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Wenn bei Ischia ein graues Auto im Meer versinkt, könnte das auch etwas mit der illegalen, aber von den Behörden geduldeten Bebauung der Berghänge zu tun haben.

© AFP/ELIANO IMPERATO

Tödlicher Erdrutsch auf Ischia: Paradies für Urlauber und Schwarzbauer

Schwere Vorwürfe gegen die Behörden: Nicht nur der Starkregen, sondern vor allem massenhaftes illegales Bauen in Gefahrenzonen sei an dem Unglück schuld.

| Update:

Nach der verheerenden Schlammlawine an der Nordküste von Ischia sind die Bergungs- und Aufräumarbeiten über das Wochenende fortgesetzt worden. In der Nacht zu Sonnabend hatte sich nach starken Regenfällen von den steilen Hängen des Vulkans Monte Epomeo ein gewaltiger Erdrutsch gelöst und den Ort Casamicciola verwüstet.

Die vorläufige Bilanz des Unglücks: drei Todesopfer, dreizehn Verletzte, 200 Evakuierte. Neun Personen wurden gestern noch vermisst, darunter drei Kinder. Die Retter befürchten, dass die Vermissten – wie Dutzende von Autos und Kleinbussen – von den Wasser- und Schlammmassen ins Meer gespült wurden. Zur Suche wurden deshalb auch Taucher eingesetzt.

Eine Tragödie mit Ansage

Beim Erdrutsch handelte es sich, wie so oft in Italien, um eine Tragödie mit Ansage, um ein vermeidbares Unglück also. Denn das Naturereignis ist laut Geologen und Meteorologen von menschlichem Fehlverhalten stark begünstigt worden: Ischia ist nicht nur ein Paradies für Urlauber aus der ganzen Welt, sondern sehr ausgeprägt auch für Bausünder. Etwa jedes zweite Gebäude auf der Insel ist illegal gebaut worden, nicht selten mitten in Gefahrenzonen.

So auch in Casamicciola, wo bis weit in die als hochgradig instabil bekannten Hänge des Monte Epomeo hinauf Haus um Haus erstellt wurde. Um neue, illegale Bauplätze zu erschließen, wurden dabei immer wieder Bäume gerodet, die im Fall von Starkregen das Erdreich stabilisiert hätten.

„Sie haben einfach überall gebaut – in Abhänge, in Erdbebenzonen, in Erdrutschgebiete. Und in der Politik gab es immer eine überparteiliche Koalition, die weggeschaut hat“, kritisiert der frühere Staatsanwalt von Salerno Aldo de Chiara. Er hatte, als er noch berufstätig war, versucht, auf Ischia einige illegal erstellte Häuser abreißen zu lassen. Er ist deswegen mit anonymen Morddrohungen eingedeckt worden.

Denn alle wollen auf der Trauminsel im Golf von Neapel mit den berühmten warmen Quellen eben etwas vom Tourismus abbekommen, sei es mit der Vermietung von Zimmern oder Ferienwohnungen, sei es mit einer Boutique oder einem Lokal – mit oder ohne Bewilligung. Die Lokalpolitiker wissen, dass ein rigoroses Vorgehen gegen das wilde Bauen nur Stimmen kostet.

Schwarzbauten werden regelmäßig legalisiert

Und so folgt auf Ischia eine Amnestie für Bausünder auf die andere. Die letzte stammt aus dem Jahr 2018, ein knappes Jahr nach dem Erdbeben auf der Insel. Insgesamt sind im Rahmen dieser Amnestien auf der ganzen Insel in den letzten Jahren 28.000 Gesuche zur nachträglichen Legalisierung der ohne Baubewilligung erstellten Häuser eingereicht worden – bei einer Gesamtbevölkerung von 62.000 Einwohnern.

Der Erdstoß von 2017 hatte auf Ischia Dutzende von Häusern zum Einsturz gebracht und zwei Tote gefordert – bei einer Stärke von gerade einmal 4,0 auf der Richterskala. Die illegalen Häuser werden eben meist nicht nur ohne Bewilligung, sondern auch ohne Fachkenntnis und mit lausigen Materialien gebaut – ein weiterer Faktor, der selbst relativ harmlose Naturereignisse zu Tragödien werden lässt.

46,3
Quadratkilometer ist Ischia groß und somit die größte der Inseln im Golf von Neapel.

Ein Kapitel für sich ist auch die fehlende Prävention, nicht nur auf Ischia, sondern in ganz Italien. Von einem „nationalen Plan zur Anpassung an die Klimaveränderungen“ ist fünf Jahre nach Beginn der Arbeiten nach wie vor nur ein Entwurf vorhanden, der in Rom in einer Schublade liegt. Und von den Milliarden Euro, die im Rahmen der EU-Strukturfonds für Prävention gegen Erdrutsche und Überschwemmungen zur Verfügung stehen würden, werden seit Jahren weniger als die Hälfte abgerufen – und das, während die Versiegelung der Böden weiter voranschreitet und sich insgesamt 565.000 der 14 Millionen Gebäude in Italien in Gefahrenzonen befinden.

Dabei wäre gerade in Italien die Prävention gegen die Folgen der Erderwärmung das Gebot der Stunde. Das Land gilt unter Experten als Hotspot des Klimawandels; allein in diesem Jahr wurden schon 130 Extremwetter-Ereignisse registriert, darunter der von der Hitze und Trockenheit im Sommer verursachte Gletscherabbruch in den Dolomiten mit elf Toten und die Überschwemmung bei Senigallia in den Marken vom September, bei der zwölf Menschen ums Leben kamen.

Auch in Casamicciola ist es in den letzten Jahren schon dreimal zu Schlammlawinen mit Todesopfern gekommen. Jetzt überrollte die vierte den Ort – und niemand kann sagen, sie sei überraschend gekommen.

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