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„Die Welt will Grunewald von mir.“ Walter Leistikow lieferte seinen Sammlern dieses Lieblingsmotiv, auch wenn es ihm manches Mal zu viel wurde. Das um 1900 entstandene Gemälde könnte sowohl den Grunewald- als auch den Schlachtensee darstellen.

© Martin Adam

Leistikow und Hagemeister im Bröhan-Museum: Blätter wiegen sich im Wind

Das Bröhan-Museum zeigt Landschaften seiner beiden Hausheiligen, Walter Leistikow und Karl Hagemeister. Sie gelten als die modernsten Maler der Berliner Secession.

Blaugrauer Nebel steigt vom Wasser hoch, die schwarze Rinde der Bäume spiegelt sich im Flusslauf. Am Ufer treibt fauliges Laub. Ganz hinten am Horizont schimmert ein fahles Licht. Für sein Bild „Novembertag im Luch“ hat sich Karl Hagemeister mitten in die Natur gestellt, wird umgeben vom Wald, das Wasser schwappt bis an den Bildrand.

Nach Ausstellungen über das Design der 80er, über Do- it-yourself-Möbel und den Kuss in der Kunst huldigt das Bröhan-Museum diesmal zwei Hausheiligen und schöpft damit aus der eigenen Sammlung. Walter Leistikow und Karl Hagemeister gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession. Beide konzentrierten sich ganz auf die Landschaft, viele Bilder entstanden südlich von Berlin. Beide Maler seien – so lautet die selbstbewusste These von Museumsdirektor Tobias Hoffmann – „die modernsten Künstler der Berliner Secession“.

Für Besucher bietet die Ausstellung Malerei in Reinform. Die Gegenüberstellung der beiden Künstler schärft den Blick für den unterschiedlichen Zugang zur Landschaft. Walter Leistikow wählt den Abstand, die Totale, experimentiert aber kühn mit Farben, mit giftigem Gelb oder träumerischem Rosa. Lange hielt sich die Legende, dass die Ablehnung seines Bildes vom Grunewaldsee durch die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 zur Gründung der Secession geführt habe. Inzwischen wird die Erinnerung von Lovis Corinth angezweifelt. In jedem Fall lehnte Kaiser Wilhelm II. das Gemälde ab. Nur über eine private Schenkung gelangte es in den Besitz der Nationalgalerie. Leistikow wurde Erster Sekretär der Berliner Secession und zog regelmäßig im Sommer mit seiner Familie zum Malen in den Grunewald.

Das Museum hat viele Bilder ihrer behäbigen Rahmen befreit

Im Bröhan-Museum fällt die eigentümliche Stille der Uferbäume in der Abendsonne auf. Der Grunewald wird zum Ort transzendentaler Fantasien. Eine Leihgabe aus Leistikows Geburtsstadt Bydgoszcz, dem damaligen Bromberg, zeigt eine Sicht von der Anhöhe auf den Schlachtensee. Da treibt der Maler seine Farbexperimente auf die Spitze, hält den nächtlichen Wald ganz in Schwarz, Wasser und Horizont leuchten im blassen Mondlicht. In der Reihung aber fällt doch auf, wie oft der Künstler einen ähnlichen Bildausschnitt wählte. „Die Welt will Grunewald von mir“, soll er geseufzt haben und lieferte der Welt Grunewald. Auch seine Seestücke bleiben seltsam abgeklärt und statisch. Nur der Himmel verfärbt sich mitunter lodernd in Endzeitstimmung. 1908 nimmt sich Walter Leistikow gequält von der Syphilis mit 43 Jahren das Leben.

Karl Hagemeister, Jahrgang 1848 und damit 17 Jahre älter als Leistikow, hatte mehr Zeit, seine Kunst reifen zu lassen. Der Sohn von Obstbauern aus Werder, der überwiegend im Havelland arbeitete, wird noch immer als Lokalkünstler unterschätzt. Das Bröhan-Museum hat viele seiner Bilder von den behäbigen Rahmen befreit und damit die Frische, die Experimentierfreudigkeit und die innere Aufgewühltheit von Hagemeisters Landschaften ans Licht befördert.

Fleckige Rinde, zitterndes Grün. Karl Hagemeister malte die Veränderungen der Jahreszeiten in der Natur. Das Birkenbild von 1908 steht für den Sommer.

© Martin Adam

Wie Leistikow stand auch Kar Hagemeister zunächst unter dem Einfluss der Schule von Barbizon. Die französischen Künstler verließen das Atelier und malten in der freien Natur. Der Jäger Hagemeister war früh fasziniert von den Jagdbildern Gustave Courbets. Mit seinem Freund und wohl auch seiner großen Liebe, dem österreichischen Künstler Carl Schuch, begab er sich zunächst auf Studienreisen durch Europa.

In Paris zerbrach die Beziehung nach fast zehn Jahren an unvereinbaren Vorstellungen von Malerei. Die Diskussion zwischen den beiden Freunden soll sich an dem Bild von einem Teller Austern entzündet haben. In der Ausstellung kann man den Quantensprung in Hagemeisters Malerei an dem Stillleben mit Ingwertopf aus dem Jahr 1883 beobachten. Da gestaltet er die Fläche nicht mehr mit kaum wahrnehmbaren Übergängen der Farbtöne, sondern mit sichtbaren, energischen Pinselschraffuren und Lichteffekten.

Besondere Attraktion der Ausstellung ist die Werkstatt

Zurück in Ferch findet Hagemeisters Kunst ihre Herausforderung in den Dramen der Natur. Anders als in der Stille von Leistikow bewegt der Wind das Gras, beugt die Bäume, an der Ostseeküste türmen sich die Wellen. Hagemeister zieht als Fischer und Jäger in die Wälder. Bei seinen Streifzügen nimmt er Leinwand und Pinsel mit und malt mit Öl- oder Pastellfarben in Lebensgröße die Veränderungen der Jahreszeiten. Ein Kabinett zeigt Frühling, Sommer, Herbst und Winter, schwebend zart und dann fast roh auf den Keilrahmen genagelt.

Manchmal lösen sich fleckige Birkenrinde und zitterndes Blattgrün zu einem abstrakten Farbspiel auf. Die langen Nadeln der Kiefern verwischen im Wind und wirken japanisch inspiriert. Felsen versperren brachial die Sicht. Hagemeisters Technik folgt organisch der Materialität der Natur. Jedes Bild bezeugt, wie sehr der Künstler eins ist mit Wald und Wasser, Schnee und Eis.

Die edle Präsentation im Bröhan-Museum hebt das eigentümliche Leuchten dieser Malerei hervor. Besondere Attraktion für Besucher dürfte die Werkstatt sein, in der jeder die unterschiedlichen Maltechniken erproben kann – die unheimliche Ruhe oder das offene Drama in den Landschaften von Walter Leistikow und Karl Hagemeister.

Bröhan-Museum, Schlossstr. 1a, bis 28. 1.; Di–So 10–18 Uhr. Workshop für Erwachsene jeden 1. (Hagemeister) und 3. (Leistikow) So im Monat von 14–17 Uhr.

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