Entschleunigen in Tschechien : Sau langsam
In Loket liegt zweierlei begraben: ein Schwein und der Hund. Letzterer nur sprichwörtlich, doch das mit dem Schwein ist buchstäblich zu verstehen – und beides ist ein großes Glück.
Zuerst zum Hund. Das verschlafene Loket fasst gerade mal 3000 Einwohner und ein paar Touristen. An grauen Herbsttagen sieht man von beiden höchstens drei. An sonnigen Wochenenden aber kommen die Tagesausflügler aus Karlsbad, Marienbad und Franzensbad. Loket liegt inmitten des böhmischen Bäderdreiecks. Reisebusse schieben sich dann durch die engen Gassen und entladen Touristen. Nach ein paar Stunden ziehen sie sich in die Busse zurück, und in Loket herrscht wieder selige Ruhe.
Wer Museen und Party will, geht nach Prag, die Bierverliebten zieht es nach Pilsen, und die Flaneure bevorzugen die größeren Kurorte in der Nachbarschaft Lokets.
Kosmonauten kamen nach Karlsbad, um den Körper zu entgiften
Ins Bäderdreieck kommen die meisten Besucher, um gesund zu werden, oder wenigstens, um sich gesund zu halten. Franzensbad, das kleinste und am wenigsten bekannte der drei Bäder, ist ein einziger großer Reha-Komplex aus Kurhäusern, Bädern und Hotels. Alles ebenerdig gelegen, zwischen Parks und Grünflächen, gut geeignet für Spaziergänger – auch für jene, die nicht gut zu Fuß sind. Marienbad ist da die größere Herausforderung, die Kuranlage steht an einem steilen Hang, dafür gibt es talwärts einige Cafés und Restaurants und in der Mitte einen Park. Karlsbad vereint beides miteinander. Ein schmales, ebenes Tal, eingekesselt von Bergen und Wäldern, durchzogen von einem heiß dampfenden Fluss.
Böhmen hat unzählige Heilquellen, allein in Karlsbad sprudeln mehr als ein Dutzend, aus denen man trinken kann. Im Prinzip trägt jeder, Gast wie Einwohner, eine Tasse mit sich herum, wer keine hat, kann an der nächsten Ecke eine kaufen. Das heiße Wasser wirke entgiftend, heißt es. Früher kamen deshalb russische Kosmonauten nach ihren Weltraumflügen her, weil sie verstrahlt waren. Heute kuren hier oft Krebspatienten nach den kräftezehrenden Chemotherapien. Das Wasser soll das Gift aus dem Körper waschen, schmeckt aber scheußlich nach Rost. Medizin eben.
Vielleicht zieht es auch deshalb einige zu Ausflügen nach Loket. Nicht nur, weil man hier ziemlich gut mit sich alleine sein kann, sondern auch, weil gutes Essen und gutes Bier den Geschmack des rötlich-braunen Wassers von der Zunge spülen.
Hotel Bohemia, wie so viele Logierpaläste in Marienbad aus der Zeit der Jahrhundertwende.
Foto: Hella KaiserHotel Pacifik, am Ende der Kaiserstraße von Marienbad. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Gäste hier musikalisch begrüßt.
Foto: Stefan BerkholzKolonnaden. Unter der Eisenkonstruktion von 1889 wandeln die Marienbader Kurgäste zur Ferdinandquelle.
Foto: Stefan BerkholzSchöner Ort zum Wandeln, ob mit oder ohne Schnabelbecher mit gesundem Wasser.
Foto: Hella KaiserKaiser Franz Joseph I. und König Edward VII. Das Denkmal erinnert an ein Treffen der beiden Herrscher, im August 1904.
Foto: Hella KaiserGoethe, ein wenig mürrisch. Nachdem die blutjunge Ulrike von Levetzow den Heiratsantrag des 72-Jährigen abgelehnt hatte, reiste er ab und kam nie wieder nach Marienbad.
Foto: Stefan BerkholzDas Café in den Kolonnaden zeugt auch von der sozialistischen Vergangenheit.
Foto: Hella KaiserSüße Spezialitäten. Die runden Taler werden überall im Böhmischen Bäderdreieck angeboten.
