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Mit Technologien der Fernerkundung erforschen Birgit Kleinschmit und ihr Team den Wald. Sie berät die Bundesregierung zum klimaangepassten Umbau.

© TU Berlin / Judith Rehberg

Forschung zum Klimawandel: Wettlauf gegen die Zeit

Trockenstress lässt Bäume sterben. Der Klimawandel erfordert den Umbau des deutschen Waldes zu stabilen Mischwäldern.

Birgit Kleinschmit liebt den Wald – die Kühle im Sommer, die ausgedehnten Spaziergänge im Herbst. Doch wenn sie jetzt in deutschen Wäldern wandern geht, hat sie Sorgenfalten auf der Stirn. „Unzählige Bäume im deutschen Wald sterben. Der derzeitige Zustand ist eine noch nie dagewesene Katastrophe“, erklärt die studierte Forstwissenschaftlerin, die an der TU Berlin das Fachgebiet Geoinformation in der Umweltplanung leitet.

„285 000 Hektar sind bereits abgestorben, dreimal so viel wie die gesamte Stadtfläche Berlins.“ Anfang 2020 hat die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner die TU- Professorin in den „Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik“ der Bundesregierung berufen.

In diesem Waldbeirat berät und unterstützt Birgit Kleinschmit nun zusammen mit 14 Expert*innen aus deutschen Universitäten und Institutionen die Bundesregierung bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder und deren Anpassung an den Klimawandel.

Bäume sind nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt

„Der Klimawandel macht dem deutschen Wald sichtbar zu schaffen“, sagt Birgit Kleinschmit. „Stürme, die extreme Dürre, überdurchschnittlich viele Waldbrände und massiver Borkenkäferbefall sind die Hauptursachen der Misere.“ Niederschläge verlagern sich zunehmend von der im mittleren Trend sogar verlängerten Vegetationsperiode in die Wintermonate.

Die Temperaturen steigen und bei Starkregenereignissen fließt das Wasser schnell ab, statt zu versickern. Die Böden trocknen zunehmend aus, der Grundwasserpegel sinkt, und die Bäume sind nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt.

Der Trockenstress der letzten drei extremen Dürrejahre hat sie so stark geschwächt, dass Borkenkäfer und andere Schaderreger leichtes Spiel haben. Er setzt mittlerweile nicht nur Nadelbäumen, sondern auch Laubbäumen wie Buche oder Birke, die bislang als widerstandsfähig galten, vielerorts unerwartet stark zu.

„Ein Beispiel ist der Harz. Er bietet mit seinen von Baumleichen bedeckten Hügeln und Bergkuppen ein trauriges Bild unseres heimischen Waldes. Mit den sterbenden Bäumen wird nicht nur vielen Betrieben die Lebensgrundlage entzogen und viele Bereiche werden aufgegeben, sondern oft können die toten Bäume aus großen Flächen nicht einmal mehr geerntet werden, weil es zu teuer und für die Waldarbeiter durch herabstürzendes Totholz lebensgefährlich ist.“

Das Problem ist erkannt, denn der Wald liefert wichtige Ökosystemdienste. Er speichert CO2, produziert den Rohstoff Holz, stellt hochwertiges Trinkwasser bereit und kühlt die Atmosphäre. Zugleich ist er Erlebnisraum, in dem Menschen sich erholen, spielt eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Biodiversität und sichert mehr als eine Million Arbeitsplätze in Deutschland.

Ziele für den Wald

Das Bundesministerium erarbeitet derzeit die „Waldstrategie 2050“. Dort sind bereits umfangreiche Empfehlungen des Waldbeirates zur Anpassung des Waldes an den Klimawandel eingeflossen.

Ziel ist es, den Wald nicht nur ökologisch stabil, widerstandsfähig gegenüber dem fortschreitenden Klimawandel und zugleich produktiv zu gestalten, sondern so, dass er seine vielfältigen Funktionen auch künftig auf bleibendem oder höherem Niveau erfüllen kann.

Insbesondere die anfälligen Nadelbaum-Monokulturen müssen zu klimaangepassten Mischbeständen umgebaut werden. Die Mitglieder des Waldbeirates spiegeln mit ihrer Expertise daher die kompletten gesellschaftlichen Anforderungen an den Wald wider.

Dabei sind unter anderem Reinhard Hüttl vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam, Expert*innen für Bodenkunde, Hydrologie, Wald- und Tierökologie, Biodiversität, Forstökonomie, Holzwissenschaften, ressourceneffizientes Bauen, für Natur- und Klimaschutz und für Waldmonitoring.

