Hühnersprache hat Anke schon ein wenig gelernt. Den Kopf senken, Flügel heben – das ist eine Art Entschuldigung. Gakeln, bevor das Ei kommt, Gackern, wenn’s da ist. „Also, die machen einem so viel Freude“, sagt Anke Stollwerck. An die Legebatterien mag sie gar nicht denken.

Wie alt wird eigentlich ein Huhn? Bis zu sieben Jahre angeblich. Nur: Die meisten enden früher – als Suppenhuhn. Der Lichterfelder Hühnerstall wird dagegen später eine Seniorenresidenz. Karsten Stollwerck könnte sich zwar vorstellen, auch mal eins auf dem Teller zu haben. Aber das gibt's nicht. Das musste er Lena versprechen.

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