zum Hauptinhalt
Für rechtes Gedankengut empfänglich: In Bautzen holte die AfD bei der Landtagswahl 2019 die meisten Zweitstimmen. Im Bild Alexander Gauland, inzwischen Ehrenvorsitzender der Partei, bei einer Kundgebung auf dem Bautzener Kornmarkt.

© Michael/dpa

Arte-Doku-Reihe „Bautzen“: Eine Stadt sucht ihre Haltung

Arte dokumentiert mit einer zehnteiligen Reihe Leben und politischen Alltag in der ostsächsischen AfD-Hochburg Bautzen.

Die Kirche ist voll, die Wellen schlagen hoch bei der Bürgerversammlung im Februar 2019. Auf der Bühne sitzen sich zwei Frauen gegenüber. Die eine stellt sich als Reiseleiterin vor, die andere ist die linke Nervensäge von Bautzen: Annalena Schmidt, die in ihrem Blog schmanle.de auf die weniger schönen Seiten der Stadt in der Oberlausitz hinweist, auf Rassismus und rechte Strukturen.

„Wer sind Sie? Gehen Sie wieder“, fordert die Reiseleiterin die aus Gießen stammende Historikerin und Grünen-Ratskandidatin rüde auf. Lautstarker Jubel im Publikum. Anschließend melden sich aber auch Einzelne zu Wort, die es „respektlos und anstandslos“ finden, dass Schmidt zum Verlassen der Stadt aufgefordert wird. So sagt es Richard Juros, ein 18-jähriger Abiturient, der gerade auf der Suche nach einer politischen Heimat ist.

Schmidt und Juros gehören zu den 14 Frauen und Männern, die in der dokumentarischen Serie „Bautzen“ im Mittelpunkt stehen. Zehn Mal 30 Minuten, insgesamt fünf Stunden, widmen sich fünf Autorinnen und Autoren dem Leben in der Kreisstadt in Ostsachsen, deren Altstadt hübsch herausgeputzt ist, deren Einwohnerzahl aber seit der Wiedervereinigung um mehr als ein Fünftel schrumpfte.

[„Bautzen“, 10 Teile á 30 Minuten, Arte, ab Montag, 19 Uhr 40]

Im Jahr 2016 wurde eine geplante Flüchtlingsunterkunft von Unbekannten angezündet. Auch eine Hetzjagd auf Geflüchtete machte Schlagzeilen. Bautzen wurde als „Nazi-Nest“ bezeichnet. Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) sagt, viele Menschen hätten das Gefühl, dass ihre Stadt und die Region „mit einem fast schon leichtfertig vergebenen Etikett versehen wird, das ihrem Lebensgefühl nicht entspricht“.

Eine neue Form des Hinschauens und Erzählens?

Alles halb so schlimm also? Vor und nach den Kommunalwahlen 2019 drehte ein Journalistenteam fast ein halbes Jahr lang in Bautzen und bietet nun mit der Doku-Serie vielfältige Einblicke in jenes von Ahrens beschworene „Lebensgefühl“. „Eine neue Form des dokumentarischen Hinschauens und Erzählens“, wie Arte sich selbst für die gemeinsame Produktion mit dem ZDF lobt, ist „Bautzen“ zwar nicht unbedingt. Aber die Protagonisten kommen ausführlich zu Wort, und ihre Aussagen bleiben unkommentiert stehen. Niemand wird in die rechte (oder eine andere) Ecke gestellt, außer er oder sie stellt sich selbst hinein. Bautzen ist ja nicht die einzige Stadt, insbesondere im Osten, die mit sich selbst und ihrem Image ringt. Auch für die Autorinnen und Autoren steht Bautzen als „Beispiel für gesellschaftliche Konflikte“, wie sie in den vergangenen Jahren in ganz Europa aufgebrochen seien. Und in der Küche von Nancy Grohmann.

Nancys Mutter will die AfD wählen, als „Denkanstoß“ für die anderen Parteien. Nancy hält dagegen, weil sie glaubt, dass das Leben als alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Töchtern „kein Zuckerschlecken“ wäre, wenn die AfD die Wahl gewänne. Sie engagiert sich in einem ehrenamtlich betriebenen Café in Gesundbrunnen, einem Brennpunktviertel von Bautzen, wo auch die aus Syrien geflüchtete Rubo Osmann hilft. Sie hatte in der Heimat studiert, nun gibt sie den Kindern Nachhilfe. Perfekt läuft es nicht, das Café hat nur wenige Gäste, gespendet wird wenig. „Die Leute bauen ganz schwer Vertrauen auf“, sagt die junge Projektmanagerin Maxi Hoke, die in Gesundbrunnen Feste organisiert, mit Jugendlichen Müll aufsammelt oder bei einer Spielplatzbegehung mit OB Ahrens nach Mängeln forscht. Nebenbei entfernt sie Nazi-Aufkleber – eine Tätigkeit, an die man sich in Bautzen gewöhnen müsse, sagt sie.

Weitere Protagonisten sind: der Theater-Intendant, der Lokalchef der „Sächsischen Zeitung“ und seine Frau, die ebenfalls Redakteurin ist, der Inhaber von Ostsachsen TV, der auch Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung vor die Kamera bittet, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Richards Vater Stephan Juros, ein für das Bürger Bündnis kandidierender Berufsschullehrer, der schillernde Stadtführer Andreas Throniker, der anfangs durch eine peinliche Beleidigung von Annalena Schmidt verhaltensauffällig wird, und der französische Theaterpädagoge Philippe Tibbal, weshalb die Mehrsprachigkeit in der Sorben-Hochburg Bautzen thematisiert werden kann.

Die Serie erzählt einerseits auf bedrückende Weise, wie hoffähig nationalistisches, demokratieskeptisches Denken in einer Stadtgesellschaft wie Bautzen geworden ist. Gleichzeitig kann man die differenzierte Darstellung als Appell verstehen, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Nach der Kommunalwahl, bei der die AfD auf Anhieb sieben Sitze in Bautzen eroberte, fragt sich Maxi Hoke allerdings: „Was machst du eigentlich hier?“ Und antwortet sich selbst: „Ich mach halt weiter. Es bringt ja nichts aufzugeben.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false