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US-Präsident Joe Biden (3.v.r) setzt wirtschaftlich auf Protektionismus der Wirtschaft - um Arbeitsplätze zu schaffen.

© dpa/Susan Walsh

Protektionismus in zivilisierter Form: Amerikas neuer ökonomischer Nationalismus setzt Europa unter Druck

Die EU muss die US-Subventionspolitik stärker thematisieren. Und mit neuen Freihandelsabkommen gegensteuern – und dabei die Kritik des Globalen Südens ernst nehmen.

Ein Gastbeitrag von Peter Wittig

Für die Transatlantische Allianz ist US-Präsident Biden ein Glücksfall. Ohne die Unterstützung seiner Administration läge die Ukraine längst am Boden.

Etwas anderes gilt dagegen für Amerikas neuen ökonomischen Nationalismus –„America First“ in Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Er ist für Deutschland als exportorientierte Industrienation besonders problematisch.

Angetrieben von der scharfen Großmachtrivalität mit China und einer sich schnell drehenden Schraube gegenseitiger Zwangsmaßnahmen ist der Protektionismus in den USA längst zum Mainstream geworden.

Protektionismus in zivilisierter Form

In der jüngeren Geschichte standen Republikaner stets für Freihandel. Trump machte dieser Tradition den Garaus. Als Präsident erhob er willkürlich Zölle und kündigte ausgehandelte Freihandelsabkommen auf. Als Begründung musste die nationale Sicherheit herhalten.

Biden knüpft daran an, kleidet indes den Protektionismus in zivilisiertere Formen. Vom Kongress kommt kaum Widerstand – mit seinen überparteilichen protektionistischen Instinkten treibt er die Handelspolitik und Sanktionsgesetzgebung.

Jüngst formulierte Bidens einflussreicher Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan die Strategie einer „neuen ökonomischen Führung“ der USA in der Welt. Zum einen legte er Grundprinzipien des Umgangs mit China fest: scharfe Abschottung der US-Hochtechnologie vor dem Zugriff Chinas, aber darüber hinaus kein „de-coupling“ der beiden Volkswirtschaften, lediglich „de-risking“.

Zum anderen umriss er den neuen US-Kurs internationaler Wirtschaftspolitik. Ein Paradigmenwechsel: klare Absage an neue Freihandelsabkommen; statt Verhandlungen über Handel nur Abstimmungsgespräche im europäisch-amerikanischen „Trade and Technology Council“ , die aus US-Sicht vor allem der Einhegung Chinas dienen sollen; Marginalisierung der Welthandelsorganisation (WTO), die als kaum reformfähig gilt.

Noch mehr ökonomischer Nationalismus

Hinzu kommen protektionistische Elemente in der bahnbrechenden US-Klima-Gesetzgebung. Zuschüsse und Steueranreize sind an die Produktion in den USA geknüpft.

Der Nationaler Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan präsentierte die Strategie einer „neuen ökonomischen Führung“ der USA in der Welt. 

© REUTERS/KEVIN LAMARQUE

Der Ausblick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 verheißt keine Rückkehr zu einer offeneren Handelspolitik, eher noch mehr ökonomischen Nationalismus. Bei den Demokraten heißt jetzt die Devise: „Foreign Policy for the Middle Class“. Im Klartext: Schutz heimischer Arbeitsplätze ist oberste Priorität.

Im republikanischen Lager führt der eingefleischte Protektionist Trump das Kandidatenfeld klar an. Er wird im Vorwahlkampf den Ton setzen. Sein gefährlichster Rivale, Ron DeSantis (in Umfragen derzeit 30 Prozent hinter Trump) ist in internationalen Fragen ein unbeschriebenes Blatt, einzig als scharfer China-Kritiker ist er hervorgetreten.

Das weiterwachsende Kandidatenfeld begünstigt Trump. Mithin ist die Wiederholung des Schlussduells zwischen Trump und Biden durchaus realistisch. Und sogar ein Wahlsieg Trumps, vor wenigen Monaten noch abwegig, erscheint jetzt wieder möglich.

Der EU fehlt es an Pragmatismus

Das sind keine guten Nachrichten für Europa. Der Internationale Währungsfond (IWF) warnt: In einer durch Krieg und Großmachtrivalität abgeschotteten, fragmentierten Weltwirtschaft droht ein Verlust von bis zu sieben Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Die EU muss also weiter Bannerträger für Offenheit im Welthandel sein. Was ist zu tun?

Erstens sollte sich Deutschland in der EU nachdrücklich für ein rasches Inkrafttreten der Freihandelsabkommen mit Mercosur, Mexiko und Chile einsetzen und auf weitere Abkommen mit interessierten Staaten dringen – besonders aus dem Globalen Süden.

Die EU und Bundesregierung nicht nachlassen, von den USA die versprochene Zusammenarbeit einzufordern.

© dpa/Maurizio Gambarini

Dabei dürfen die Verhandlungen nicht thematisch überfrachtet werden. Die Kritik von Ländern des Südens, die EU betreibe „grünen Protektionismus“ oder gar „regulatorischen Imperialismus“, sollte die EU zu mehr Pragmatismus veranlassen.

Die EU ist handelspolitisch alles andere als ein Papiertiger

Zweitens muss die EU die Subventionspolitik der USA thematisieren. Sie führt zu einer bedrohlichen Verlagerung von europäischen Investitionen in die USA und zu einem unheilvollen Subventionswettlauf der EU. Hier stehen auch grundlegende ordnungspolitische Prinzipien auf dem Spiel.

Drittens sollten EU und Bundesregierung nicht nachlassen, von den USA die versprochene Zusammenarbeit einzufordern. Das gilt etwa für den Handel mit Stahl und Aluminium, nachdem die WTO-widrigen Trump-Zölle lediglich suspendiert, aber nicht aufgehoben wurden.

Und schließlich braucht die EU eine grundsätzliche Verständigung mit Washington über den wirtschaftlichen Umgang mit China. Zwischen die Mühlsteine der Zwangsmaßnahmen der Großmächte zu geraten, ist die größte Gefahr für die europäische Industrie.

Dabei ist die EU handelspolitisch alles andere als ein Papiertiger. Die Hebelkraft ihrer Marktmacht von 450 Millionen Menschen muss sie nutzen. Gegenüber den USA für eine offene Weltwirtschaft einzutreten, bleibt eine Daueraufgabe der nächsten Jahre.

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