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Thérèse, porträtiert 1938 von Balthus

© 2018. The Metropolitan Museum of Art/Art Resource/Scala, Florenz.

Balthus in der Fondation Beyeler: Ein Künstler, der das Publikum spaltet

Mit seinen Darstellungen junger Mädchen hat Balthus immer schon provoziert. Die Fondation Beyeler widmet dem Maler jetzt eine Retrospektive.

Selbstbewusst schaut der junge Mann von oben auf den Betrachter herab, die Augen verschattet, um den Mund ein arroganter Zug. Die überlangen Beine des Dandys stecken in einer eleganten hellen Hose. Dazu trägt er ein weißes Hemd, schwarzes Jackett und eine kurze rote Krawatte. Es ist ein Selbstporträt des gerade 27-jährigen Malers Balthus, der sich nicht konventionell mit den Attributen Pinsel und Leinwand darstellt, sondern zur Erklärung seiner Person eine Tafel neben sich an einen Hocker gelehnt hat.

Darauf steht in Englisch: „Ein Porträt S.M. (Seiner Majestät) dem König der Katzen gemalt von ihm selbst, 1935“. Und wie zum Beweis schiebt sich ein dicker Kater seitlich ins Bild und reibt seinen Kopf demütig am Bein des Künstlers. Balthus, der eigentlich Balthasar Klossowski de Rola hieß, ist es offensichtlich gelungen, die Katzen zu domestizieren. Eine auf dem Hocker liegende Peitsche verweist darauf.

Balthus befindet sich gerade auf seinem ersten Höhenflug als Künstler, eine Karriere, die lange währen sollte. 2001 stirbt er in seinem Schweizer Chalet in Rossinière mit 92 Jahren als letzter Klassiker der Vorkriegsmoderne. Seinem realistischen Stil ist er treu geblieben. Den Avantgarden trotzend wirkte er in allen seiner Phasen wie aus der Zeit gefallen. Die erste Einzelausstellung 1934 in der Pariser Galerie von Pierre Loeb hatte ihn noch vor der Eröffnung zum Stadtgespräch gemacht, so sollte es bleiben.

Die Reaktionsmuster auf Balthus haben sich kaum geändert

„Die wichtigsten Leute geben sich die Klinke in die Hand, um meine Bilder zu sehen“, schreibt er in einem Brief an seine Angebetete Antoinette de Watteville. Um sie gleich darüber zu beruhigen, welche Wirkung das Gemälde „Alice dans le miroir“ auf das Publikum hat. Darauf ist eine junge Frau mit entblößter Brust zu sehen, die sich selbstvergessen die Haare kämmt, ähnlich wie bei dem ebenfalls ausgestellten Gemälde „La Toilette de Cathy“, das wiederum die nackte Antoinette mit geöffnetem Bademantel in ihrem Boudoir zeigt.

„Was den Akt ,Alice dans le miroir’ betrifft, (...) so glaube ich auch nicht, dass er obszön ist, und ich glaube, dass durch die ernste schwere Stimmung, die er ausstrahlt, ein junges Mädchen ihn ansehen kann, ohne zu erröten.“ Balthus wusste um die Wirkung seiner Bilder und markiert doch den Unschuldigen. Neben „Cathy“ sitzt übrigens wieder der melancholische junge Mann aus dem Selbstporträt, noch mehr in sich gekehrt. Es ist Balthus, der damals noch vergeblich um Antoinette warb, die an dem armen Künstler zunächst wenig Interesse zeigte. Kurz darauf heiratete sie ihn.

Balthus, zehn Jahre später als Thérèse auf dem gleichen Sessel von Irving Penn fotografiert.
Balthus, zehn Jahre später als Thérèse auf dem gleichen Sessel von Irving Penn fotografiert.

© The Irving Penn Foundation

Die Reaktionsmuster auf Balthus haben sich kaum geändert. Seine Bilder haben seit der ersten Ausstellung provoziert, galten als pornographisch, spalteten das Publikum. Dem Künstler war die streitbare Auseinandersetzung gerade recht. „(Jetzt) bricht die Morgenröte des Ruhms an“, jubelt er in seinem Brief an Antoinette. Ein Jahr später sollte er in der Galerie von Pierre Matisse in New York ausstellen und ebenfalls gewinnen.

Balthus’ Ausstellungen sind immer von Skandal begleitet und Erfolg bekrönt gewesen. Das wiederholt sich nun bei seiner Retrospektive in der Fondation Beyeler. 40 Werke versammelt die Schau, Anlass ist das Gemälde „Passage du Commerce Saint-André“ von 1952-54, das sich als Dauerleihgabe in der Sammlung befindet und nun eingebettet in das Oeuvre des Künstlers präsentiert wird, umgeben von sich räkelnden jungen Mädchen, Gesellschaftsporträts, Landschaftsbildern und Straßenszenen.

