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Sound der Niederlage. Trine Dyrholm als Christa Päffgen.

© Film Kino Text

Biopic über Gothic-Chanteuse: Nicos letzte Tour

Virtuosin des Kaputten: Vor 30 Jahren starb Gothic-Chanteuse und Velvet Underground-Sängerin Nico. Ein Biopic zeigt sie auf ihrer letzten Tour.

Im Abstieg die Würde zu bewahren, an dieser Prüfung scheitern viele alternde Popstars. Nico ist in den späten achtziger Jahren ein has been, ihre Erfolge als Sängerin von Velvet Underground liegen lange zurück. Jetzt steht sie in einer norditalienischen Hotelbar, neben sich ein Jazztrio, zu dem auch der Hoteldirektor gehört, und tut das, was für eine Künstlerin wie sie eine ultimative Demütigung sein muss: Singen für Kost und Logis.

Möglich, dass ihre Tournee, vielleicht ihre ganze Karriere hier endet. Der Konzertveranstalter hatte von „kurzfristigen Liquiditätsproblemen“ gesprochen. Nico singt mit dunkel flackernder Stimme „Nature Boy“, Nat King Coles Ballade über das Erleuchtetwerden, die in den Zeilen gipfelt: „The greatest thing you'll ever learn / Is just to love and be loved in return.“ Der Smalltalk verstummt, die Zuhörer an ihren Tischen sind gebannt. Ein trauriger, ganz großartiger Moment.

Vom Model zu Warhols Muse

„Nico 1988“ heißt der Spielfilm der italienischen Regisseurin Susanna Nicchiarelli, der dreißig Jahre nach dem Tod der Sängerin in die deutschen Kinos kommt. Nico starb am 18. Juli 1988, nachdem sie bei einer Fahrradfahrt auf Ibiza gestürzt war. Christa Päffgen, so ihr bürgerlicher Name, stammte aus Köln, begann ihre Laufbahn als Model und brachte es nach einigen Filmauftritten, unter anderem in „La Dolce Vita“, zur Muse von Andy Warhol. Von ihrer äußeren Attraktivität ist in „Nico, 1988“ nicht mehr viel übrig. „Bin ich hässlich?“, fragt sie einmal einen Freund, und als der „ja“ sagt, fährt sie erleichtert fort: „Gut, ich war unglücklich, als ich schön war.“

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Glücklich zu werden, das versucht Nico mit Drogen. In dem Reihenhäuschen, das sie in Manchester mietet, vielleicht, um endlich eine Heimat zu finden, spritzt sie sich Heroin in den Fuß. Der Fuß ist voller offenen Wunden, und in dem Haus wird sie wegen des Touralltags ihres Rock'n'Roll-Lifestyles nur immer wieder kurz absteigen. Die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm spielt Nico, und wie sie das macht, ist sensationell. In einem Akt nahezu perfekter Mimikry singt Dyrholm nicht nur mit derselben unbewegt wirkenden Monotonie, für die Nico bis heute berühmt ist. Sie schafft es auch, den Star in eine Aura der Abwesenheit zu hüllen.

Anfangs, der Film beginnt 1986, gleitet Nico wie in Trance durch eine Welt, mit der sie bereits abgeschlossen zu haben scheint. Doch dann kehrt nach und nach die alte Energie zurück, sie schmiedet Pläne, tauscht das Heroin gegen Methadon ein, es ist, als würde sie langsam aus einer Betäubung erwachen. Was sie beinahe rettet, ist die Musik, genauer gesagt: die Menschen, mit denen sie Musik macht. Mit einer Handvoll junger Begleiter, die sie als „Band voller Amateur-Junkies“ verspottet, tingelt sie in einem Tourbus durch Europa, der bloß ein Bulli ist. Und am Steuer sitzt der von John Gordon Sinclair verkörperte Manager, ein schnauzbärtiger Lakoniker, der es in seiner britischen Steifheit nicht schafft, seiner Klientin zu gestehen, dass er sich in sie verliebt hat.

Ihre Verletztheit resultierte aus einem doppelten Trauma

„Nennen Sie mich nicht Nico“, sagt Nico einem Radioreporter, der sie interviewt. Sie will mit Christa angesprochen werden, ihrem „wirklichen Namen“, und nein, über Velvet Underground möchte sie nicht reden. Doch ihrer Vergangenheit, die in dem Film nur in Form einiger überbelichteter Super-Acht-Aufnahmen aus Warhols Factory eingestreut wird, entkommt sie nicht. Dazu erklingen die auf Geigen gebetteten Folkrockzeilen „These days I seem to think a lot /About the things that I forgot to do“ von ihrem Album „Chelsea Girl“ von 1967. „Ich habe bei Velvet Underground nur in drei Songs gesungen, ansonsten stand ich im Hintergrund und spielte Tamburin“, wird sie später erzählen. „Ich war bloß für die Optik da.“ Sie singt immer noch schleppende traurige Lieder, keine Undergroundhits mehr, sondern eine Mischung aus Chansons und Industrial Rock, über die selbst eine wohlwollende Konzertbesucherin anmerkt: „Interessant.“

Susanna Nicchiarelli zeigt die Heldin ihrer italienisch-belgischen Koproduktion als Virtuosin der Kaputtheit. Nicos Verletztheit resultiert aus einem doppelten Trauma. Sie hat als Kind das zerbombte Berlin am Horizont brennen sehen, eine Erinnerung, die sich so tief einprägte, dass sie nun mit einem Tonband überall in Deutschland Geräusche sammelt, auf der Suche nach dem „Sound der Niederlage“. Und sie hat ihren Sohn, der nach ihren Angaben einer Liaison mit Alain Delon entstammte, in fremde Obhut übergeben, ein Verrat, den sie sich nicht verzeihen kann. „The greatest thing you'll ever learn / Is just to love and be loved in return.“ Der Sohn, inzwischen ein junger Mann, ist nach einem Suizidversuch im Sanatorium gelandet, der Film zeigt die vorsichtige Wiederannäherung von Mutter und Kind. Sie nimmt ihn mit auf ihre Tournee, es könnte ein kitschiges Happyend folgen. Könnte.

Nico gerät in Rage, als ihr die Drogen ausgehen

„Nico, 1988“ begleitet seine Heldin durch Konzertschuppen und Garderoben, über Autobahnen und Landstraßen und verzichtet dabei auf jede dramatische Zuspitzung. Nur ein halb legaler Grenzübertritt, ein Auftritt in der kommunistischen CSSR gerät zur Actionsequenz. Das Konzert in einer Schulaula ist nicht bei den Behörden angemeldet, Nico gerät in Rage, weil ihr im Realsozialismus die Drogen ausgegangen sind, und während sie vor jubelnden, tanzenden Fans so fulminant „My Heart is empty“ herausschreit, als wäre der Geist von Jim Morrison in sie gefahren, werden die Veranstalter verhaftet. Die Band muss bei Nacht und Nebel fliehen.

Nico ist 1988 eine Frau mit Zukunftsvisionen. Sie will heiraten, aus dem Rock-Business aussteigen und in einem Blumengeschäft arbeiten. Worauf ihr Manager einwendet: „Du magst keine Blumen.“ Oder sie macht erst einmal Urlaub und nimmt anschließend eine neue Platte auf. Aber dann besteigt sie in der gleißenden Mittelmeersonne von Ibiza ihr Fahrrad.

„Nico 1988“ läuft am Mittwoch in den Kinos an.

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