Foto: Hella KaiserKarlsbad hat sich schon lange hübsch gemacht. Nur mit Genehmigung (und dem passenden Auto) darf man ins Zentrum fahren.
Foto: Hella KaiserJugendstil in ganzer Pracht. Ein Haus in Karlsbad.
Foto: Stefan BerkholzGoethe war oft in Karlsbad und wählte unterschiedliche Hotels. Wo genau er logierte, zeigen entsprechende Tafeln.
Foto: Stefan BerkholzBeethoven weilte, wie so viele Musiker, natürlich auch in Karlsbad. Das Denkmal für ihn steht in einem Park, etwas abseits des Zentrums.
Foto: Hella KaiserBrutale Architektur. In den 70er Jahren wurde das Hotel Thermal mitten in die Karlsbader Altstadt geklotzt.
Foto: Hella KaiserKongresszentrum am Hotel Thermal. Viele Groß-Veranstaltungen finden hier statt. Auch das renommierte Karlsbader Filmfestival.
Foto: Hella KaiserFranzensbad, der kleinste Kurort im Böhmischen Bäderdreieck. Während in Marienbad noch reichlich Betrieb ist, wird es hier im Herbst schon sehr still.
Foto: Hella KaiserFranzensbader Schönheit. Eine von vielen Überraschungen in dem ruhigen tschechischen Kurort.
Foto: Hella KaiserHotel Savoy, das erste Haus am Platze in Franzensbad. Schon im 19. Jahrhundert stieg hier ab, wer Rang und Namen hatte.
Foto: Hella KaiserViel zu tragen. Diese Figuren befinden sich in Franzensbad. Doch auch in Marienbad und Karlsbad ist entsprechender Fassadenschmuck häufig zu entdecken.
Foto: Hella KaiserNach dem Besuch im Foltermuseum bekommt man das "Erdschwein" kredenzt
Und damit zum Schwein. Das heimliche Highlight Lokets ist nämlich ein kulinarisches. Dazu muss man sich zum Hof des Brauhauses zum Heiligen Florian begeben. Dort befindet sich ein Loch, etwa zwei Meter lang und ebenso tief, einen halben Meter breit. Es sieht einem Grab beklemmend ähnlich, hier kommt das Tier zum Garen rein. „Erdschwein“ nennen die Köche das, und damit ist das Wesentliche auch schon zusammengefasst.
Das Prozedere beginnt bereits am Vormittag. Allein das Vorheizen dauert drei Stunden: Am Grunde der Grube wird ein Holzfeuer entzündet. Deckel drauf. Dann heißt es warten.
Genug Zeit für einen Besuch der Burg. Die meterdicken Mauern sind nicht zu verfehlen. Im Inneren der Burg verbirgt sich ein Foltermuseum, das auffallend brutal in seiner Darstellung ist, und das wie so mancher historische Ort in dieser Region mit modernen, etwas kitschigen Puppen ausstaffiert wurde.
Drei Stunden und der erste Rundgang sind um. Der leere, heiße Erdofen wird nun zum ersten Mal geöffnet. Jetzt endlich kommt das Erdschwein in die Grube.
Das Tier wurde zuvor ausgenommen, gesalzen und in eine Blechschale mit ein wenig Wasser gelegt. Zwei Männer lassen die dann hinab. Nun kommt wieder der Deckel drauf. Sechs daumendicke Rohre stecken senkrecht in der Platte und lassen den Rauch entweichen und Sauerstoff hinein, damit das Feuer nicht erlischt.
Für das Brauhaus und seine Gäste ist das jeden Dienstag und Donnerstag ein kleines Spektakel. Chefin Ivana Lojinova erzählt dann, dass hier der einzige Ort in Tschechien sei, an dem das Erdschwein so zubereitet werden darf. „Wir haben unseren Ofen patentieren lassen.“
Die Erdschwein-Zubereitung ist ein kleines Spektakel. Zuvor ausgenommen und gesalzen wird das Tier nun in ein Erdofen hinabgelassen.
Die Erdschwein-Zubereitung ist ein kleines Spektakel. Zuvor ausgenommen und gesalzen wird das Tier nun in ein Erdofen hinabgelassen.
