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Berlins Kunst der 80er Jahren: Im Westen Wildes

Die Mauerstadt zog Künstler, Individualisten, Selbstentdecker an: Die Ausstellung „Berlinzulage“ im Künstlerhaus Bethanien erinnert an das Jahrzehnt vor dem Mauerfall – und was davon geblieben ist.

„Gebrochen Deutsch“ hat Raffael Rheinsberg seine Installation genannt. Das ist in vielerlei Hinsicht wörtlich zu verstehen. Auf dem Galerieboden im Künstlerhaus Bethanien liegen Hunderte zerbrochener Straßenschilder aus Ost-Berlin, die der Künstler kurz nach dem Mauerfall entdeckte und zu einem riesigen Tableau formierte. Er war der Finder unter den West-Berliner Künstlern, die Brachen und Abbruchhäuser der eingemauerten Stadt lieferten ihm das Material. Nach 1989 erweiterte er sein Einzugsgebiet auf das Terrain jenseits der ehemaligen Grenze. Auch hier hielt er mit seinen poetischen Assemblagen gefundener Alltagsgegenstände fest, was sich wenig später verflüchtigen sollte: der Geist einer Stadt, einer bestimmten Phase.

Nicht nur in der Politik, im Leben der Menschen endete mit 1989 eine Epoche, auch für die Kunst war das Jahr eine Zäsur. Die Mauerstadt hatte Künstler, Individualisten, Selbstentdecker angezogen, die sich hier wie an keinem anderen Ort der Welt ausprobieren konnten. Das Berlin der 80er Jahre war ein Pool für Experimente. Die Härte der Stadt, zugleich die Leichtigkeit des Seins – der Mix setzte kreative Kräfte frei. Das Phänomen ist oft beschrieben und gerade in jüngster Zeit mit Ausstellungen gewürdigt worden: der Punk, New Wave, die Neuen Wilden und die Moritzplatz-Boys. Doch erstaunlicherweise wurden ausgerechnet diejenigen vergessen, die künstlerisch mit der Stadt gearbeitet haben. Vielleicht weil ihre Werke mit dem Ende der 80er zum größten Teil ebenfalls verschwunden sind, meist nur noch filmische und fotografische Dokumente von ihren Installationen und Aktionen existieren.

Diese Lücke schließt nun die Ausstellung „Berlinzulage“ im Künstlerhaus Bethanien, kuratiert von Direktor Christoph Tannert zusammen mit dem Künstlerduo Anne Peschken und Marek Pisarsky von Urban Art. Der schöne Titel spielt auf jene acht Prozent steuerfreie Gehaltszulage an, die jeder West-Berliner erhielt, um in der Mauerstadt gehalten zu werden und nicht wie so viele Unternehmen in den Westen der Bundesrepublik abwandern zu lassen. Das Schaufenster für die Welt sollte noch Vorzeigbares in den Auslagen haben.

Geld war also da, die Kunst wurde großzügig bezuschusst. Das große Ding war Kunst im öffentlichen Raum. Wer nicht malte, war an einem der vielen Wettbewerbe beteiligt, erinnert Sabine Vogel in ihrem Beitrag in dem sehr lesenswerten Katalog. Die Marktferne schuf eine besondere Melange aus Unangepasstheit, Experimentierlust und Egozentrik, auch wenn sich viele Künstler in Gruppen zusammentaten.

Zur West-Berliner Szene gehörte immer auch die Randale

Den Druck auf dem Kessel erhöhte die Hausbesetzerszene, die auf ihre Weise auf die Situation reagierte: 27 000 leer stehende Wohnungen auf der einen, 80 000 Quartiersuchende auf der anderen Seite. Wer von der experimentellen Kunst im Stadtraum der 80er Jahre erzählt, muss neben Bildern einer kaputten Stadt und der sie umgebenden Mauer als Hintergrundmotiv (eine Entdeckung sind die bislang unveröffentlichten Fotografien von Michael Hughes) auch Szenen mit brennenden Autos und prügelnden Polizisten zeigen. Knut Hoffmeisters Film „Schlacht am Nolli“ von 1982, als sich die Jugendlichen das Demonstrieren gegen den Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan nicht verbieten lassen wollten, liefert sie. Um beim Filmen nicht erwischt zu werden, ging die Kamera von Hand zu Hand. Der Film hat viele Autoren. Nun wurde das Material digitalisiert, es wird zum optischen Track für die anderen gezeigten Werke, die zwischen Aggressivität, humorvoller Attitüde und Rückzug in die Fantasie changieren.

Gleich im Entree ist Olaf Metzels „Skulptur Böckhstr. 7, 3. OG“ von 1981 zu sehen, eine Anklage gegen das damals in Berlin grassierende Spekulantentum. Die „Skulptur“ besteht aus einem gigantischen Papierbogen, auf dem Metzel Grundrisse, Quadratmeterpreise und Geldflüsse notierte. Ein Video zeigt, wie er die Wände des zum Abriss freigegebenen Kreuzberger Fabrikgebäudes attackiert. Der Künstler beschleunigte nur den gezielten Verfall, sein Werk holt die Strategie der Investoren ans Licht.

Ein anderer Interventionist ist Christian Hasucha, dessen Installationen im öffentlichen Raum immer auch eine komische Seite besitzen. So stellte er sich 1987 in der Yorckstraße inmitten des Verkehrs auf einen Betonsockel, in den ein Laufband eingelassen war – und ging und ging. Seinen ironischen Kommentar auf die Mobilität wiederholte er später in vielen anderen Städten. Als neuere Arbeit sind von ihm „Abgasbilder, bewettert“ von 2006 zu sehen. Produziert hat sie ein Kleinwagen, der vier Wochen lang mit laufendem Motor in einer Hamburger Galerie stand. Durch ein Rohr gelangten die Abgase nach draußen, wo die Partikel je nach Witterung helle oder dunklere Verfärbungen auf einem Vlies hinterließen.

Was das mit dem Berlin der 80er Jahre zu tun hat? Nicht mehr allzu viel. Und da wird die verdienstvolle Ausstellung leider unscharf. Um zu zeigen, dass die Künstler noch aktiv sind, wurden auch jüngere Werke hinzugenommen, was gar nicht nötig ist. Klaus Biesenbachs Diktum, Anfang der 90er Jahre hätte es in Berlin keinen Künstler gegeben, der in London zeigbar gewesen wäre, scheint noch immer nicht verwunden. „Berlinzulage“ versteht sich auch als Rehabilitation jener Künstlergeneration und ihrer Praxis, die in den 90ern plötzlich abgemeldet war. Wer sich heute wehmütig der Aufbruchzeiten in der Kunst nach dem Mauerfall erinnere, vergesse die Vorgänger, schwingt als Vorwurf mit. Aber so war das immer in Berlin: Auf den einen Mythos folgt der nächste.

Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, bis 16. 9.; Di–So 14–19 Uhr. Katalog 50 € bzw. 40 €. Filmprogramm: www.fsk-kino.de

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