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Marina Weisband hält nichts von einem Smartphone-Verbot an Schulen.

© Britta Pedersen/dpa-ZB

Marina Weisband im Tagesspiegel-Interview: „Lernen, was es noch nicht gibt"

Marina Weisband erklärt im Interview: Wichtiger als Wissen ist für die demokratische und digitale Bildung, was Kinder besser können als Computer.

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Marina Weisband war von Mai 2011 bis April 2012 Geschäftsführerin der Piraten-Partei und Mitglied in deren Bundesvorstand. 2016 teilte sie mit, bereits im Jahr zuvor aus der Partei ausgetreten zu sein. Das Label "Piraten" sei verbrannt.

Frau Weisband, sie waren lange auf Facebook sehr präsent und machen sich da jetzt erstaunlich rar. Warum?
Ich betreibe mein Facebook-Profil nicht, weil ich eine Marke bilden will. Ich teile mich mit, wenn ich was mitzuteilen habe. Gerade lerne ich, statt mich mitzuteilen.

Was lernen sie gerade?

Ich leite das Projekt „Aula“, wo ich verbindliche demokratische Beteiligung von Jugendlichen an ihren Schulen und in Jugendforen fördere. Bei einer Pilotschule in Freiburg haben die Schüler ein Crowdsourcing gemacht und Schulregeln entwickelt. Eine Regel war: Wir wollen einen Smartphone-Tag machen – an dem alle Lehrer und Lehrerinnen ihren Unterricht mit Smartphones machen müssen. Dazu hat ein Lehrer über Twitter bundesweit Ideen eingesammelt. Der Sportlehrer hat dann Sprünge filmen lassen und die Schüler haben in der Zeitlupe ihre eigenen Bewegungen analysiert. Der Musiklehrer hat eigene Musik produzieren lassen. Es war eine ziemlich coole Erfahrung für Lehrer und Schüler. Digitalisierung ist etwas, das sehr gut bottom up funktioniert – unser Schulsystem funktioniert aber im Moment top down. Mit „Aula“ kommen wir von außen in ein autoritäres System und sagen: Wir bringen hier Demokratie rein. Und die Digitalisierung folgt der Demokratie dann auf dem Fuß.

Und was lernen Sie dabei?

Ich lerne, wie wehrhaft unser Schulsystem ist, das einer radikalen Reform bedarf: Wir müssen Kindern endlich Dinge beibringen, die sie besser können als Computer.

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Was lernen Kinder heute in der Schule, das sie morgen nicht mehr brauchen?

Wissen. Maschinen können Sachwissen besser abrufen und wiedergeben, sehr viel akkurater und schneller als Menschen. Was Kinder lernen müssten, ist, sich auf Dinge vorzubereiten, die es noch gar nicht gibt. Wir sollten sie zum Beispiel auf Berufe vorbereiten, die heute noch gar nicht existieren. Wir müssen Kompetenzen schulen wie Kommunikation, Zusammenarbeit, kritisches Denken, Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwirksamkeit: Ich kann Dinge ändern, wenn ich das will. Das ist das Allerwichtigste. Schule testet heute zu viel. Das System ist sehr, sehr stark auf Selektion ausgelegt. Ich kann nicht von Schülern im heutigen Schulsystem erwarten, dass sie ihr gestalterisches Potenzial für diese Gesellschaft verinnerlicht haben, weil sie in ihrem schulischen Umfeld so wenig gestalten können.

Hardware ist nicht alles. Tabletcomputer können in der Schule vielfältig zum Einsatz kommen - wichtig bleibt aber, kommunikative und analytische Fähigkeiten zu lernen.
Hardware ist nicht alles. Tabletcomputer können in der Schule vielfältig zum Einsatz kommen - wichtig bleibt aber, kommunikative und analytische Fähigkeiten zu lernen.

© Armin Weigel/dpa

Was kann denn getan werden, um lebenslanges Lernen einfacher zu machen?