Am Brunnen auf dem Marktplatz parkte James Bond seinen Aston Martin
Erfunden hat die Familie die Methode jedoch keineswegs, sondern lediglich eine jahrhundertealte Zubereitungsart der Slawen wieder aufleben lassen. „Wenn damals jemand auf der Jagd erfolgreich war, hat man sich zwei Tage sattgegessen, aber wusste dann nicht mehr, wohin mit den Resten. Rohes Fleisch hielt sich schlechter, also garten sie es im Erdofen komplett durch“, erzählt Lojinova.
Ist das Schwein in der Grube, müssen noch einmal sieben Stunden bis zum Essen verstreichen. Es bleibt also Zeit für eine zweite Runde durch Loket, dessen deutscher Name „Elbogen“ lautet. So falsch wie die Schreibweise, so richtig ist die Beschreibung: Der Ort ist an drei Seiten vom Fluss Eger umschlossen, und die Biegung sieht eben aus wie jenes Gelenk.
Erster Stopp: Marktplatz. Manch einem Cineasten mag der dortige Brunnen vertraut vorkommen. Hier parkte Daniel Craig 2006 seinen Aston Martin, als er im Dienste der britischen Krone unterwegs war. Weil dem Kino die Wirklichkeit jedoch nie gut genug ist, heißt Loket in dem James-Bond-Film „Casino Royale“ nicht Loket, sondern wurde zu einem namenlosen Ort in Montenegro. Zahlreiche tschechische Schriftzüge an den Fassaden mussten zwischenzeitlich entfernt werden. Für das titelgebende Casino dienten das Kaiserbad und das Grandhotel Pupp in Karlsbad als Kulisse.
Goethe war auch hier und es gefiel ihm
Loket hält es, was Stars angeht, eher klassisch. Gegenüber dem Brunnen befindet sich das Goethe-Haus, oder besser: ein Goethe-Haus. Dem deutschen Über-Dichter gefiel es im böhmischen Bäderdreieck so gut, dass er gleich 13 Mal hierher kam. Zusammengenommen verbrachte er hier mehr als zwei Jahre seines Lebens. Man kann heute kaum eine Gasse in der Region queren, ohne auf ein Goethe-Restaurant oder ein Faust-Lokal zu stoßen. Man würde sich nicht wundern, stieße man an der nächsten Tankstelle auf ein Messingschild, das sagt: „Goethe war hier“.
Auch in Marienbad steht ein Goethe-Denkmal. Es steht dort sogar schon zum zweiten Mal, nachdem das erste Exemplar im Zweiten Weltkrieg zu Munition eingeschmolzen wurde.
Die Stadt hat dem Dichter aber auch einiges zu verdanken: schließlich ist die Prominenz nicht zuletzt der berühmten Elegie Goethes geschuldet, in der jener seine unglückliche Liebe zur 54 Jahre jüngeren Ulrike von Levetzow verarbeitete. Mit der wiederum verbrachte er seinen 74. Geburtstag in – genau – Loket, und schrieb über den Ort, er sei „über alle Beschreibung wunderschön gelegen“. Ein Gemälde von dieser Begegnung befindet sich im Hotel „Weißes Ross“.
Sieben Stunden sind vergangen, seit das Schwein in die Erde gelassen wurde. Also, alles rückwärts: Minidach weg, Deckel weg, Metallstangen rein, Schwein raus. Schon beim Zuschauen aus der Ferne wird klar, entweder hat der Koch das schärfste Messer der Welt, oder das Schwein ist wirklich, wirklich zart.
Letzteres trifft zu, wie sich später beim Essen herausstellt.
DIE 13. QUELLE
Nach dem Essen hilft der berühmte „Becherovka“. Der Kräuterbitter stammt aus Karlsbad, dort wird er auch „13. Quelle“ genannt. Aber Vorsicht: zwei für die Gesundheit, drei für gute Laune, vier auf eigene Gefahr (becherplatz.cz/jan-becher-museum).
ANREISE
Mit dem Auto von Berlin über die A13 Richtung Dresden, dann über die A4. Mit dem Zug gelangt man in sechs Stunden ins böhmische Bäderdreieck. Umsteigen in Usti nad Labem, von dort fährt ein Schnellzug. Flüge gehen nur von Moskau nach Karlsbad.