Rund die Hälfte des Waldes ist in Privatbesitz

Ebenso werden die Interessen aller Eigentümer berücksichtigt, denn rund die Hälfte des Waldes in Deutschland wird von privaten Eigentümern bewirtschaftet. Knapp ein Drittel gehört den Ländern, 19 Prozent sind in der Hand von Kommunen und Körperschaften, vier Prozent sind Eigentum des Bundes.

„Und alle Waldbesitzer stehen gleichermaßen vor der großen Herausforderung der klimaangepassten Wiederaufforstung des deutschen Waldes“, so Birgit Kleinschmit, die als Expertin für Geoinformation und Waldmonitoring im Rat ist. „Die Vegetation ist die entscheidende Schnittstelle zwischen Boden und Atmosphäre und spielt eine zentrale Rolle im gesamten Wasserkreislauf.

Seit vielen Jahren beschäftigt sich unser Fachgebiet an der TU Berlin mit der Beobachtung von Vegetationszuständen. Viele entsprechende Projekte sind hier angesiedelt.“

Untersuchungen mittels Satellit und Drohne

Für das Monitoring setzen die Forscher*innen moderne Methoden der Fernerkundung ein. Durch Satellitenbeobachtung und Drohnen mit empfindlichen Thermal- und Hyperspektralkameras werden Daten zum Zustand von Wald und Offenland sowie zur Wasserverdunstung von Blättern, Bäumen und Böden gesammelt.

So nutzt das Graduiertenkolleg „Urban Water Interfaces“ Fernerkundungsdaten, um den Wasser- und Energieaustausch zwischen Boden, Vegetation und Atmosphäre in Berlin mit Methoden des maschinellen Lernens und physikalisch basierten Modellen zu berechnen. Im Projekt „Cosmic Sense“ wird das Potenzial von kosmischen Neutronenstrahlen und unterschiedlichen Fernerkundungssensoren für die Berechnung des Bodenwassergehalts untersucht.

Mit „FirSt2.0“ und „TreeSatAI“ sind in diesem Sommer an der TU Berlin zwei der umfassendsten Verbundforschungsprojekte zu Waldschäden in Deutschland gestartet, die mit insgesamt mehr als drei Millionen Euro gefördert werden. Für „TreeSatAI“ hat Birgit Kleinschmit die Sprecherschaft übernommen.

Zusammen mit universitären und außeruniversitären Partnern wird hier unter anderem eine Software entwickelt, die der Forstwirtschaft und dem Naturschutz eine genaue, kontinuierliche Analyse des Zustands und der Schadarten der Wälder erlaubt, auch mit Künstlicher Intelligenz (KI).

Auch der Berliner Wald ist zu trocken

Abertausende von Daten, zum Beispiel aus der Bundeswaldinventur, aus Social-Media- Datenbanken oder von Drohneneinsätzen werden dazu verwendet, KI-Algorithmen zu trainieren. Sie sollen aus Satellitendaten automatisch Baumarten und den Zustand der Wälder erkennen. Aus der TU Berlin ist auch die KI- und Fernerkundungs-Expertin Prof. Dr. Begüm Demir beteiligt.

Auch den Berliner Wald, der fast ein Fünftel der Stadtfläche ausmacht, plagt der Trockenstress der letzten Jahre. „Einige Parkanlagen mussten sogar teilweise gesperrt werden, da große Äste drohten, abzubrechen und Spaziergänger zu gefährden“, sagt Birgit Kleinschmit.

Die Wälder in und rund um Berlin sind durch Kiefern dominiert. Bereits seit einiger Zeit sind die Berliner Forsten dabei, die Kiefermonokulturen zu stabilen Laubmischwäldern umzugestalten, um den Wasserhaushalt zu verbessern, die naturnahe Waldbewirtschaftung weiterzuentwickeln und zur Anpassung an den Klimawandel beizutragen.

Das Landesforstamt hat ausgerechnet, dass man jährlich etwa eine Waldfläche in der Größe des Tempelhofer Feldes verjüngen und zum Mischwald umbauen muss, um das Ziel bis 2050 zu erreichen.

„Noch weiß keiner, wohin sich das entwickelt. Aber bei aller Misere, eröffnet sich mit der Katastrophe auch eine Chance zu einem rascheren Umbau des Multitalents Wald“, meint Birgit Kleinschmit zuversichtlich. Ein Wettlauf gegen die Zeit.

Patricia Pätzold

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