Dafür müssen Arbeitsmodelle flexibler werden, die 40-Stunden-Woche mit „Nine-to-Five“ kann es nicht mehr sein, Erwerbsarbeit muss fluider gedacht werden. Wenn Wissen zu einem handelbaren Gut wird, dann müssen wir auch sehen, wie wir es verteilen. Wir können das nicht dem freien Markt überlassen. An den Schulen passiert das schon: Unternehmen drängen in den Unterricht und übernehmen Digitalisierungsaufgaben, die die Politik verschläft. Und digitale Foren funktionieren heute nach kapitalistischen Prinzipien und Abhängigkeiten. Ich denke, dass die Volkshochschulen sich komplett neu aufstellen müssen. Und dass die Kommunen in Zukunft eine viel wichtigere Rolle spielen werden als bisher. Wir können Vorlesungen aus Harvard streamen, aber es wird niemals den gleichen Effekt haben wie kommunale Bildung. Stellen Sie sich lokale Lernstätten vor, die einerseits Kursangebote machen, die andererseits auch ein Ort sind, wo man persönlicher Neugier nachgehen kann.

Was bedeutet für Sie lebenslanges Lernen?

Haben Sie schon mal versucht, aufzuhören zu lernen? Es läuft etappenweise. Manchmal braucht man neue Infos, um weiter zu kommen, weil man den Vorrat verbraucht hat. Als ich 2013 so medienpräsent war, hatte ich das Gefühl, ich muss mich zurückziehen – ich hatte alles gesagt, was ich bis dahin wusste. Und ich musste wieder was Neues lernen, um meine Nase wieder in die Medien stecken zu können. Sonst kommt man ins Labern.

So funktioniert lebenslanges Lernen: Man hat den Druck, etwas Neues zu erfahren, eine neue Kompetenz zu erwerben – und dann kommt die Phase, in der man das anwendet. Morgen wird nicht wie heute. Aber das heißt auch nicht, dass jeder alle drei Jahre den Beruf wechseln muss. Wir haben weiter Arbeit, die unheimlich wertvoll ist: In der Care-Arbeit, in der Erziehung – das sind Aufgaben, die sind genauso wichtig wie vor 500 Jahren. Die grundlegende menschliche Fähigkeit, Verantwortung für sich und andere zu tragen, etwas zu organisieren, im Kleinen etwas zu schaffen, für jemanden da zu sein, etwas herzustellen – das wird alles nicht verschwinden.

Nicht jeder muss StartUpper, Coach oder digital native werden. Aber jedes Kind muss an der Schule mal programmiert haben: Wir müssen Informatik-Unterricht verpflichtend machen – das ist eine Kulturtechnik. Damit man diese Dinge als Werkzeuge begreifen kann und nicht das Gefühl hat, ihnen ausgeliefert zu sein. Ich möchte Menschen von Konsumenten zu Gestaltern machen.

Bund und Länder haben sich auf einen Digitalpakt geeinigt. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Der ist besser als nichts, aber vorne und hinten nicht ausreichend. Bildung für eine digitalisierte Welt ist was anderes als „Bildung digitalisieren“. Einer Klasse iPads vor die Schnute zu knallen und die können die Arbeitsblätter dann als pdf-Datei öffnen, das ist nicht das, wovon ich rede. Ich meine auch nicht den Breitbandausbau an Schulen, auch nicht W-Lan oder Smartboards. Infrastruktur ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Bildung in einer digitalisierten Welt. Wir brauchen mehr externe UnterstützerInnen in den Schulen, weil wir Lehrermangel haben – und mit Geld und Magie alleine gibt es keine neuen Lehrerinnen. Wir brauchen gute Projekte und NGOs, die mit Schulen arbeiten.

Was hielten Sie von einem Smartphone-Verbot in der Schule?

Ich kann meinem Kind nicht den Straßenverkehr beibringen, wenn ich es bis zum 18. Geburtstag von der Straße fernhalte. Das Smartphone ist, richtig eingesetzt, ein wertvolles Unterrichtsmaterial. Und Kinder haben Zugang zu Smartphones – nur außerhalb jedes didaktischen oder beobachteten Rahmens. Und sie machen darauf, was sie wollen – beziehungsweise, was große Konzerne wollen, dass sie wollen. Das Smartphone ist die moderne Kampfarena des Kapitalismus.

... und das als Werkzeug für lebenslanges Lernen?

Wenn man es richtig nutzt, ja. Das ist der Punkt: Unternehmen tun Dinge. Wir, als Zivilgesellschaft und Politik, oft nicht. Dazu muss man ganz viele Ängste abbauen, sich ganz viele Sorgen anhören. Es gibt nur ein paar Leute, die eine grundsätzliche Verweigerung haben. Aber die meisten können sich einfach wenig darunter vorstellen, was diese Digitalisierung ist.

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