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Polly Puller in einem Blümchenmodell.

© Petrov Ahner

Mode: Letzte Chance für das liebste Sommerkleid

Die Temperaturen in Berlin sollen fallen. Sieben Frauen zeigen noch einmal ihr Lieblingsstück für den Sommer: ob weit gereist oder abgewetzt.

Polly Puller, Master in Politikwissenschaften, 29

Travestie im Sommer ist eine schwitzige Angelegenheit. Unpraktisch für sie, dass irgendwer auf die Idee kam, all die queeren Veranstaltungen in die heißeste Zeit des Jahres zu legen. Auf die Party zu verzichten ist jedenfalls keine Option, Polly Puller braucht ein luftiges Kleid! Bei einer Größe von fast zwei Metern nicht so leicht zu finden. Dieses Blümchenmodell einer gewöhnlichen Modekette sitzt perfekt. CSD-Partynacht, Sektchen raus, dicke Schicht Make-up ins Gesicht, Perücke aufgesetzt. So legt Polly Puller in einem alten Fabrikgebäude im Wedding auf, Spotlight auf sie gerichtet, der kleine Floor schnell voll. Eurovision-Klassiker, Beyoncé, Rihanna. Küsschen hier, antanzen da, Bombenstimmung. Drinnen 40 Grad, draußen nur wenig kühler. Nach dem Auflegen raus, noch einen Sekt, der leichte Sommerregen gibt dem verlaufenen Make-up den Rest. Und wie sie da so verschwitzt steht, ist sie glücklich.

Katharina Clauß, Textildesignerin, 30

Katharina Clauß hat in ihr Lieblingskleid Anzugshosen von ihrem Opa und ihrem Vater eingearbeitet.
Katharina Clauß hat in ihr Lieblingskleid Anzugshosen von ihrem Opa und ihrem Vater eingearbeitet.

© Petrov Ahner

Sie hat schon viele Kleidungsstücke geschneidert, für die Kunden und für sich, hat im Atelier „Bis es mir vom Leibe fällt“ alten Stoffen neue Schönheit verliehen. Aber dieses eine Kleid ist anders, ein Herzensstück. Zwei Anzughosen hat Katharina Clauß eingearbeitet. Eine von ihrem Opa, den sie nie kennengelernt hat, die andere von ihrem Vater, auch er ist verstorben. Der Opa trug die Hose, als er seine Frau, ihre Oma, in den 30er Jahren zum Altar führte. Als er ihr versprach, sie zu lieben, bis dass der Tod sie scheide. Im Zweiten Weltkrieg kam er ums Leben. Den anderen Anzug trug sein Sohn, ihr Vater, als er mit seiner Band in den 60ern auf der Bühne stand und Trompete spielte. Ein richtiger Rock’n’Roller. Nach Feierabend hat sie im Atelier das Radio angedreht, in der Hand Schere und Faden, im Kopf Erinnerungen. Die Anzughosen hat sie mit Baumwolle und Leinen kombiniert, Grau, Schwarz und ein bisschen Gelb. Die Farbe des Sommers.

Olivia Kunze, Pensionärin, 52

Olivia Kunze kaufte ihr erstes Kleid im vergangenen Sommer.
Olivia Kunze kaufte ihr erstes Kleid im vergangenen Sommer.

© Petrov Ahner

Kleider fand sie immer ätzend. Diese gekünstelte Weiblichkeit, das Schminken, die Stöckelschuhe, das verband sie mit schwachen Frauen. Sie hingegen wollte unabhängig sein, auch mal laut, so, wie es allzu oft nur Männern zugeschrieben wird. Deshalb zog sie sich an, wie man es von einem Mann erwartet: Lederjacke, Karohemd, Jeans. Das gab ihr ein Gefühl von Freiheit, von Macht. Aber dann, im vergangenen Sommer, stand die Hochzeit ihres Neffen an, ein Fest auf der Insel Schwanenwerder. Blauer Himmel, grüne Wiese, Nikolassee. Plötzlich hatte auch Olivia Kunze das Bedürfnis, „hochzeitskonform“ aufzutreten. „Leck mich, ich mach das jetzt“, dachte sie und kaufte ihr erstes Kleid. Hell musste es sein, unschuldig sollte es wirken. Darin posierte sie für Fotos mit dem Brautpaar, hinter goldenem Bilderrahmen. Lächeln. Klick. Lächeln. Klick. Weil sie mit ihren Korkstöckelschuhen ständig umknickte, hakte sie sich bei ihrem Schwager ein. Schwach fühlte sie sich nicht. Im Gegenteil, irgendwie leicht. Begehrenswert, unerwartet selbstbewusst. Als sie später die Bilder sah, war sie begeistert. „Man kann sich weiblich geben und trotzdem kein Verlierer sein.“ In ihrem Schrank hängen mittlerweile sieben Kleider.

