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Flucht ins Ungewisse: Das Cover des dritten Bandes.

© Carlsen

Manga-Serie „The Promised Neverland“: Peter Pans Albtraum

Idyllische Bilder, blutiger Horror: Der Manga „The Promised Neverland“ bietet ein temporeiches Versteckspiel in einem gnadenlosen Alternativuniversum.

Im Survival-Horror-Manga „The Promised Neverland“ von Autor Kaiu Shirai und Zeichnerin Posuka Demizu werden drei hochbegabte, blutjunge Kinder mit einer bitteren Wahrheit über ihre heile Waisenhauswelt konfrontiert. Die Manga-Reihe, die in Japan derzeit neun Bände umfasst und noch nicht abgeschlossen ist, erscheint hierzulande seit März 2018 in deutscher Sprache bei Carlsen Manga und konkurriert raffiniert mit blutigen Genre-Hits wie „Attack on Titan“ und Co.

Emma lebt mit ihrer „Familie“ im Grace Field House, einem Heim für Waisenkinder. Und obwohl sie als eine der Ältesten seit zehn Jahren dort ist, hegt sie keinen Groll. Mehr noch, sie freut sich trotz Abschiedsschmerz jedes Mal, wenn ein Kind adoptiert wird.

Durch das verbotene Tor

Diesmal darf die kleine Conny in ein neues Zuhause umziehen. Das Mädchen will unbedingt seinen Stoffhasen mitnehmen, den es einst von „Mama“, der freundlichen Betreuerin der Kinder geschenkt bekommen hat, lässt ihn aber liegen. Emma, die Connys vergessenen Schatz entdeckt, beschließt gemeinsam mit ihren besten Freunden Ray und Norman dem Mädchen den Hasen zurückzubringen.

Dazu müssen sie aber gleich mehrere Regeln brechen: Emma und Norman verlassen das Haus in Mamas Abwesenheit und laufen zum Tor, das neben dem Zaun, der das Waisenhausgelände einschließt, einer der Orte ist, dem sich die Kinder nicht nähern dürfen. Die beiden nehmen die Strafen trotzdem in Kauf und eilen zum Tor. Doch was sie dort auf der Ladefläche eines Kleinlastwagens entdecken, hebt ihre heile Welt aus den Angeln …

Versteckspiel: Das Cover des zweiten Bandes der Reihe.
Versteckspiel: Das Cover des zweiten Bandes der Reihe.

© Carlsen

Es beginnt ein temporeiches Versteckspiel mit vielschichtigen Charakteren, angesiedelt in einem unwirtlichen Alternativuniversum. Emma und ihre Freunde entdecken, was sich hinter dem Waisenhaus tatsächlich verbirgt und stellen erstmals all das infrage, was der Leserschaft im besten Fall schon vorher unangenehm aufgestoßen ist, aber im bunten Trubel des heimeligen Waisenhausalltags untergeht: Vergitterte Fenster, Nummern auf der zarten Kinderhaut sowie ein ominöser Intelligenztest passen nicht so recht zum idyllischen Grace Field.

Suche nach einem Ausweg

Und so schlägt die Beschaulichkeit schlagartig ins Gegenteil um. Die unterschwellige Bedrohung wird zur Realität und alles, was die Kinder von da an antreibt, ist die Suche nach einem Ausweg. Das Perfide: Sämtliche Identifikationsfiguren sind minderjährig, mehr noch, sie sind noch nicht einmal in der Pubertät! Die sportliche und herzensgute Emma, der durchtriebene Ray sowie der hochbegabte Norman müssen sich gegen sehr viel ältere, in strategischer Kriegskunst weit bewandertere Erwachsene sowie gegen unglaublich hässliche Monstrositäten durchsetzen und geraten dabei selbst mit ihrem brillanten Verstand immer wieder an die Grenzen, die Alter und Körperbau nun einmal vorgeben. Hinzu kommt, dass Kaiu Shirai die Schauplätze und Szenarien ständig variiert, keine Langeweile aufkommen lässt und trotzdem nie den blutroten Faden verliert.

Posuka Demizu illustriert die Geschichte in routinierten, detailreichen Bildern und entwirft unverwechselbare Figuren mit einem ausdrucksstarken Mienenspiel. Emmas wilder roter Schopf passt ebenso zu ihrer quirligen Art wie Normans fast weiße Haare seinen überlegten, stillen Charaktere untermalen. Und gerade ihre unschuldige Kindlichkeit harmoniert an dieser Stelle hervorragend mit dem wahren Alter der Protagonisten, während viele der wenigen Erwachsenen fast bizarre Fratzen zur Schau tragen.

Alternatives Universum: Das Cover des ersten Bandes der Reihe.
Alternatives Universum: Das Cover des ersten Bandes der Reihe.

© Carlsen

Die Seiten in „The Promised Neverland“ sind dicht gepackt mit bewegten Layouts, viel Text und vielfältigen Hinguckern. Durch beklemmende Close-ups, die Panelgrenzen sprengende Szenen und erschreckende Ganzseiter steuert die geschickte Zeichnerin die Aufmerksamkeit ihres Publikums und hält es mit interessanten Perspektiven, dynamischen Posen und einer unwirtlichen, stets bedrohlichen Szenerie bei der Stange.

2019 folgt eine Anime-TV-Serie

Brutaler noch als die harten Gore-Darstellungen, die das Werk trotz der jungen Protagonisten für ein älteres Publikum reservieren, sind nur Demizus idyllische, das Grauen verharmlosende Farbillustrationen. Immer wieder vermitteln diese Bilder mit einem durchweg starken Bildaufbau und einer ebenso berührenden wie aussagekräftigen Mimik ein starkes Peter-Pan- und Alice-im-Wunderland-Gefühl.

Dem erfolgreichen Werk kommt in Japan in Shueishas mit Hit-Mangas wie „One Piece“ und „My Hero Academia“, also viel Action und Comedy, auf junge männliche Erwachsene zugeschnittenem Manga-Magazin „Shonen Jump“ inhaltlich eher eine Außenseiterrolle zu. Allerdings trifft die Hide-and-Seek-Story wohl genau den Nerv der Zielgruppe, denn inzwischen wurden fünf Millionen Bände* weltweit gedruckt und „The Promised Neverland“ siegte in der Kategorie „Bester Shonen-Manga“ bei den 63. Shogakukan Manga Awards.

Zudem erschien im Juni in Japan eine Novel mit Intelligenzbestie Norman in der Hauptrolle und für Januar 2019 wurde der Start einer Anime-TV-Serie auf Fuji TV angekündigt. Grund genug also für Fans moderner Horror-Action-Storys, dem ungewöhnlichen Helden-Trio bei der schwierigen Flucht aus dem Waisenhaus und ihrer apokalyptischen Odyssee durch ein grauenhaftes Nimmerland beizustehen.

 Kaiu Shirai und Posuka Demizu: The Promised Neverland, Carlsen Manga, bislang 3 Bände, je 192 /208 Seiten, je 6, 99 Euro

Sabine Scholz

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