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Kultur: Bochumer Schauspielhaus: Paganini der Parasiten

Leichtfüßiges kennen wir von Schiller kaum. Die Komödien des Franzosen Louis Beno¬¤t Picard (1769-1828) aber müssen ihm gefallen haben, denn er übersetzte und bearbeitete 1803 gleich zwei von ihnen, darunter "Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen".

Leichtfüßiges kennen wir von Schiller kaum. Die Komödien des Franzosen Louis Beno¬¤t Picard (1769-1828) aber müssen ihm gefallen haben, denn er übersetzte und bearbeitete 1803 gleich zwei von ihnen, darunter "Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen". Das Stücklein wird selten gespielt, denn es treibt schlichte Schwarz-Weiß-Figuren durch eine unkomplizierte Intrige zu einem moralisch einwandfreien Ausgang und ist von der heutigen Mobbing-Wirklichkeit Äonen entfernt. Nun hat es der neue Bochumer Intendant Matthias Hartmann ganz kühn unter die alleinige Autorschaft des Weimarianers gestellt. Damit hat er seinem Spielplan, der beim Publikum auf Begeisterung stößt und seinem Haus so volle Reihen wie weiland unter Peymann beschert, um einen weiteren Farbtupfer bereichert. Warum Hartmann und sein Dramaturg, der Dramatiker Thomas Oberender, jedoch keine bessere Komödie wählten, bleibt auch nach ihrer Inszenierung ein Rätsel.

Es sei denn, weil "Der Parasit" eine leibgeschneiderte Glanzrolle für Bochums Glanzschauspieler Michael Maertens bietet. Denn der ist Selicour, ein gerissener Ministerialbeamter, der sich dem neuen Minister Narbonne in bestem Licht präsentiert und dafür die Leistungen seines Mitarbeiters Firmin usurpiert, der sich als braver Biedermann dagegen nicht wehrt. Firmins Sohn Karl jedoch quält, dass der Schmeichler Selicour auch Narbonnes Tochter Charlotte bekommen soll. La Roche, den Selicour aus dem Amt gejagt hat, versucht sich in Gegenintrige, jedoch vergeblich. Erst als Selicour ein brisant-brillantes Mémoire Firmins sowie ein artig-empfindsames Couplet Karls als die seinen ausgibt, gerät die Kabale ins Kippen, denn bei der Präsentation der Werke sind beide Firmins überraschend anwesend.

Narbonne lässt zu, dass La Roche Selicour eine Falle stellt: Er behauptet den plötzlichen Sturz des Ministers, hervorgerufen durch eben jene Denkschrift. Augenblicklich distanziert sich der Intrigant von dem Papier - die Wahrheit kommt ans Licht und alles zum guten Ende. Firmin erhält eine Beförderung und Karl seine Charlotte. Usurpation als Missbrauch der Freiheit; gesellschaftliches Maskenspiel versus Wahrheit des Gefühls - man kann sich vorstellen, was Schiller, den Autor der "Räuber" und des "Fiesco", am "Parasit" interessiert haben mag. Auch wird er das Stück, das er aus steifen Alexandrinern in geschmeidige Prosa übertrug, als Spiegel für seinen Weimarer Fürsten poliert haben. Wem aber hält es heute einen Spiegel vor?

Der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 60er Jahre, lautet die rätselhafte Antwort aus Bochum: Die Bühne (Petra Korink) zeigt ein Haus im Umbau, von dessen Wänden die dunklen Paneele der 40er oder 50er Jahre gerissen sind. Narbonne (Felix Vörtler) gibt sich wie der blässliche Ludwig Erhard eines Familienunternehmens, Firmin (Ralf Dittrich) als überkorrekte Schreibtischexistenz, Sohn Karl (Manuel Bürgin) als Gimpel des Gefühls. Für boulevardesken Furor sorgen die drei Intriganten: La Roche (Thomas Büchel), ein kumpeliger Rachetollpatsch; Narbonnes Mutter (Veronika Bayer), die selbst Selicour erlegen ist und durch deren Grande-Dame-Gehabe Backfischseligkeit hervorbricht; und vor allem Selicour, ein gewaltiger Verkäufer seiner selbst, die immer grotesker anschwellende Karikatur des Angestellten in der Politik. Hemmungslos zeigt er das Repertoire von Kompetenzgestik und Bedeutsamkeitsgebaren - ein Geltungsmäntelchen, das rascher hängt, als der Wind weht.

Doch Maertens, der Paganini der Schauspielkunst, fiedelt damit, wenn auch virtuos, nur seine Standards exaltierter Unbeholfenheit: Kreischen und Verhaspeln, Grimassieren und sich krümmendes Fuchtelhüpfen. Schiller lobte am "Parasit" den "großen Verstand des Plans". Darin mögen Hartmann/Oberender ihrem Meister nicht folgen und ändern den Schluss: Sie geben ihn mehrfach, in wachsender Angemessenheit zum Zeitalter des sich enthemmenden Kapitalismus. Der letzte Satz ist gefallen, da hebt die Finalszene wieder an, doch diesmal ist Firmin der Verlierer, weil er aus Bescheidenheit sein Talent versteckt hat; beim dritten Mal gewinnt La Roche, weil ja er, irgendwie schlüssig, der erfolgreichste der Intriganten war; beim vierten Mal siegt eine Nebenfigur - so könnte es fortgehen. Im Grunde aber ist schade, dass Hartmann die Talente seiner großartigen Schauspieler an dieses Stück verschwendet hat.

Ulrich Deuter

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