Ingrid Richter, ehrenamtliche Korrektorin beim Tagesspiegel, 86

Ingrid Richter in ihrem Wohlfühlkleid.
Ingrid Richter in ihrem Wohlfühlkleid.

© Petrov Ahner

Ihre goldene Regel: Als kleine Frau sollte man maximal zwei Farben tragen. Dieses Kleid ist ihre Ausnahme. 1968 hat Ingrid Richter es irgendwo am Ku’damm von der Stange gekauft. Seitdem zieht sie es in Haus und Garten an. „Ein Wohlfühlkleid, das gleichzeitig eine gute Figur macht“, sagt sie. Damals wie heute. Vielleicht habe der Stoff auch etwas nachgegeben. Über die Brust zieht sich eine kleine Laufmasche. Doch im Zeitalter der zerschlissenen Jeans hat Ingrid Richter den Mut, sich so auf der Straße zu präsentieren. Und weil die Oberarme nicht mehr aussehen wie einst, hat sie weiße Ärmel an ihr Lieblingskleid genäht. Richtiger Modegeschmack, sagt sie, ändert sich nicht.

Es erinnert sie an einen Traum, der noch in ihr schlummert

Gowinda Armoo ganz in Pink.
Gowinda Armoo ganz in Pink.

© Petrov Ahner

Gowinda Armoo, Bundesfreiwilligendienst, 19

Eher zufällig hat sie das Kleid gefunden, gemeinsam mit ihrer Mutter. Ziemlich pink war es, mit dem Riemen über der Schulter ein bisschen verspielt. Klar, damit würde Gowinda Armoo definitiv auffallen bei der Verleihung der Abiturzeugnisse. Einem Anlass der gedeckten Farben. Schwarz zu Blau trugen die anderen. Auf den Fotos stach sie hervor, viele sprachen sie an. Sie hat es nie bereut. So ein Kleid überträgt ja eine Stimmung. Und ihre Stimmung war an diesem Tag sehr pink. Sie hatte ihr Abschlusszeugnis in der Hand, im Publikum saßen ihre Mutter und die beiden Schwestern, alle irrsinnig stolz, und vor ihr lag das Leben. Das Kleid trägt sie jetzt, ein Jahr später, immer noch gern. Die Schulzeit vermisst sie ein bisschen. Manchmal.

Meike Liebe, Sozialarbeiterin, 42

Schule und Studium hatte sie ohne Pause durchgezogen. Mit 30 wollte sie sich einen Traum erfüllen, zwei Monate Auszeit auf Teneriffa. Meike Liebe bezog ein Einzimmerappartement, zehn Minuten vom Strand. Sie tanzte die Nächte durch, rempelte beim Bierbestellen aus Versehen einen Typen an, José. Kein Flirt, aber Freundschaft. Er nahm sie mit zu seiner Familie, auf sein Boot. Als sie an einem Abend durch die Stadt bummelten, verguckte sie sich in dieses Kleid. Ein Traum, dachte sie. Scheußlich, sagte er, noch nie so was Hässliches gesehen. Dann ging er zur Kasse, kaufte und schenkte es ihr. Zwölf Jahre ist das her. Inzwischen ist das Kleid ziemlich verschlissen, hat Löcher. Meike Liebe trägt es weiter. Es erinnert sie an einen Traum, der noch irgendwo schlummert: ganz nach Teneriffa auszuwandern.

Elena, Schülerin, 9

Im Urwald war sie nie. Aber sie stellt es sich aufregend vor. Affen entdecken, mit dem Floß über den Fluss schippern, durch den Matsch waten. Wenn Elena ihr Tigerkleid trägt, fühlt sie sich ein bisschen wie die Abenteurerin aus ihrer Fantasie. „Wild und urwaldig“, sagt sie. Das Kleid war eigentlich eins für Erwachsene, ihre Mama hat es extra für sie umgenäht. In der Schule zieht sie es an, oder wenn sie mit der Familie abends essen geht, oft auch am Wochenende... ach, eigentlich immer. Dass die Mama, als sie etwa in ihrem Alter war, ein Leopardenkleid liebte, erzählt Elena gern. Dschungel verbindet.

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