11 000 unterschrieben Petition gegen sein Werk

Doch zum Aufreger taugt die Ausstellung nicht. Ja, es gibt vier Bilder darunter, über die sich diskutieren ließe, nicht zuletzt „Thérèse träumend“ aus dem New Yorker Metropolitan Museum, gegen dessen Aufhängung sich im November letzten Jahres 11 000 Unterzeichner in einer Petition wandten. Im Zeitalter von #Metoo mag es noch unschicklicher als damals sein, im lichten Zentrum des Bildes die Sicht auf den Slip einer vielleicht 13-Jährigen freizugeben, daneben ein Milch schleckendes Kätzchen. Wer genau hinschaut, wird darin jedoch nichts Aufreizendes entdecken. Völlig entspannt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, träumt sich das Mädchen mit geschlossenen Augen weg. Die Verführung geschieht im Blick des Betrachters, das Böse in seiner Fantasie. Davor bewahrt auch kein Bilderverbot, schon gar nicht im Museum, wo immer schon Akte zu sehen waren. Die Sammlungen Alter Meister würden sich sonst schnell leeren.

Stein des Anstoßes: „Thérèse träumend“ von Balthus
Stein des Anstoßes: „Thérèse träumend“ von Balthus

© Foto: Oliver Berg dpa/picture-alliance

Als vor vier Jahren das Essener Folkwang Museum seine Ausstellung mit den Polaroids von Balthus kurzfristig wieder absagte, die dem Künstler im Alter als Ersatz für seine Skizzen dienten, war dies eine Folge des Skandals um den SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, bei dem jugendpornographisches Material gefunden worden war. Der Steidl-Verlag druckte gleichwohl die Polaroids ab. Große Kunst sind sie nicht, entfernt an David Hamilton erinnernd.

Die Ausstellung in der Fondation Beyeler aber führt darauf zurück, was wir an Balthus haben – welche Bedeutung er noch immer besitzt, ob er wirklich einer der Großen der Kunstgeschichte ist. Wer sie besucht und nicht nur aus der Ferne über das Erotische der Motive räsoniert, wird Balthus zumal in den 30er und 40er Jahren als einen grandiosen Maler bestätigen. Seine besten Werke besitzen eine phänomenale Spannung, die zwischen zwischen Stillstand und Bewegung oszilliert, gerade so wie bei den jungen Mädchen, die doch im nächsten Moment aufspringen müssten.

Surrealist, gekreuzt mit Neuer Sachlichkeit

Gemalt sind sie mit einer Delikatesse, die beinahe greifbar eine zweite Wirklichkeit schafft, in ihrer Entrückung eine fast mystische Qualität ausstrahlen. Balthus baut Bühnen, auf denen sich seine Akteure wie ferngesteuert bewegen. Wie auf dem berühmten New Yorker Bild „La Rue“ von 1934 sind Repräsentanten rätselhafter Seinszustände, einer aberwitzigen Realität zu sehen. Was hat dieser ältliche Knirps auf dem Arm einer Gouvernante zu bedeuten, was die weibliche Rückenfigur mit dem einen Fuß im Rinnstein, dem anderen auf der Bordsteinkante? Verbirgt sich hinter dem Übergriff eines jungen Mannes, der mitten auf der Straße einem Mädchen von hinten die Schürze wegzieht, ein symbolischer Akt? Balthus hat die Maler des Cinquecento, Piero della Francesca und Masaccio, in den 20er Jahren während eines Toskana-Aufenthalts studiert. Das Statuarische, Somnambule ihrer Figuren findet sich auch bei ihm. Seine Settings erinnern an die metaphysischen Kompositionen eines Giorgio de Chirico. Hätte Balthus sich nicht rigoros jeder Zuordnung verweigert, so müsste man ihn einen Surrealisten nennen, gekreuzt mit Neuer Sachlichkeit. Seine Bildlösungen verblüffen noch immer, auch wenn mit dem Spätwerk, den pastigen Oberflächen, seine Protagonisten die innere Dynamik verlieren, sie zwischen den opulenten Mustern auf Teppichen, Decken, Sesseln ersticken.

Dass seine Bilder noch immer Zorn erregen, spricht für sie. Und für das Museum. Es bleibt damit ein Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung, wie viel Freiheit die Kunst und vor allem der Betrachter verträgt.

Fondation Beyeler, Riehen, Schweiz, bis 1. 1.; tägl. 10 – 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Katalog im Hatje Cantz Verlag, 58 €

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