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DJ Hell arbeitet seit den Achtzigern als DJ und Produzent.

© Daniel Mayer

Neues Album von DJ Hell: „Ich verneige mich vor der schwulen Clubkultur“

Blick zurück nach vorn: DJ Hell über Homophobie, die Partystadt Berlin und sein neues Album „Zukunftsmusik“.

Herr Geier, wir befinden uns hier im Westin Grand Hotel in Mitte, wo Sie wohnen. Das erinnert an Udo Lindenberg.

Genau. Seit drei Jahren wohne ich schon hier. Ohne Frühstück, aber mit Sauna. Ich komme im Hotel, wo ich eine günstige Tagesmiete zahle, inzwischen sogar billiger weg, als würde ich mir eine Wohnung nehmen, weil die Mietpreise in Berlin so durch die Decke geschossen sind.

Man assoziiert Sie – sicher auch wegen Ihres Albums „Munich Machine“ – aber immer noch vorrangig mit München.

Dabei habe ich das Nachtleben in den Neunzigern hier in Berlin mitgestaltet, also können Sie mich gerne auch „Berlin Machine“ nennen. In Clubs wie dem Tresor, dem UFO, Fischlabor, Planet, Elektro, WMF und E-Werk, die das definierten und worauf dann Läden wie das Berghain oder das Watergate aufbauten, habe ich überall aufgelegt, teilweise auch als Resident DJ.

Als es Anfang der neunziger Jahre richtig losging mit Techno in Deutschland, trug man in dieser Subkultur noch Camouflage, Bomberjacken und Kapuzenpullis. Sind Sie in der Zeit auch schon mit Ihrem berühmten Gigolo-Stil aufgetreten, also mit Hemd und Designer-Anzug?

Ich war schon immer modisch interessiert, weil ich Kunst, Musik und Mode von Anfang an zusammengedacht habe. Ab Mitte der Neunziger habe ich Anzüge getragen. Mir war schon klar, dass das eine Provokation innerhalb der Szene war. Ich wurde schwer angefeindet damals. Wenn ich mir allerdings anschaue, wie sich manche DJs heute auf ihren Social-Media-Kanälen präsentieren, denke ich, dass ich einiges von dieser Entwicklung vorweggenommen habe.

Anfang des Jahrtausends war das Genre Electroclash, eine Mischung aus New Wave und Dance, das große Ding. Und Sie waren wieder mittendrin. Sind Sie traurig, dass das vorbei ist?

Ich habe eher positive Erinnerungen an diese Zeit. Im Grunde genommen bin ich mit der Musik, die damals auf meinem Label Gigolo erschienen ist, als Ideengeber verantwortlich für ein ganzes Musikgenre. Wer kann das sonst noch von sich behaupten? Ich finde es einfach großartig, was da passiert ist.

Ihr neues Album „Zukunftsmusik“ ist düster und weit weg von der Champagnerlaune des Electroclash. Man versinkt darin wie in einem dunklen Loch.

Hoffentlich kommt man da auch wieder raus. Es ist ja nicht nur dunkel, sondern auch melancholisch, sentimental und romantisch.

Die Platte hat den Titel „Zukunftsmusik“. Ein ziemlich mutiges Versprechen.

Ich versuche auf dem Album, gedanklich in die Zukunft zu gehen und darzustellen, wie sich in dieser Zeit Musik anhören könnte. Gleichzeitig ist es aber auch eine Verneigung vor der Vergangenheit. Es sind richtige Songs zu hören, allerdings mit total verfremdetem Gesang. Ich habe erstmals überhaupt längere Texte geschrieben, die dann mit einem Vocoder eingesungen wurden. Dabei habe ich mit der Cut-up-Technik gearbeitet. Ich schreibe Ideen auf und lege das Geschriebene in Streifen aus, dann schneide ich Interessantes aus Tageszeitungen oder Büchern aus und lege alles zusammen auf einen Tisch. Die Textstreifen ordne ich dann so lange, bis verständliche Texte entstehen. Mit dieser Technik hat bereits David Bowie gearbeitet und sie funktioniert überraschenderweise tatsächlich.

