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Sie saß Aktmodell und verteilte Bifi auf einem Spielplatz in Prenzlauer Berg: Unsere Kolumnistin musste Abenteuer liefern.

© Doris Spiekermann-Klaas

Maris Hubschmid traut sich was: Ich höre auf

Die ganze Welt als Mutprobe zu begreifen, kann ziemlich erschöpfend sein. Es reicht erst mal - ich beende meine Kolumne. Künftig sucht an dieser Stelle meine Kollegin Angie Pohlers die Liebe.

Von Maris Hubschmid

Bin ich denn irre, fragte ich mich, als ich auf dem Zehnmeterturm stand. Wer um Himmels Willen würde sich für einen moderat bezahlten Job in diese Tiefe stürzen? Wahr ist natürlich, dass mich im Grunde nicht der Abgabeschluss, sondern ein innerer Drang die Sprossen hinauftrieb. Oft war mir die Kolumne, die hiermit zum letzten Mal erscheint, ein Vorwand, der fehlende Anstoß, endlich Dinge zu tun, über die ich schon lange nachgedacht hatte. Etwa, als ich fremden Männern vorhielt, wie widerwärtig es ist, auf den Gehweg zu spucken – für mich eine der größten Mutproben: Wer in Gegenwart von Frauen jäh und ungeniert Körperflüssigkeit auswirft, dem bleibt alles zuzutrauen.

Vergleichsweise leicht fiel mir manche Aktion, die Dritte so wahnwitzig fanden, dass sie kaum glaubten, ich hätte das wirklich getan. Auf einer stark besuchten Wohnungsbesichtigung das reiche Arschloch zu geben zum Beispiel. Bei Auftritten wie diesem bewegte ich mich derart weit weg von meinem Selbstbild, dass es sich wie eine Filmrolle anfühlte.

Was ehrlich quälend war: Fünf Tage lang habe ich schnulzige Sinnsprüche in sozialen Netzwerken verbreitet. „Jeder sieht, was du scheinst. Nur wenige fühlen, wie du bist“ – garniert mit Herzchen und Sternen. „Das ist ja so peinlich“, schrieb mein eingeweihter Bruder, „ich hätte lieber in der U-Bahn gesungen.“

Leser nannten mich Sklaventreiberin

Das tat ich auch und bin heute dankbar für eine Anekdote, die fast überall für Erheiterung sorgt. Wie das Boule-Spiel auf der Verkehrsinsel oder die Bürofeier, bei der ich Tiefkühltorten als selbst gebacken ausgab. Ohne die Not, Abenteuer liefern zu müssen, hätte ich sicher auch nicht Aktmodell gesessen. Was ich verschwieg: Da war ich schwanger. Ich glaube, das hat es einfacher gemacht. Erstens hatte es keinen Sinn, den Bauch einzuziehen, zweitens war ich nicht allein. Von dem Lohn habe ich den ersten Strampler gekauft („Dafür hat Mama sich ausgezogen!“).

Als ich öffentlich den Paketboten jagte, bei dem ich eine Abholung gebucht hatte, nannten mich Leser einen modernen Sklaventreiber. Ob ich mal nachgedacht hätte, unter welch harten Bedingungen der schufte? Habe ich. Bleibe aber dabei, dass eine bezahlte Leistung erbracht werden sollte und schnödes Ignorieren des Kunden nicht der Weg in eine bessere Welt sein kann. Auch nicht zu mehr Trinkgeld.

Besonders häufig angesprochen wurde ich darauf, wie ich auf einem Spielplatz in Prenzlauer Berg Bifi verteilte. Hier offenbart sich, was Berlin wirklich bewegt.

92 leere Zeilen: Das wäre doch gewagt!

Manches habe ich mich doch nicht getraut. Der Sprung vom Zehner gehört dazu. Bemerkenswert ist, wie viele Menschen anregten, ich solle mir die Haare abschneiden. Auch die Fingernägel mit dem Glitzer-Einhorn habe ich nicht aufgeklebt. Und nie keinen Text abgegeben. 92 leere Zeilen: Das wäre doch gewagt!

Stattdessen habe ich mich in manch albernen Versuch hineinquatschen lassen, von dem ich hoffte, bestimmte Leute würden das nicht lesen. Einmal stand ich in der Liebermann-Villa im Kreis illustrer Persönlichkeiten, als jemand die Rede höflich auf meine Kolumne brachte. „Oh, wann erscheint die nächste?“ „Morgen.“ „Und was haben Sie sich getraut?“ „Ich habe Tampons in einem Bus verschüttet.“

Jetzt traue ich mich, zu sagen: Es reicht erst mal. Schön war’s. Wer weiß? Vielleicht hole ich irgendwann mein Superwoman-Kostüm wieder aus dem Schrank. Aber es ist auch erschöpfend, die ganze Welt als Mutprobe zu begreifen, sie ewig daraufhin zu scannen, worin die nächste Herausforderung bestehen könnte.

An dieser Stelle sucht künftig meine Kollegin Angie Pohlers nicht Herausforderungen, sondern die Liebe. Was in einer Stadt wie Berlin ja manchmal auch eine Mutprobe ist.

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