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Ein gefechtsbereites Flugabwehrraketensystem vom Typ „Patriot“ des Flugabwehrraketengeschwaders 1 der Bundeswehr steht auf dem Flugfeld des Militärflughafens Schwesing.

© dpa/Axel Heimken

Raue Zeiten im deutsch-polnischen Verhältnis: „Die Deutschen müssen Ruhe bewahren und die Bösartigkeiten herausfiltern“

Die antideutsche Stimmung in der polnischen Regierung hat sich verschärft. Welchen Kurs sollte Berlin in den Beziehungen zu Warschau einschlagen? Drei Experten antworten.

Im deutsch-polnischen Verhältnis kündigen sich härtere Zeiten an. Warschau lehnt die Verlegung einer deutschen Luftabwehrbatterie des Typs „Patriot“ als Antwort auf einen tödlichen Raketeneinschlag in Ostpolen in Folge des Ukrainekriegs ab.

Mit Blick auf das Wahljahr 2023 setzt der Chef der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, offenbar auf antideutsche Töne. Europaminister Konrad Szymanski, der als „freundliches Gesicht“ im Umgang mit der EU galt, ist im Oktober zurückgetreten.

Auch darin sehen Beobachter ein Indiz, dass der Ton rauer wird. Was ändert sich 2023 im bilateralen Verhältnis? Und welchen Kurs soll Deutschland einschlagen? Drei Experten bewerten die Lage.

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Wie wirkt sich Polens Wahl auf das bilaterale Verhältnis aus?

Kai-Olaf Lang ist Polen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Er rät: „Schon jetzt zeigt sich, dass die polnischen Parlamentswahlen die beiderseitigen Beziehungen belasten. Das hat nicht nur, aber primär damit zu tun, dass im polnischen Regierungslager die entscheidenden Kräfte darauf setzen, mit Deutschland-Themen zu punkten.

Ob dieses Kalkül aufgeht, muss sich zeigen. So oder so werden die deutsch-polnischen Beziehungen in den nächsten Monaten noch mehr einer Empörungsgemeinschaft gleichen und weniger einer proaktiven Partnerschaft in Europa.“

Agnieszka Łada-Konefał ist Vizedirektorin des Deutschen Polen-Institut in Darmstadt.

Sie meint: „Das deutsche Angebot, die Patriot-Raketen an Polen abzugeben, war ein richtiger Schritt.

Er signalisiert die Bereitschaft zum Dialog und zur Unterstützung von Partnern. Die polnische Reaktion – die anfängliche Annahme des Angebots ,mit Genugtuung‘, der anschließende inoffizielle Rückzug und die damit einhergehenden antideutschen Äußerungen von Politikern des Regierungslagers – zeigen, dass auch positive Signale aus Berlin im laufenden polnischen Wahlkampf für innenpolitische Zwecke genutzt werden.

Die überwiegende Mehrheit der Polen ist jedoch laut der Umfrage Deutsch-Polnisches Barometer nicht deutschfeindlich.

Die PiS kämpft aber vor den Wahlen um jeden Prozentpunkt. Die gegen Deutschland gerichtete Rhetorik soll einen Teil der eigenen Wählerschaft mobilisieren.“

Jan Rydel lehrt Geschichte in Krakau und gehört zum Führungszirkel des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität (ENRS).

Er sagt: „Den politischen Gegner als Dieb, Faschist, Staatsverräter oder ,russischen Fußlappen‘ zu bezeichnen, ist zurzeit an der Tagesordnung und betrifft die gesamte politische Szene.

Daher bewegt es kaum jemanden mehr. Leider überträgt sich dieser extrem ruppige Kommunikationsstil auch auf die außenpolitischen Aussagen von polnischen Politikern aus der zweiten Reihe und der Publizisten.

Den politischen Gegner als Dieb, Faschist, Staatsverräter oder ,russischen Fußlappen‘ zu bezeichnen, ist zurzeit an der Tagesordnung.

Jan Rydel, Historiker an der Uni Krakau

Man erwartet in Polen, dass sich dies im bevorstehenden Wahlkampf noch weiter verstärkt. Das Rezept für Deutsche lautet: Ruhe bewahren, die Bösartigkeiten und Invektiven herausfiltern.“


Welchen Kurs soll die Bundesregierung einschlagen?

Jan Rydel: „Sie sollte das, was nach dem Herausfiltern übrigbleibt, ernst nehmen. Die bisherige deutsche Ostpolitik ist in Polen kompromittiert.

Denn wenn man ihre Konsequenzen zu Ende denkt, sieht man den Reichtum und die Weltgeltung für Deutschland (und Russland) auf der einen Seite und die Unterordnung unter die Hegemonialmacht sowie die mittelmäßigen Entwicklungsperspektiven für Polen (und andere ostmitteleuropäische Staaten) auf der anderen Seite.

Eine beachtliche Mehrheit der Polen erkennt diese Gefahr. Und je länger die deutsche Politik diese Mehrheit ignoriert, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Machtverhältnisse in Polen so bleiben, wie sie zurzeit sind.“

Agnieszka Lada-Kornefal: „Viele Polen sind von der deutschen Zurückhaltung im russischen Krieg gegen die Ukraine enttäuscht und fragen sich, ob die Bundeswehr Polen im Ernstfall zu Hilfe eilen würde. Die deutsche Geste mit den Patriots ist deshalb so wichtig.

Auch Polens Sorgen, die polnische Geschichte und das erlittene Unrecht im Zweiten Weltkrieg seien in Deutschland zu wenig präsent, könnte man konstruktiv begegnen: mit der Beschleunigung der Arbeit am Ort der Erinnerung und Begegnung mit Polen.“

Kai-Olaf Lang: „Die Komplikationen in den bilateralen Beziehungen sollten in Deutschland den Blick dafür nicht verstellen, dass Polens Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung in deutschem Interesse liegen.

Realistischerweise geht es jetzt darum, das Verhältnis zu Polen auf politischer Ebene trotz Dauerzwist nicht veröden zu lassen und zu stabilisieren.

Deutsche Politik sollte daher einerseits angebotsorientiert bleiben – auch wenn man manchen Offerten die kalte Schulter zeigen wird. Ukraine-Hilfen, Energiepolitik der Sicherheitskooperation sind Themen, die zumindest weiter ausgelotet werden können.

Die gemeinsame Geschichte ist schrecklich, aber die Zukunft völlig offen und bietet Gelegenheit zu einer positiven gemeinsamen Gestaltung.

Schreibt Community-Mitglied maxost

Anderseits sollte Berlin nicht auf jeden verbalen Affront reagieren, sondern ,Passivitätskompetenz‘ stärken, also Dinge auch abperlen lassen. Die Leitlinie hierfür lautet: Engagement ohne Illusion.“

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