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Denis Diderot gemalt von Luis-Michel van Loo, entstanden 1767.

© Wikipedia

Neue Übersetzungen erschienen: Denis Diderot, der spottlustige Aufklärer

Meisterhafter Ironiker: Zwei Werke mit Geschichten des französischen Aufklärers Denis Diderot sind in deutscher Übersetzung erschienen.

Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Die Gretchenfrage stellt sich nicht erst in Goethes „Faust“, sie ist ein Motiv, das sich durch die gesamte Epoche der Aufklärung zieht, zumal der französischen. Jenseits des Rheins geriet das rationalistische Denken des Siècle des Lumières deutlich kompromissloser. Dort dominierte gleichzeitig der radikale Materialismus eines Helvétius („Vom Geist“, 1758) oder La Mettrie („Der Mensch eine Maschine“, 1748), der den Menschen zum rein mechanischen Wesen reduziert und Atheismus und Religionskritik nach sich zieht.

Ein meisterhafter Ironiker unter den französischen Materialisten und Atheisten ist Denis Diderot, dessen Hauptwerke aus Angst vor Zensur und Gefängnis – der Enzyklopädist hatte mit beidem bittere Erfahrung machen müssen – für die Schublade verfasst und posthum zuerst auf Deutsch und nicht auf Französisch publiziert wurden. Die Rede ist von „Jacques der Fatalist und sein Herr“ in der Teilübersetzung Schillers und „Rameaus Neffe“, übertragen von Goethe. In der wiederbelebten Friedenauer Presse ist nun Diderots „Unterhaltung eines Philosophen mit der Marschallin de Broglie wider und für die Religion“ erschienen, neu übersetzt von Hans Magnus Enzensberger, der sich nicht zum ersten Mal vor seinem Vorbild verbeugt. Das tat er schon mit dem Dialog „Voltaires Neffe“, einer „Fälschung in Diderots Manier“, mit dem Sammelband „Diderots Schatten“ und dem darin enthaltenen, frei erfundenen Interview „Diderot und das dunkle Ei“.

Hochkonzentrierter Plauderton

In der „Unterhaltung“ geht es einmal mehr um die Gretchenfrage, in die sich eine Katholikin mit einem als „Mann ohne Glauben“ bekannten Philosophen vertieft, hinter dem sich unschwer der Verfasser erkennen lässt: Ist Religion wirklich vonnöten? Der im Plauderton verfasste, dabei hochkonzentrierte Text ist auch in dem Band „Dies ist keine Erzählung“ der Anderen Bibliothek abgedruckt, der „aufklärerische Geschichten“ in der ebenfalls gut lesbaren Übersetzung von Katharina Scheinfuß enthält. Man findet dort unter anderem den Text „Über Frauen“, eine spöttische Antwort auf den Dichter Antoine Léonard Thomas, der behauptete, dass die Benachteiligung der Frau in ihrer Natur liege, den von Schiller übertragenen „Jacques der Fatalist“-Auszug oder die amüsante Skizze „Bedauern über meinen alten Schlafrock“.

Am unterhaltsamsten ist wohl die Titelgeschichte, in der es darum geht, dass „Mann und Frau sehr übeltätige Bestien“ sind, aber auch um das Erzählen selbst. Diderot erfindet einen Zuhörer, mit dem sich der Leser identifizieren soll und der den Erzähler und damit den Textfluss permanent torpediert. Das erinnert an Laurence Sterne und nimmt manche Finte postmoderner Autoren vorweg. Eine Erzählung bleibt die Anti-Erzählung trotzdem, auch gegen die ironische Beteuerung ihres Verfassers.

Denis Diderot: Dies ist keine Erzählung. Aus dem Französischen von Christel Gersch, Katharina Scheinfuß u. a. Die Andere Bibliothek, Berlin 2018. 240 S., 16 €.

Denis Diderot: Die Unterhaltung eines Philosophen mit der Marschallin de Broglie wider und für die Religion. Aus dem Französischen von Hans Magnus Enzensberger. Friedenauer Presse, Berlin 2018. 32 S., 12 €.

Tobias Schwartz

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