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Piratensender. Mit seinem zur Radiostation umgebauten Schiff sendete Abie Nathan Pop und Politik in den Mittleren Osten.

© Reuters

Polit-Doku: Frieden ist eine coole Sache

„The Voice of Peace“: Eric Friedler erinnert an den Aktivisten und Menschenfreund Abie Nathan und seinen Traum einer heilbaren Welt.

1000-mal gehört, 1000-mal ist nix passiert. Aber dann hat es klick gemacht. Bei Eric Friedler, dem Dokumentarfilmer. Er hat genau hingehört, bei „Give peace a chance“, wenn John Lennon seinen Reimgesang skandiert: „Everybody is talking about Revolution. Evolution. Mastication. Flagellation. Regulation. Integrations. Meditations. United Nations. Congratulations... Abie Nathan“. Einer, der im Nahen und Mittleren Osten so bekannt war wie Ägyptens Präsidenten und Israels Elite. Abie Nathan hat sie alle herausgefordert. Zutiefst war der in Persien geborene und in Bombay aufgewachsene Jude überzeugt, dass Frieden zwischen Israel und Ägypten möglich sei. Die Länder waren im Kriegszustand, als Nathan mit seinem Privatflugzeug „Shalom 1“ nach Port Said flog; nach Israel zurückgekehrt, wurde er verhaftet. Silvester verbrachte er mit seinem Radioschiff auf dem Suezkanal, er rief in Tel Aviv dazu auf, Kriegsspielzeug zu zerbrechen, er traf PLO-Chef Jassir Arafat und landete dafür im Gefängnis.

„Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.“ Der frühere Kampfpilot dachte spektakulär, er handelte spektakulär: Triff deinen Feind – vielleicht triffst du deinen neuen Freund. Für die israelische Öffentlichkeit war es durchaus ein Schock, dass man mit diesen Ägyptern reden konnte, für die israelische Politik war es eine Provokation. Schimon Peres, der heute 90-jährige Staatspräsident, sagt über seinen Widersacher und Freund von damals: Nathan „war seiner Zeit nicht voraus – wir waren einfach zu spät.“

„Der Traum des Abie Nathan“ wäre ein geeigneter Titel für den Film von Eric Friedler („Aghet – Ein Völkermord“, „Der Sturz“, „Ein deutscher Boxer“), doch hat der Leiter der Abteilung Sonderprojekte für Doku-Drama und Dokumentarfilm beim NDR einen anderen gewählt: „The Voice of Peace“. Da müsste es jetzt aber klick machen. So hieß das Schiff, der Piratensender, der vor Israels und anderen Küsten auf und ab fuhr. Immer geschützt durch internationale Gewässer, immer mit dem Jingle „von irgendwo im Mittelmeer“, von 1973 bis 1993. Love, peace und good music, moderiert von Star-DJs wie Don Stevens und Robbie Owen, dieses coole Konzept passte bestens zum Lebensgefühl der Jugend und zur Vision einer Welt, die den Krieg verachtet. Friedler spart nicht mit Musikbeispielen, das Songbook seines Film ist ein Best of Pop. Make-love-not-war-Aktivisten von John Lennon, George Harrison, Joan Baez bis Peter Seeger unterstützten Nathan, der bald mehr als Israel im Blick hatte. Er ging nach Biafra, um die Hungersnot zu bekämpfen: „Es ist einfach die Pflicht eines jeden einzelnen menschlichen Wesens, hierherzukommen und zu helfen.“ Seine Botschaft von der Menschenliebe war einfach, radikal, beschämend für all jene, die immer nur Nein sagten und in Widerständen und Hürden dachten. Und keineswegs alles gelang.

Der enorme Erfolg des Radioprogramms führte zu enormen Werbeerlösen. Abie Nathan, der die Frauen, gutes Essen, ein gutes Leben liebte, ein Elegant, Barbetreiber, steckte die Gewinne in humanitäre Hilfsprojekte, Kolumbien, Kambodscha, Äthiopien. Ideen hatte er immer, Not gab es immer. Der Friedensaktivist wurde ein Politstar, eine internationale Celebrity.

Dann, als sich im Mittleren Osten wirklich so etwas wie Frieden ausbreitete und sich der Fokus der Weltöffentlichkeit dem Untergang des Kommunismus zuwandte, wurde Abie Nathan zur Randfigur. Schlimmer noch, er wurde erst übersehen und dann vergessen. In Friedlers Film gibt es diese packende Szene, als Nathan und seine Mannschaft die „Voice of Peace“ 1993 versenkten. Da hatte sich die Vision vom Frieden scheinbar erfüllt, das Geld war knapp, und es sollte noch knapper werden. Verarmt starb Abie Nathan 2008 im Altenheim.

Warum jetzt ein Film über Abie Nathan? Warum erst jetzt, das wäre die bessere Frage. Wenn Fernsehen ein Medium der Erinnerung und der Zeitgeschichte ist, dann gehört diese Person der Zeitgeschichte erinnert. Friedler sichtet, sammelt und sortiert, bis das Denkmal steht. Nicht in Stein, inhaltlich und visuell ein Fluidum. Die Produktion verfolgt und verknotet zwei Linien nach der Maßgabe der visual oral history. Das immense und aus vielen Weltecken geholte Archivmaterial plus die frischen Interviews mit Peres, Yoko Ono, Schauspieler Michael Caine, Dirigent Daniel Barenboim, Oberrabbiner Israel Meir Lau, Historiker Moshe Zimmermann, Playboy Rolf Eden arrondiert Friedler zu einer Lebenserzählung, mehr assoziativ als chronologisch. Die Zeitzeugen versammeln sich um einen imaginären Abie Nathan, zum Austausch, zum Urteil, sie vermitteln ihr Bild und mit dem Gegenbild des anderen/der anderen formt sich das Porträt. Das ist erst nach 90 Minuten fertig. Ja, der Zuschauer braucht Geduld.

Wenn sich etwas in Nathans Leben wendet, wendet sich dieser Film. Friedler hat ein Ziel im Auge, und es ist die Kunst dieses Dokumentarfilmers, dass er nicht darauf starrt. Der Autor und Regisseur arbeitet mit Geschmack, Neugier und Methode. Politik, Pop, People laden den Film auf. Die Biografie wird in ein Drama und ein Lustspiel einerseits und in die Psyche der Figuren und der Zeitläufe andererseits aufgelöst, ohne den Blick für die Zusammenhänge von Macht und Interessen zu verlieren. Die Versuchung zum Unterhaltsamen ist groß, Friedler sieht die Gefahr und setzt weiterhin auf diskursive Intelligenz im Zuschauerraum.

„The Voice of Peace“, ARD, 22 Uhr 45

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