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Für den Video-Clip zur ersten Single „I Want You“ haben Sie Pin-up-Bilder des legendären schwulen Künstlers Tom Of Finland animieren lassen, der gerade ein Revival erlebt. Wie kam das?

Die Verwendung von Tom-Of-Finland-Zeichnungen ist meine Verneigung vor der schwulen Clubkultur und der klassischen House-Musik, die in der schwulen Gemeinschaft in Chicago und New York in den Achtzigern entstanden ist, in Clubs wie dem Warehouse, der Paradise Garage und dem Studio 54. Es waren damals schwule DJs, die Musik von schwulen Produzenten für ein anfangs noch rein schwarzes, schwules Publikum gespielt haben. Daraus ist dann eine europäische Version entstanden, in die ich mit eingestiegen bin und in der ich bis heute versuche, mich zu positionieren.

Warum war es Ihnen als Hetero-Mann ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass Ihre Musik einer schwulen Szene entstammt?

Es läuft bezüglich der Akzeptanz von Homosexualität, auch mit Blick auf die Zukunft, gerade sehr viel schief, etwa in den arabischen Ländern, in Russland, der Ukraine und auch in den USA dank Donald Trump. Seit Magnus Hirschfeld, der schon vor 100 Jahren erklärte, dass Homosexualität keine Krankheit ist, dachte man, es entwickelt sich schon alles in die richtige Richtung. Aber gerade habe ich das Gefühl es geht zurück in die Steinzeit. Ich als Hetero-Mann nehme mich ganz bewusst dieser Thematik an und will eine Öffentlichkeit erzeugen.

Helmut Geier alias DJ Hell lebt in Berlin und München.
Helmut Geier alias DJ Hell lebt in Berlin und München.

© Julian Baumann

Ist das überhaupt noch Techno, was man auf „Zukunftsmusik“ hört?

Schwer zu sagen. Es ist aber auch kein Downbeat, kein Chill-out, keine reine Popmusik. Das Album liegt zwischen allen Genres, und ehrlich gesagt kann ich selbst nicht genau sagen, wie man die Musik nennen soll. Darum auch der Titel: „Zukunftsmusik“. Es geht um eine Musik, die man gar nicht mehr klar definieren sollte. Es ist auch keine Clubmusik, zumindest keine für die Clubs von heute, vielleicht für die Clubs der Zukunft.

Sie haben in der Technobranche schon viele verschiedene Sachen ausprobiert: im Plattenladen gearbeitet, einen Club geführt, als DJ und Labelbetreiber gearbeitet. Sind Sie schnell gelangweilt?

Manches ist schnell zu Ende erzählt. Drei Jahre hatte ich einen Club, die Villa Traunstein, das hat gereicht, danach hätte sich alles bloß nur wiederholt. Routine ist in Kunst und Musik schädlich. Für Veränderungen ist Berlin sicherlich der richtige Ort. Im Moment finde ich es wieder grandios hier. Eben weil sich viel verändert.

München, Berlin, auch in New York haben Sie eine Weile gelebt. Wie haben sich die Städte denn entwickelt, seit Sie DJ sind?

München ist immer gleich geblieben und New York war bestimmt schon mal aufregender als heute. Dort wurde zu viel aufgeräumt. Berlin hat sich in eine Richtung entwickelt, wie man sich das vor 25 Jahren nie gedacht hätte. Man hätte Anfang der Neunziger ja ganze Straßenzüge mitten in Berlin kaufen können. Die Stadt war damals sehr grau und morbide und der Prenzlauer Berg noch voll mit illegalen Clubs. Berlin hat sich also am stärksten verändert und ist heute, was das Nachtleben angeht, weltweit unvergleichlich. Mehr als in Berlin geht nirgendwo.

„Zukunftsmusik“ erscheint am 28. 4. bei International Deejay Gigolo Records. Präsentation mit DJ Hell: 29. 4., 20 Uhr, Seven Star Gallery, Gormannstraße 7.

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